Grunewald, das bedeutet schlossartige Stuckriegel, dunkel wuchernde Bürgergespinste, feudale und fiese Fassaden, historisierende Unsicherheit, modernistische Großkotzigkeit, verspiegelte Eingänge, anonyme Klingelschilder, ein paar verfallene Villen von epischer Größe. Grunewald, das ist eine Enklave zwischen Avus, Wald und den Wohlstandsvillen jenseits der Hubertusallee, wo sich der ruhige Reichtum mehr und mehr im urbanen Einerlei von Wilmersdorf verliert.
Grunewald, das heißt also ziemlich viele ziemlich schöne Häuser und dann und wann so eine legohafte Kopfgeburt, wie sie sich Katar als Botschaftsgebäude gleich an den Eingang des Viertels gestellt hat, ans Roseneck. Grunewald, das heißt auch einen der letzten Symbolorte der BRD zu erkunden, die im Schatten der Schuld entstanden war.
Es gibt noch andere Wege in dieses Viertel, das rein stadtgeografisch so sehr abgegrenzt ist vom Rest der Stadt wie keines sonst in Berlin. Am Roseneck versammelt sich noch einmal all das, was ein eher dörfliches Gefühl von Gemeinsamkeit ausmacht, Optiker, Blumengeschäft, Kaffeehaus und Gemüsehändler, bevor einen die Hagenstraße hineinführt in die Gefilde der Privatheit. Wenn man von der anderen Seite, vom Kurfürstendamm kommt, dann biegt man an der Esso-Tankstelle rechts in die Koenigsallee ab und weiß nach einer Minute, dass man in einer anderen Welt ist. Wenn man die beiden anderen Eingänge benutzt, die eher Ausgänge sind, den Bahnhof Grunewald und die Straße durch den Grunewald zur Autobahn, dann weiß man, dass diese Wege eher für die Dienstboten und Gärtner gedacht sind, die manchmal die einzigen Menschen sind, die man in diesem Viertel morgens um halb elf antrifft. Aber die Geheimniskrämerei ist im Grunewald mehr als eine Spielerei. Das Sektiererische lässt einen den sozialen Unterschied in seiner ganzen Härte so richtig spüren.
Christian Reyher, Psychotherapeut "Die Leute hier wissen oft gar nicht, wo sie leben": Reyher bietet Managementtrainiing und Persönlichkeitsentwicklung an, beim ihm lassen sich Schauspieler, Politiker, aber auch Folteropfer aus dem früheren Jugoslawien behandeln.
Als ich das erste Mal hierherkam, mochte ich nicht, was ich sah, weil es mich auf Fragen zurückwarf, die zugleich wichtig und richtig und trivial sind: Ist Reichtum gerecht? Was macht Geld mit den Menschen? Ist Geld gut? Und warum ist es dort, wo sich Geld besonders krass konzentriert, wo also die Ungleichheit und die Ungerechtigkeit herrschen, warum ist es dort immer besonders schön, ebenmäßig, ausgeglichen, ruhig? Warum hört man hier nicht die Schreie der Ausgebeuteten? Sondern nur das Zwitschern der Vögel, das Gärtnern der Gärtner und das Tschup-Tschup-Tschup von diesen Anlagen, die das Gras wässern, das doch vor sich hin verdorrt, im staubigen Sandboden Berlins?
Als ich das letzte Mal in den Grunewald kam, besuchte ich den Psychotherapeuten Christian Reyher, der wahrscheinlich die schönste Praxis der Welt hat, in einer Orangerie direkt am Hundekehlesee mit seinem bräunlichen, beruhigenden Wasser. Ich spazierte mit dem Techno-DJ Paul van Dyk in der Mittagshitze den stillen Herthasee entlang. Und ich ging endlich zum S-Bahnhof Grunewald, um mir anzuschauen, wo die vielen Tausend Juden abtransportiert wurden – am 12. August 1942 100 Juden nach Theresienstadt, am 13. August 1942 100 Juden nach Theresienstadt, am 14. August 1942 100 Juden nach Theresienstadt, am 15. August 938 Juden nach Riga.
Ich lief über die rostigen Metallwaben, die die Bundesbahn hier 1998 zum Gedenken hingebaut hat, ich versuchte zu verstehen, ob die überwachsenen Gleise in ihrer Symbolik nun besonders pathetisch waren oder angemessen vordergründig, ich suchte in den dürren Stämmen der Bäume nach Anzeichen von Traurigkeit, von Verbrechen, von Schuld. Ich lauschte auf die Ruhe, die doch alles überdecken musste in diesem Viertel.
