Rennpferd
Ein Pferd kaufen, das dann von Sieg zu Sieg galoppiert – und von Preisgeld zu Preisgeld? Unbezahlbar. Aber man kann es auch eine Nummer kleiner machen, so wie unsere Autorin: Anteile pachten
Sie hat nicht mitbekommen, dass sie für eine Weile ans SZ-Magazin verpachtet war, ungefähr zu zehn Prozent. Sie, das ist Valuable Vista, eine schmale dunkelbraune Stute mit nachdenklichen Augen. Ihre Trainerin sagt, sie ist ein außergewöhnliches Pferd, das keine Fehler macht. Die für sie zuständige Arbeitsreiterin sagt »mein Goldstück« zu ihr. Der Jockey sagt, sie wird das schon machen.
Am Samstag, 9. Oktober, 15 Uhr 35, ist sie in Dortmund gemeldet, ein Rennen über 1600 Meter, die Siegerin verdient 25 000 Euro, die Zweite 11 000, die Dritte 6000. Denn das ist der eigentliche Grund für die ganze Geschichte: Valuable Vista ist ein Rennpferd und soll Geld verdienen, für ihren Besitzer, ihre Trainerin, ihren Jockey und fürs SZ-Magazin. Der ehrgeizige Plan ist der Preis der Winterkönigin, ein Stutenrennen in Baden-Baden für Zweijährige, dotiert mit 105 000 Euro, 60 000 für die Siegerin, das wären mehr als 5000 Euro Gewinn fürs Magazin. Für dieses Großereignis müssen sich die Stuten in vorherigen Rennen qualifizieren.
Zum Beispiel eben in Dortmund. Und vorher in Baden-Baden, ihr erster Start. An einem heißen Septembertag schreitet Valuable Vista ruhig und unverschwitzt durch den Führring, der Blick aufmerksam, das Fell glänzt gesund. Keine zwei Minuten nach dem Start ist das Rennen vorüber, sie wird Fünfte, der Jockey Adrie de Vries ist überrascht, im Training war sie heißer gewesen, die Trainerin Yasmin Almenräder nickt aus Reflex, als sie gefragt wird, sind Sie zufrieden, eine Sekunde später schüttelt sie den Kopf und sagt, als Trainer ist man nie zufrieden, wenn man nicht gewinnt. Sie hat der Stute mehr zugetraut, aber bei so einem ersten Rennen ist natürlich alles neu, der Transport von Mülheim nach Baden-Baden, die Nacht in einer fremden Box, ständige Lautsprecherdurchsagen von Quoten und Dreierwetten, die vielen Menschen mit Hüten und Sektgläsern. »Erinnern Sie sich an Acatenango?«, fragt die Trainerin. »Der ist fünfmal zweijährig gestartet, beim ersten Start verstand er gar nicht, was er machen sollte, und wurde Letzter.« Als er drei und vier Jahre alt war, gewann Acatenango zwölf große Rennen in Folge, 1985, 1986 und 1987 wurde er Galopper des Jahres.
Ein Rennpferd im Training kostet im Jahr
rund 20 000 Euro Unterhalt
Adrie de Vries verabschiedet sich und eilt zum nächsten Pferd, die Jockeys reiten an einem solchen Tag ein Rennen nach dem anderen, keine Pause, Elfi Bonsangue, die Arbeitsreiterin aus dem Stall Almenräder, führt die nun total verschwitzte Valuable Vista zur Dusche. Neben der Trainerin steht Michael Bergmann, cremeweißer Anzug, cremeweißer Hut, der die Stute auf einer Auktion gekauft hat und nun mit dem SZ-Magazin die vorübergehende Besitzergemeinschaft bildet. Er hebt entschuldigend die Schultern und sagt, das wird schon, dabei ist der Verlust für ihn am höchsten.
