Die New Yorker Gesundheitsbehörde hat den Angestellten Ronald Dillon für zwanzig Tage vom Dienst suspendiert, weil er am Telefon Anrufer mit imitierter Roboterstimme begrüßte. Die Leute hätten sich beschwert, hieß es.
Seltsam: Menschen wollen nicht mit Menschen telefonieren, die Roboter nachmachen. Aber wir telefonieren Tag für Tag mit Robotern, die sich hinter Menschenstimmen tarnen. Ob in der Arztpraxis oder bei der Kreditkartenfirma, überall fordert uns erst einmal eine menschliche Stimme auf, eine 1 oder eine 2 zu drücken oder dies und jenes zu sagen. Doch hinter der Stimme steckt eine Maschine.
In Amerika ist viel mehr als bei uns das sogenannte Telemarketing verbreitet: Man bekommt einen Anruf von einer Firma, die eine Versicherung verkaufen will, jemand verwickelt einen ins Gespräch – aber wer ist jemand?
Mensch? Maschine?
Ein Reporter von Time hat eine Anruferin, die natürlich sprach und freundlich lachte, gefragt, was die wichtigste Zutat einer Tomatensuppe sei. Als er keine befriedigende Antwort erhielt, bat er, sie möge sagen: »Ich bin kein Roboter.« Die Antwort war: »Ich bin eine wirkliche Person.« Der Reporter bestand immer wieder darauf, sie möge sagen: »Ich bin kein Roboter.« Die Antwort war Lachen, eine Nachfrage (»Was?« oder »Können Sie mich gut verstehen?« oder »Sind Sie noch da?«) sowie neue Fragen (»Darf ich Ihnen eine Reihe von Fragen stellen: Haben Sie eine Krankenversicherung?«). Der Satz »Ich bin kein Roboter« kam nie.
Warum? Weil die Maschine nicht lügen wollte? Weil Maschinen nicht lügen können? Weil da kein Roboter saß?
Die Wahrheit ist: Da saß ein Mensch. Aber er steuerte eine Maschine. Die mit menschlicher Stimme sprach.
In modernen Callcentern, so las ich auf der Webseite des Magazins The Atlantic, sind in den Computern Gesprächsversatzstücke gespeichert, gesprochen von Männern oder Frauen mit amerikanischem Akzent, freundlich, höflich, dazu Lachen, Nachfragen, ein ganzes Soundboard, das während des Gesprächs von einem Angestellten gesteuert wird. Er speist alles passend zu den Äußerungen des Kunden in die Unterhaltung ein.
Nur »Ich bin kein Roboter« hatte man nicht aufgenommen.
Der Angestellte selbst sagt kein Wort, denn er sitzt auf den Philippinen und hat wahrscheinlich einen Filipino-Akzent, das mögen amerikanische Kunden nicht am Telefon. Gut geschulte Leute führen zwei, drei solcher Gespräche zugleich. Das funktioniert sehr gut, vor allem übrigens für die Angestellten, die sich nicht schräg anreden lassen müssen oder sonst wie in Stress geraten. Die Maschine filtert alle Emotionen aus dem Gespräch. Sie ist nicht müde. Sie hasst ihren Job nicht. Sie macht keine Fehler. Die Kündigungsrate in diesen Callcentern ging rapide nach unten.
Irre, oder? Ein Mensch steuert eine Maschine mit menschlichem Antlitz. Jede Maschine könnte inzwischen wie Ronald Dillon von der New Yorker Gesundheitsbehörde sprechen, aber wenn Ronald Dillon wie eine Maschine spricht, kommen Beschwerden, weil es nicht wie Ronald Dillon klingt, obwohl man wissen könnte, dass jede Maschine Ronald Dillon perfekt zu imitieren in der Lage wäre.
Äh, ja.
Wo wird das enden? Wie wäre es, auch wir bekämen solche Geräte? Und könnten Anrufe menschengelenkter Apparate ebenso beantworten, sodass Geschäftsgespräche per Soundboard erledigt würden? Und auch die privaten? Wer weiß, ob der, der am Telefon »Darling« sagt, wirklich der ist, der auch »Darling« meint? Oder ob der, der »Darling« meinen sollte, im Moment gar nicht »Darling« sagt, weil er »Darling« mal irgendwann auf Band gesprochen hat und jetzt gerade weitere Gespräche mit anderen Darlings führt, in denen er ebenfalls süßeste Darling-Worte abruft?
Während er in Wahrheit Fußball sieht.
Wo bleibt unsere gute alte Wirklichkeit?
Wer hat diesen Text geschrieben?
Illustration: Dirk Schmidt