Paul van Dyk, 38, DJ "Ich habe mir nie vorstellen können, dass ich es hier mal richtig prickelnd finde": Van Dyk wuchs im Ostberliner Bezirk Friedrichshain auf und etablierte sich in den Neunzigerjahren als einer der führenden Techno-DJs.
Ruhe, hatte ich gedacht, und das war auch der Grund, warum ich sie am Gleis 17 des S-Bahnhofes Grunewald gesucht hatte, Ruhe ist ja nie nur ruhig, besonders nicht in einer Stadt wie Berlin. Ruhe, das war die Theorie, Ruhe hat eine Bedeutung, die es zu entschlüsseln gilt. Ruhe ist Verborgenheit, Ruhe ist Geheimnis, Ruhe ist Schweigen. Und Schweigen ist die andere Seite der Schuld.
Wo also ist mein Platz? Das ist eine der wesentlichen Fragen, die ein Besuch im Grunewald aufwirft. Vielleicht hat deshalb in der Zeit neulich jemand geschrieben, dass das Viertel ein »konservativer Sehnsuchtsort« sei, was die Sache nicht ganz trifft.
Man kann sich aber zum Beispiel in die »Wiener Conditorei« setzen am Roseneck und schauen, ob man sich dort wohlfühlt, wo Buttercremetorte noch eine Lebensform ist. Wo die Männer aussehen wie Jupp Derwall, seliger DFB-Coach, berühmt vor allem für seine hellgrauen Haare und seine gelben Pullover von Adidas. Wo die Frauen Lacoste tragen, auch wenn sie gar nicht Tennis spielen, und sich einwickeln in übel riechende Parfumwolken. Hier ist für immer Sonntagnachmittag. So stelle ich mir bei Regen die Hölle vor.
Man kann sich auch ins »Capriccio« setzen am Hagenplatz, wo eine Weile immer gern der Kanzler aß, also Helmut Kohl, als es ihm noch besser ging. »Die Pinkelbude«, so nannte das mit großem Beharren der Immobilienmakler, der nicht mit Namen genannt werden wollte, der wie ein Kettenraucher wirkte, auch wenn er vielleicht gar keiner war, der eine Wildlederjacke zu tragen schien, auch wenn das nur eine falsche Erinnerung sein kann, der am Ende gar nicht so unsympathisch war, wie er es gern gewesen wäre.
Er erzählte davon, wie ruhig es im Grunewald einst war, vor der Wende, als die Menschen hier noch nicht einfach durchfuhren, weil sie irgendwann an die Mauer stießen. Er erzählte auch von den Russen, die in den Neunzigerjahren kamen, »B-Russen«, wie er sagte, »die anderen leben in London«. Aber auch die B-Russen sind meistens Verbrecher, sagte er, wie sonst kommt man so schnell an so viel Geld?
Die B-Russen sitzen heute eher im »La Cascina« und nicht im »Capriccio«, das übrigens tatsächlich einmal eine Pinkelbude war, die irgendwann in ein Restaurant umgewandelt wurde. Kohl thronte hier wie der BRD-Buddha, der er immer sein wird, forever 1982, forever Geistigmoralischewende. Dieses Jahr 1982 ist vielleicht auch das Ur-Grunewalddatum, es markiert in seiner Nachkriegsseligkeit, in seiner Wohlstandsdämmrigkeit, in seinem »Wir schauen eher nach Paris als nach Potsdam« so etwas wie den Höhepunkt und auch Endpunkt jenes schattigen Glücks, in dem die Menschen hier während der Wende lebten. Ein besonderes Dokument dieses forever 1982 zwischen geistesgeschichtlichen und erotischen Fluchten lieferte der Schriftsteller, Schwadroneur und Salongelehrte Nicolaus Sombart mit seinem Grunewaldbuch Journal intime 1982/83 – dessen eigentlicher Schauplatz nur ein paar Meter hinter dem »Capriccio« liegt.
Gabriele Zimmer, 52, Heilpraktikerin "Ach, übrigens, das war auch einmal die Villa von Hildegard Knef": Heute ist in den zwölf Zimmern Violetta Clean untergebracht, eine WG für suchtmittelabhängige Frauen, die Gabriele Zimmer leitet.
»Antrittsbesuch in der Hagenstraße 5«, schreibt Sombart am 13. Oktober 1982 in sein Tagebuch. »Ein süßes Mädchen, 18, une vraie rousse, geschwätzig und anschmiegsam – Muriel. Au revoir. Gar kein Luxus. (DM 150,– ist auch das Mindeste, das man ausgeben muss, um ein ›anständiges‹ Mädchen, mit dem man ins Bett will, auszuführen.)«
Nicolaus Sombart war der Sohn des viel berühmteren Soziologen Werner Sombart, er verbarg seine Selbstzweifel hinter Selbstüberschätzung, er war
Fellow am 1981 gegründeten Wissenschaftskolleg, ein paar Straßen weiter in der Wallotstraße, einer Gelehrtenkonstruktion des Kalten Krieges, die sich Peter Glotz von der SPD ausgedacht hatte, um Berlin ein wenig leuchten zu lassen.