Zehn Prozent des Gewinns gehen an den Trainer oder die Trainerin, zwei Prozent an den Stall, der Jockey bekommt Reitgeld, 75 Euro pro Rennen, plus fünf Prozent des Gewinns, der Rest gehört den Besitzern, die allerdings auch die Kosten tragen. Ein Rennpferd im Training, sagt Michael Bergmann, kostet im Jahr rund 20 000 Euro Unterhalt, für Futter, Training, Schmied, Impfungen und andere tierärztliche Kosten, Meldegebühren, Transport zu den Rennen, Gebühren für den Jockey. Mit der Pacht ist man vorübergehend an den laufenden Kosten und am Gewinn beteiligt, man erwirbt keinen Teil des Pferdes. Im Vertrag steht, das SZ-Magazin sei »nur in dem Maße an den erzielten … Renngewinnen beteiligt, wie es dem Maß der Kostenbeteiligung … an den Unterhaltskosten der Stute Valuable Vista in dem Zeitraum vom 01.07.–31.12.2021 entspricht«. Mit einem Sieg heute hätte Valuable Vista 3750 Euro verdient, für den fünften Platz gibt es nur 375 Euro. Laut der Abrechnung bleiben dem SZ-Magazin 43 Euro und 99 Cent, das sind genau 11,73 Prozent des Gewinns nach allen Abzügen.
Die Trainerin muss auch weiter, zum nächsten Pferd, zum nächsten Rennen. Bergmann fragt: »Wie finde ich euch nachher? Ich hab Äpfel für Valuable mit.« Jeden Samstagvormittag fährt er mit klein geschnittenen Äpfeln auf die Rennbahn in Mülheim zu seinen Pferden, neben Valuable Vista gehört ihm ein kleiner Teil von Lancade. Dieses Pferd hat er – das hört sich jetzt an wie ein Märchen – in einer Weinlaune zusammen mit fünfzehn anderen Galoppfans für 19 000 Euro gekauft. 2020 gewann Lancade, die man Französisch ausspricht, einen Rennklassiker, das »German 1000 Guineas« in Düsseldorf, 35 000 Euro für den Sieger. Und sie gewann weiter, ein Züchter bot der Besitzergemeinschaft nun schon 110 000 Euro, sie möchten aber mehr für sie, vielleicht 150 000. Das, sagt Bergmann, ist der Sinn der Rennen: die Zuchtauswahl für den Sport zu treffen. Und wenn ein Pferd sich als der Zucht würdig erweist, wie Lancade, liegt darin der größte Gewinn.
Das 1000-Euro-Projekt
Diese Texte sind im Rahmen eines Experiments des SZ-Magazins entstanden, bei dem Journalistinnen und Journalisten versuchten, 1000 Euro innerhalb eines Jahres auf verschiedenste Art und Weise zu vermehren. Sämtlicher Gewinn wird dabei gespendet. Hier geht es zu allen Artikeln des 1000-Euro-Projekts.
Ich habe lange nach einem Pferd gesucht. Ich wollte es anfassen und mitfiebern können, es sollte oben mitspielen, wie Lancade, und ich musste wieder aussteigen können, die knapp zehn Prozent nicht wirklich erwerben, sondern pachten. Über Anbieter wie vollblutmarktplatz.com und pferdewettenblog.de kam ich nicht weiter, die Besitzergemeinschaften sind auf längere Zeit angelegt, und oft steigt man nicht in ein Pferd mit ein, sondern in eine Stallgemeinschaft. Also probierte ich es über die Trainer.
Die großen Trainer gewinnen die meisten Rennen. Henk Grewe aus Köln wurde 2019 und 2020 Trainer-Champion, vorher war es viele Jahre lang Peter Schiergen, auch aus Köln, mit je rund 80 Pferden im Stall. Riesenbetriebe, kaum eine Chance, sich mal in Ruhe mit dem Trainer zu unterhalten. Yasmin Almenräder aus Mülheim an der Ruhr ist eine der wenigen Frauen im Geschäft, sie spielt oben mit, obwohl sie nur 35 Pferde im Training hat.
Im März haben wir telefoniert, sie hatte ein Pferd im Sinn, Lady Charlotte, aber dann wechselte Lady Charlotte den Besitzer. Anfang Juni der erste Besuch in Mülheim, ein sonniger Morgen. Yasmin Almenräder begleitet das dritte Lot, so nennt man eine Trainingsgruppe, zur Bahn, ihr Hund trabt hinterher, neben ihr geht die Tierärztin, die fünf Pferde galoppieren erst verhalten und dann immer schneller, ein schönes Bild, wie sie sich strecken und über den Rasen fliegen. Im Training, erklärt Almenräder, geben die Pferde höchstens 85 Prozent, im Rennen genauso, auf hundert Prozent kommen sie erst auf der Zielgeraden.
