Kürzlich fuhr ich nach Jena. Ich war schon oft in Jena. Jena ist schön. Jena liegt im Saaletal. Jena hat einen Bahnhof, der »Paradies« heißt. Immer wenn ich nach Jena fahre, fallen mir die großen Rohre auf, die neben der Bahnlinie verlaufen; manchmal überqueren sie auch die Straßen und verlaufen auf der anderen Straßenseite weiter, große, gelegentlich blau gestrichene Rohre. Es ist, als möchte Jena sagen: Siehe, Reisender, was für große Rohre wir uns hier leisten können! Was für Riesenjenarohre!
Dann überlege ich immer, was diese Rohre für einen Zweck haben könnten. Macht Carl Zeiss optische Experimente, Versuche an Menschen, die in Röhren schauen? Werden hier die Jenaer Bürger aus den Vorstädten ins Zentrum geschossen, zum Arbeiten und Einkaufen? Hat Jena, während der Genfer Teilchenbeschleuniger stillliegt, hier längst seine eigene Tempoteilchenröhre? Dann erklärte mir ein Jenenser (das sind Menschen, die in Jena geboren wurden und hier leben, im Unterschied zu Jenaern, die nur hier leben, aber anderswo zur Welt kamen), dass man zu DDR-Zeiten nicht genug Geld hatte, die Rohre zu vergraben. Viele Städte haben solche Rohre, hier jedoch sieht man sie. ✲
Übrigens habe ich mir für meine Reisen nach Jena und anderswohin einen Rollkoffer gekauft. Jahrelang habe ich mit dem Rollkofferkauf kokettiert, immer jedoch Abstand davon genommen, weil ich nicht zur Masse der ratternd Rollkoffer übers Trottoir ziehenden Rollkofferchauffeure gehören wollte, sondern ein lässig-kraftvoll sich die lederne Reisetasche über die Schulter werfender Mann. Und auch weil Paola meinte, Rollkoffermänner sähen aus, als seien sie zu schwach, Koffer zu tragen.
Nun habe ich resigniert. Ich bin 53, die Schulter tut mir weh, es ist die Sehne am Supraspinatusmuskel, das haben viele, und ich habe, wie sie, ein Recht auf Kofferrollen. Bis der frei neben dem Reisenden auf Luftkissen schwebende Koffer erfunden ist oder man seinen Rohrkoffer durch über- oder unterirdisch verlaufende Röhren ans Ziel schießen kann, werde ich meinen Ratterkoffer ziehen.
Im Internet habe ich eine englischsprachige Seite entdeckt, die unter dem Motto steht: Make the world a better place – uninvent something. Wie übersetzt man »uninvent«? Unerfinde etwas. Mach eine Erfindung rückgängig. Stell dir vor, es hätte sie nie gegeben, und verbessere so die Welt.
Natürlich kommt da sofort der ganze einfallslose Kram: Waffen weg, Mobiltelefone weg, Religion weg, Geld weg … Ich persönlich würde kleinere Dinge nennen, den VfL Wolfsburg und die Redewendung »nicht wirklich«. Und die Nordic-Walking-Stöcke, Rollkoffer des Freizeitsportlers. Den Wok. Neulich habe ich von Leuten gehört, die zur Hochzeit drei Woks geschenkt bekommen haben; sie sind seitdem der Ansicht, man hätte Woks erfinden sollen, aber nicht so viele.
Sehr gut finde ich die Idee, die Krawatte zu unerfinden. Nicht nur gibt es nichts Nutzloseres als die Krawatte. Ich glaube, man kann auch mit gutem Grund behaupten, die Finanzkrise hätte es ohne Krawatte nicht gegeben. Wenn man sich die Verursacher dieses Weltdesasters ansieht: alles Krawattenträger, Menschen mit Blutstau im Hirn. Wer trägt praktisch nie Krawatte? Ich. Und ich bin nachweislich unschuldig. Also.
Auf dieser Internetseite schlägt Rosebud die Unerfindung der elektrisch beleuchteten Pfeffermühle vor. Begründung: »Wenn du dein Essen nicht sehen kannst, solltest du auch keinen Pfeffer drantun.«
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Leser S. hat an den Wortstoffhof geschrieben, sein Sohn Maxi habe schon Jahre vor der Wirtschaftskrise etwas erfunden, das jegliches Aufkommen schlechter Laune verhindere: Man gehe ins Schwimmbad und lasse sich dort vom »Stimmungskanal« mitreißen.
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Dabei fällt mir ein: die auffällig gut gelaunten Gesichter der Jenenser und Jenaer! Haben sie längst einen Stimmungskanal, außerhalb der Schwimmbäder, in den Röhren …?