Heute ist der Eingang zur Hagenstraße 5 von einer Hecke zugewachsen, am Haus wird gebaut, und von dem heimlichen Lärm, den spaßigen Exzessen ist wenig zu merken. »Es herrscht großer Betrieb. Muriel macht mir sofort süße Augen und rauf geht’s – eine Supernummer. Nebenan eine grölende, quietschende partouze. Die Mädels huschen nackt, nur eben ein Handtuch umgeworfen, hinunter, um Champagner und Bier nachzuholen. Rauche anschließend noch genussvoll eine Zigarre an der Bar. Die Mädels sind teilweise wirklich auffallend hübsch und ›distinguiert‹. Man könnte sich mit ihnen überall zeigen.«
Sombart ist in seiner sorgfältigen Dekadenz und seiner gepflegten Vorkriegshaftigkeit eine reine BRD-Erscheinung – weil es ja gerade diese Widersprüche sind, diese Ungeradigkeit, die heute auffallen, weil sie im Grunewald fehlt.
Es gibt sie zwar immer noch, die mächtigen, großmächtigen, vielleicht herrischen, vielleicht gemeinen, vielleicht gebildeten alten Männer, die durchs Viertel geistern. Artur Brauner etwa, der Filmproduzent und Immobilienbesitzer, der das Geld gab für die Mabuse-Filme und Winnetou und Die weiße Rose, und von dem die Leute heute als Erstes erzählen, wie skandalös schlecht er seine Mieter behandelt. Oder der Altgermanist Peter Wapnewski, der Nicolaus Sombart nach Berlin holte, der 1981 Gründungsrektor des Wissenschaftskollegs war und heute 88-jährig im Grunewald zwischen Blumen und Baumkronen auf seinem Balkon sitzt und langen Sätzen nachschaut und von der Sonne braun und immer brauner wird.
»Das Berlin von damals war eine nur mit Tanger vergleichbare Stadt«, sagt Wapnewski und meint damit die fürstliche, köstliche Insellage der Stadt. In den späten Sechzigerjahren wurde er als Professor der Freien Universität von den Studenten aus Berlin vertrieben, 1981 kam er wieder zurück und wurde gleich für das Elitenprojekt Wissenschaftskolleg gegeißelt. Viel von den Verletzungen, viel von dem Stolz sind bei ihm immer noch spürbar. Er erzählt vom großen jüdischen Gelehrten Gershom Scholem, der im ersten Jahr am Wissenschaftskolleg war, bevor er nach Israel zurückfuhr und dort starb, und natürlich spielte es eine Rolle, dass er jüdisch war, weil ja die BRD ein großes Wiedergutmachungsprojekt war.
Und wo konnte man das besser zeigen als hier, im Grunewald, dieser Villenkolonie, die erst Ende des 19. Jahrhunderts gebaut und von Anfang an geprägt wurde von einer Mischung aus Reichen und Künstlern, von denen viele schon damals jüdisch waren, als das noch ziemlich egal war. Reichsaußenminister Walther Rathenau lebte hier, der Regisseur Max Reinhardt, die ganze Familie des Kritikers Alfred Kerr, dessen Tochter Judith ihre Grunewald-Kindheit in dem Klassiker Als Hitler das rosa Kaninchen stahl beschrieb. Lang ist die Liste der Menschen, die ihre Geschichten im Grunewald gelassen haben. Der Verleger Samuel Fischer, der Schriftsteller Lion Feuchtwanger, der Theologe Karl Bonhoeffer, der Mediziner Ferdinand Sauerbruch, der Bankier Felix Koenigs.
Peter Wapnewski, 88, Germanist "Das Berlin von damals war nur eine mit Tanger vergleichbare Stadt": Der Grunewald, wo Peter Wapnewski 1981 das Wissenschaftskolleg mitbegründete, wurde nach dem Fall der Mauer zu seinem Refugium.