Zurück im Stall zeigt sie mir die drei Pferde, die infrage kommen: Souldream, dreijährig, dunkelbraun, freundlich, er ist in Ausgleichsrennen gelaufen, das sind die unteren Ligen, die Listen- und Grupperennen sind die oberen Ligen. Ausgleichsrennen sind nicht hoch dotiert, für einen Sieg gibt es um die 3000 Euro. Souldream müsste im Sommer einige Male gewinnen, um mehr aus meinen 1000 Euro zu machen. Ähnlich schätzt sie Damanda Pride ein, eine vierjährige, kleine Stute mit rotgraumeliertem Fell. Die beiden sind, wie man so sagt, risikoarme Geldanlagen.
Riskanter ist eine Beteiligung am dritten Pferd. Valuable Vista ist erst zwei Jahre alt und darum noch kein Rennen gelaufen, da ist alles drin, sie hat eine gute Abstammung, sagt Almenräder, ihr Vater ist Guiliani, dessen Großvater mütterlicherseits Monsun war, der bedeutendste deutsche Vollblut-Vererber über Jahrzehnte. Aber das muss nichts heißen, sagt Almenräder, eine gute Abstammung haben viele Pferde, sie ist schnell, aber schnell sind auch viele Pferde. Die wirklich guten, sagt Almenräder, sind gelassen, einfach zu handhaben, schon von klein auf routiniert, und sie verrichten ihre Arbeit gern. »Pferde sagen es einem, wenn sie nicht wollen.« Und Wilma, wie sie Valuable Vista im Stall Almenräder nennen, will. Sie hat, sagt Almenräder, alles, was ein gutes Rennpferd braucht. Valuabale Vista soll hochdotierte Listen- und Gruppenrennen laufen.
So ein Vormittag bei Yasmin Almenräder ist streng getaktet. Ständig geht es hin und her zwischen den Ställen, der Galoppbahn, auf der sie jeden Tag sechs oder sieben Lots trainiert, und der Führanlage, in der die Pferde Schritt gehen. Ständig will jemand was von der Chefin, da frisst ein Pferd nicht richtig, da bockt ein anderes am Tor zur Bahn, die Reiterin wird nervös, fragt, was soll ich tun? Ruhe bewahren, sagt Almenräder, die immer die Ruhe bewahrt.
Die Rennen stehen in der Kritik
Ihr Tag beginnt um fünf Uhr früh, mittags hockt sie im Büro in einem Stahlcontainer, vor ihr ein Haufen Brötchentüten fürs Team, und guckt mit der Tierärztin die Röntgenbilder der Zweijährigen durch. Wenn sich die Wachstumsfugen in den Vorderfußwurzelgelenken geschlossen haben, ist das Skelett belastbar, sodass sie starten dürfen, vorher ist es nicht erlaubt. Bei der nächsten Untersuchung ist Valuable Vista dran, dann zeigt sich, ob sie im Herbst auf die Bahn darf – und ob es für mich sinnvoll ist, bei ihr einzusteigen.
Die Zweijährigen-Rennen stehen noch stärker als der gesamte Galopprennsport in der Kritik. Tierschützer meinen, dass sich zweijährige Pferde weder physisch noch psychisch für die Belastungen auf der Rennbahn eignen. Ein Gegenargument, das immer kommt, ist eigentlich keines, weil es rein wirtschaftlich ist: Im internationalen Vergleich wäre der deutsche Galopprennsport tot, gäbe es keine Zweijährigen-Rennen mehr. Ein anderes beliebtes Argument: Die Pferde, die zweijährig rennfertig sind und an den Start kommen, werden dreijährig gut. Anders gesagt: Achtzig Prozent der sehr guten Drei- bis Vierjährigen sind zweijährig gelaufen. Wieder eine Binnensicht. Anruf bei Stephen Eversfield, einem Tierarzt, den mir mein persönlicher Lieblingspferdetierarzt, der von Galoppern leider nichts versteht, als sachkundig und objektiv empfohlen hat. Eversfield, das muss man allerdings dazu sagen, züchtet Vollblüter.
