Mehr als jedes andere Tier ist der Hamster ein Missverständnis. Solange der Mensch noch nicht in mehr oder weniger rein künstlichen Umwelten lebte, sondern in einer Art direkten Kontakts mit der Natur, war ihm der Hamster ein Feind und ein Opfer; man aß Hamsterfleisch, häutete das Tier, um sein Fellchen zu nutzen, und grub seine Bauten aus, um die dort angelegten, umfangreich gehamsterten Körnervorräte zu gewinnen.
Das ist vorbei, denn Fleisch gibt es heute in der Kühltheke, Kleidung bei H&M und Körner im Biomarkt.
Dennoch ist der Hamster beliebter denn je. In großer Zahl bevölkert er insbesondere Kinderzimmer, er führt ein Leben in Laufrädern und zwischen Sofakissen. Als es noch Plattenspieler gab, fuhren die Hamster Karussell auf den Plattentellern, heute irren sie oft durch Playmobil-Burgen oder ziehen Hochzeitskutschen, in denen Barbie-Puppen sitzen. Der Grund ist ihre Niedlichkeit. Wie die Kuh Milch produziert, das Kalb sein Fleisch zur Verfügung stellt und der Fisch sein Stäbchen, so geben Hamster dem Menschen ein Gefühl, das unaussprechlicher Possierlichkeit nämlich, nein Süüüüüüßigkeit. Der Hamster ist ein lebendes Plüschtier, mit weichem Fell und putzigem Äußeren, und könnte man das Drollige auf Flaschen ziehen wie einen Saft, so wäre aus einem einzigen Hamster wohl ein Liter pro Tag zu gewinnen.
Man muss nun aber wissen, dass der Hamster dieses Leben hasst. Es gibt ja auf dieser Erde kein anderes Wesen, dem der Hamster irgendwie von Herzen zugeneigt wäre. Auch andere seiner Art sind ihm zuwider, er ist ungesellig und voller Missmut, und trifft ein Hamstermann eine Hamsterfrau, so droht dieser entweder Sex oder Tod, denn außerhalb der Paarungszeit beißt der Hamster die Hamsterin einfach weg, er nimmt ihr das Leben – so steht es jedenfalls in Brehms Tierleben, das am Hamster nur dessen Mut zu loben weiß, mit dem er selbst Hunden schwer zu schaffen macht und Raubvögeln noch in der Luft Paroli bietet. »Oft genug kommt es vor«, schreibt Brehm, »dass man ruhig an einem Hamsterbau vorübergeht und plötzlich das wütende Tier an seinen Kleidern hängen hat.«
Mag sein, dass in Jahrhunderten von Käfigleben und Gestreicheltwerden hier blanke Resignation und Selbstaufgabe manches abgeschliffen haben. Doch in Wahrheit kocht und brodelt im Hamsterinneren bis heute nur bloßer Zorn.
Nun aber Folgendes: In Japan gehören zu den erfolgreichsten Büchern des Landes zurzeit zwei Werke, die nichts anderes zeigen als Hamsterhintern, also Hamster von hinten, zwei Beine, Fell und ein Stummelschwänzchen. Hamuketsu heißt das eine dieser Werke, Hamuketsu – so süß, dass man ohnmächtig wird das andere, wobei Hamuketsu ein Kunstwort ist, das die Begriffe Hamster und Ketsu (das japanische Wort für Gesäß) vereint. Fast 40 000 dieser Bücher sind in kurzer Zeit verkauft worden, bitte: Das gedruckte Buch, bedroht von der Elektronik, findet seine Rettung in der Abbildung von Hamstergesäßen – wer hätte das gedacht?!
Auf der Internetseite von BBC News ist zu diesem Thema zu lesen, hier manifestiere sich erneut der zurzeit mächtigste Trend der japanischen Kunst, welcher sich auch in Musik und Mode zeige: das Hübsche, Süße, Hinreißende, Kuschelige, das mit alten japanischen Traditionen wie dem Minimalismus konkurriere.
Wobei man sagen muss, dass ein Hamster-Po etwas äußerst Minimalistisches ist, man sieht nichts Kompliziertes, kein Gesicht, keinen Ausdruck, nur Schwanzfellbeine, die in einem Bau verschwinden, hinter einem Kissen, in einem Futterkasten oder einfach einem Loch. Wieder einmal stellen die Hamster der Welt auf diesen Bildern hektoliterweise Putzigkeit her, die von Menschen hektisch konsumiert wird.
Der Hamsterkenner aber erkennt nichts Entzückendes, er sieht bloß, Bild für Bild, Hintern für Hintern, immer wieder nur das Eine, den einen kurzen Hamstersatz: Leckt mich am Arsch!
Illustration: Dirk Schmidt