Und so gibt es immer wieder diese Wikipedia-Momente im Grunewald, wenn sich hinter einer Wirklichkeit die Tür zu einer anderen öffnet. Bei Gabriele Zimmer etwa, die Violetta Clean leitet, eine therapeutische Wohngemeinschaft für suchtmittelabhängige Frauen. Zwölf Zimmer hat die etwas heruntergekommene Villa und einen schönen Garten. Wichtig sei dieser Garten für die Frauen, sagt Gabriele Zimmer. Seit 1982 gibt es Violetta Clean, eine BRD-Gründung wie das Wissenschaftskolleg. Es war die Zeit nach den Aufbrüchen der Siebzigerjahre, die Zeit der Anti-Psychiatrie, der Reformen und der Neudefinition von Krankheit. »Es ist eine gesunde, heilsame Umgebung hier«, sagt Gabriele Zimmer.
Sie ist freundlich, unkompliziert, offen und hat einen deutlich süddeutschen Dialekt, den man auch nach vielen Jahren Berlin noch durchhört. Sie erzählt, dass Violetta Clean im Viertel nicht sonderlich beliebt sei, was nicht überrascht. Die Villa ist gemietet, der Grunewald schien damals wie heute, nicht ganz zu unrecht, sehr weit weg zu sein von den Drogengegenden der Stadt. Die Ruhe hier im Haus hat etwas Reinigendes, sie ist aber auch deutlicher als sonst spürbar, als Herausforderung, als etwas, was man aushalten muss. »Ach, übrigens«, sagt Gabriele Zimmer, als wir in dem Zimmer sitzen, das mal ein Salon war und heute ein Therapieraum, »das war auch ein paar Jahre lang die Villa von Hildegard Knef«.
Es ist die Anwesenheit von Geschichte, die spürbare Präsenz von so etwas wie Geist hinter all dem Geheimniskrämerischen, die das Geldviertel Grunewald aus der Dummheit heben, die sonst über solchen Gegenden lastet. Heute sind es eher andere Leute, die hier leben, es fehlen die Knefs, dafür gibt es Mariella Ahrens. Auch sie mag »die Ruhe«, sagt sie, und dass es »kein Geprotze« gibt, wie man es heute eher in Potsdam sieht. Dann erzählt die Schauspielerin von ihrer ostdeutschen Kindheit in der Koppenstraße in Mitte, wo es im Hinterhaus eine Ofenheizung gab und zwei Zimmer für die Familie, und später dann in der Straße der Pariser Kommune in Friedrichshain, wo die Wohnung im 20. Stock des Neubaus ein rechter Luxus war. Sie konnte von dort über die Mauer schauen, »in das fremde Land – nie hätte ich gedacht, dass ich mal dort lebe«. Heute baut ihr Mann Patrick Graf von Faber-Castell gerade die Grunewaldklinik um zu Luxusappartements.
Gegenüber ist der jüdische Kindergarten, der von der Polizei bewacht werden muss. Ein paar Schritte weiter ist der Herthasee, wo Paul van Dyk gern mit seinen beiden Beagles spazieren geht. »Die sind so eigensinnig«, sagt er. Paul van Dyk ist wie Mariella Ahrens in Friedrichshain aufgewachsen. Auch Jeanette Biedermann lebt im Grunewald, sie wuchs in Prenzlauer Berg auf. Es sind Kinder von der Schattenseite der Mauer, die heute in der BRD-Enklave leben. »Ich habe mir das nie vorstellen können, dass ich es hier mal richtig prickelnd finde«, sagt Paul van Dyk, der sonst im gemieteten Privatjet hierhin und dorthin fliegt und in Las Vegas vor 10 000 Menschen Techno spielt. Er trägt einen hellblauen Wollpulli. Er schaut auf die Bäume, er schaut auf den See. Irgendwo, sehr entfernt, bellt ein Hund.
Wolfgang Roeb, 50, Tenisclub Blau-Weiss "Das haben wir alles nicht nötig", sagt Roeb und meint russische Oligarchen und reiche Araber. In seinem Tennisclub spielt seit je das politische Establishment des alten Westberlins auf.
Ist der Grunewald also zwanzig Jahre nach dem Ende der BRD immer noch ein politischer Ort, ein Ort, an dem die Gegenwart Gestalt annimmt? Oder ist er eher ein ganz normales Stadtviertel, etwas am Rande einer immer noch unsicheren Hauptstadt, ein Viertel, das von Menschen bewohnt wird, die so überraschend berlinerisch sein können, wie man sie sonst in dieser Stadt, die vor allem von Münchnern, Stuttgartern, Hamburgern, Leipzigern bewohnt zu sein scheint, recht selten antrifft?