Ginge es nach hartgesottenen Tierschützern, meint Eversfield, dürfte kein Pferd mehr geritten werden. Und wenn kein Pferd mehr geritten würde, gäbe es bald keines mehr. Denn wir brauchen heute Pferde nicht mehr als Nutztiere, sondern für Sport und Freizeit. Aber das ist nur die eine Seite. Die andere: Das Vollblutpferd wird seit Generationen auf Schnelligkeit und Frühreife gezüchtet. Der Galopprennsport, sagt er, ist extrem gut überwacht, es gibt einen standardisierten Fahrplan zur Prüfung des psychischen und physischen Zustandes der Pferde, eine Art objektive Reifeprüfung. Kein Trainer und keine Trainerin würde ein unzureichend reifes oder unzureichend vorbereitetes Pferd ins Rennen schicken, sondern sehr genau prüfen, welchem Pferd sie oder er welche Leistungsanforderungen stellt.
Pferde, fügt er an, sind Lauftiere und auf der Bahn mit Federgewichten und geradeaus unterwegs, sie sind ausgelastet, anders als viele Pferde, die ihrem Bewegungsbedürfnis unzureichend gehalten werden.
Wenn Pferde früh trainiert werden, so sagt es Yasmin Almenräder, bleiben sie länger gesund. Der Körper wird durch die frühe leichte Belastung auf die spätere Beanspruchung vorbereitet und passt sich an. Das heißt nicht, dass sie Rennen laufen müssen, das gilt nur fürs Training. Und es gibt Zweijährige, sagt sie, die haben noch ein Babybäuchlein, mit denen fängt man erst später an.
Die Untersuchung ergibt, dass Valuable Vista rennfertig ist. Damit ist die Sache klar: Sie wird’s. Bis Baden-Baden passiert erst mal nichts, außer dass sie sich gut macht, wie Michael Bergmann mir immer wieder per SMS berichtet.
In Baden-Baden spaziert Bergmann an jenem Nachmittag im September hinüber zu den Stallungen. Es ist zwei Stunden her, dass Valuable Vista gelaufen ist, sie wirkt entspannt, nagt an Strohhalmen, Bergmanns Äpfel frisst sie nur mittelbegeistert, aber das ist normal, sie ist nicht gierig. Auf ihren Vorderbeinen klebt graue Tonerde zum Kühlen. Tage später berichtet Yasmin Almenräder am Telefon, Valuable Vista habe »den Ausflug gut weggesteckt, kein Gewicht verloren, war nicht müde, so soll es sein. Beim zweiten Rennen wird sie ganz anders anpacken«.
Ende September schreibt mir Michael Bergmann: »Sie können das Rennen im Livestream auf deutscher-galopp.de verfolgen. Schauen wir mal, wo wir landen. Zutrauen ins Pferd haben sowohl Yasmin als auch Adrie.« Es wird spannend.
Am Samstag, dem 9. Oktober, um 13.15 Uhr wieder eine SMS von Bergmann: »Valuable wird heute leider nicht laufen, sie hat Nasenausfluss und zeigt unklare Symptome. Da wäre es unverantwortlich, das Pferd starten zu lassen.« Angehängt ein Foto, die Nüstern eines Pferdes, aus denen Schleim läuft. Das ist bitter. Ich verfolge das Rennen im Livestream, leider ohne aufgeregt zu sein, Atomic Blonde gewinnt souverän, Trainer: Henk Grewe. Eine Woche später wird Valuable Vista immer noch behandelt, Streptokokken, der Preis der Winterkönigin findet ohne sie statt, obwohl sie qualifiziert war. Traurig. Die Siegerin: Lizaid, trainiert von Peter Schiergen.
Souldream wurde im Sommer zweimal Vierter und hat 1050 Euro verdient, da wären mir keine hundert Euro geblieben. Damanda Pride hat zwei Ausgleichsrennen und 5900 Euro gewonnen, sie wäre die beste Investition gewesen. Valuable Vista war, bisher zumindest, die schlechteste Wahl. Für den 21. November, die Pacht läuft noch, ist sie in München gemeldet. Wer weiß, was wir noch von ihr hören werden.
Verlust: 957,01 Euro.
Erkenntnis: Ein kleinerer Anteil, aber dafür an einem Favoriten, wäre weniger riskant gewesen.
Gabriela Herpell
spielt nur ganz selten um Geld. Denn sie weiß, dass sie, wenn sie einmal angefangen hat, nicht gut aufhören kann. Nun überlegt sie, privat ihren Anteil an Valuable Vista zu halten. Es kann ja nur besser werden.
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Ein Auschnitt aus einem Geldschein aus Paraguay.