»Fährt sich jut«, sagt etwa der Sehr-Berliner, der auf der Terrasse des Tennisclubs Rot-Weiß sitzt. Man hört ja, dass es dem Club gar nicht gut geht, weil ihm die Mitglieder davonlaufen. Das riesige Stadion thront traurig in dem Gelände, seit die German Open hier nicht mehr stattfinden. Mittags gibt es Schweinesteak mit Nachtisch für 6 Euro 90, die Männer sind alt und unterhalten sich über den neuen Opel Corsa und den nächsten Urlaub. »Nächste Woche fahr ich wieder in die Türkei.« – »Was du immer bei den Kanaken willst.«
Einen Kilometer weiter der Tennisclub Blau-Weiss. Er war immer der Gegenentwurf zum Tennisclub Rot-Weiß, prächtig und teuer. Dass sich daran kaum etwas geändert hat, zeigt die Episode von dem russischen Oligarchen, der erst nach einer Mitgliedschaft fragte und dann danach, was der ganze Club koste. Oder die von den Scheichs, die sich den Club anschauten, einen genauen Plan im Kopf hatten, wie man das Gelände für ein großes Turnier umbauen müsste. »Kommt alles nicht in Frage, haben wir alles nicht nötig«, sagt der Clubdirektor Wolfgang Roeb, der eine kleine Brille hat und ein braun gebranntes Gesicht. Etwa 1200 Euro kostet die Mitgliedschaft im Jahr, die Aufnahmegebühr ist deutlich höher, 2900 Mitglieder hat der Club. Richard von Weizsäcker kommt zum Schwimmen, Schönbohm von der CDU zum Tennis. Vor der Wende konnte man im Club am Wochenende nur Doppel spielen, so voll war es, so elitär war es gleichzeitig. Seit der Wende dient der Club wieder seiner eigentlichen Funktion: Er ist die Hecke, hinter der man sich trifft. Plopp-Plopp-Plopp, so ist die Ruhe hier eingefasst.
Bei Rot-Weiß ist die Ruhe eher prekär. Ruhe ist eben nicht nur eine Frage der subjektiven Wahrnehmung. Ruhe, das merkt man hier, ist eine Funktion des sie umgebenden Raums. Jemand wie Christian Reyher kann einem das sehr gut erklären. Er hat seine Praxis in einem Schloss wie aus einem Billy-Wilder-Film, ein Papierfabrikant hat es sich in den Zwanzigerjahren gebaut, zog aber nie ein, weil er Pleite machte.
Reyher hat die Orangerie gemietet. An seinem Schild steht »Psychoanalyse, Managementtraining, Persönlichkeitsentwicklung«, er hat ein weißes Hemd, silberne Haare, eine kleine goldene Brille und ein großes Selbstvertrauen. Kann man an so einem paradiesischen Ort überhaupt arbeiten? »Die Ruhe hier ist sehr sehr heilsam.« Sind Sie so erfolgreich, wie es scheint? »Ja.«
Reyhers Stimme fügt sich perfekt zu dem sanften Geräusch des Rasensprengers. Wir sitzen hinter dem Schloss am See und trinken Eiscafé.
Reyher erzählt von seiner Arbeit als Neuroanatom, von olfaktorischen und emotionalen Systemen, vom Vater, der 1952 in den Westen kam, weil seine Pharma-Firma in der DDR beschlagnahmt wurde, er erzählt von der Kindheit in Wilmersdorf, von der Ausbildung zum Psychoanalytiker, von den Missbrauchsfällen und den Folteropfern aus dem ehemaligen Jugoslawien, die er hier behandelt hat, er erzählt von den Managern, Schauspielern, Politikern, Musikern, Regisseuren, die er heute behandelt, er erzählt von Erfolg und Schieflage und scheint dabei wie jemand, dem das Wort Krise oder Bruch für die eigene Biografie sehr fremd ist. Der Reichtum der Menschen im Grunewald faszinierte ihn eine Weile, bis er merkte: »Die wissen oft gar nicht, wo sie leben.« Und so spielen sie Golf, gründen Stiftungen, kriegen Kinder und Tinitus.
Drüben am anderen Ufer des Hundekehlesees bellt ein Hund. Es ist gut und beruhigend zu hören, dass das Paradies unglücklich macht. Das gehört zur Fabel, die wir uns von den Reichen erzählen. Und überhaupt, was heißt denn schon reich? B-Russen! Und das echte Geld, hatte der Immobilienmakler gesagt, das zieht doch weiter raus, nach Potsdam etwa. Tschup-Tschup-Tschup macht es zum Abschied. Der Gärtner, der die Spritzanlage anstellt, nickt freundlich. Das Tor ist schwer und groß, daneben ist eine kleine Tür, durch die man dieses Anwesen verlässt. »Krrnkk« macht die Tür. Dann bin ich wieder draußen.
Fotos: Oliver Mark