Der Grundidee des Blindenhundes folgend, dass nämlich ein Mensch zur Bewältigung seines Alltags eines Tieres bedarf, scheint sich in Amerika der Gedanke des Service animal, des Dienst- oder Hilfstieres also, in erstaunlicher Weise verbreitet zu haben: Auch im Bereich der psychischen Betreuung von Mitbürgern hat das Tier seine Aufgabe gefunden, ja, es soll Menschen geben, denen ärztlicherseits ein Emotional support animal verschrieben wurde – aber wie übersetzt man das?
Therapietier?
Gefühlsunterstützungsgeschöpf?
Kriseninterventionskreatur?
Mir persönlich ist das nicht fremd, ich bediene mich im täglichen Leben seit Jahrzehnten einiger sehr lieber und zugewandter Tiere. Ein kleiner Lesungselefant nimmt mir die Nervosität vor Auftritten, beruhigt meine tief sitzenden Ängste vor großen Menschenmengen, flüstert mir Beruhigungsparolen ins Ohr und blättert auf der Bühne mit dem Rüssel die Seiten um. Ein Security-Piranha schwimmt in einer gläsernen Aquariums-Aktentasche, wenn ich auf den Straßen unterwegs bin. Nachts hat er eine Taschenlampe unter der Flosse, leuchtet mir heim, und es ist eine Freude, die Schweißausbrüche der Bösewichte zu sehen, die mir ans Leder wollten, doch nun vor dem kleinen Beißer fliehen. Im Büro lebt ein Parkettmaulwurf in der Tiefe unter dem Arbeitszimmer, und morgens, wenn Furcht vor dem leeren Bildschirm meine Finger lähmt, winkt er aus einem seiner Holzhäuflein hervor und macht mir Mut mit seiner Lebenszugewandtheit.
Aus Amerika nun höre ich von Jodie Smalley, einer Bürgerin Seattles, die auf einem Flug nach Salt Lake City ihren Emotional support Turkey namens Easter mit sich führte, was ihr einerseits sehr half: »Easter dabeizuhaben war ein Quell positiver Präsenz«, sagte Frau Smalley. »Da war jemand, auf den ich mich fokussieren konnte, wenn meine Gefühle überbordeten.« Andererseits trug ihr die Begleitung einen sogenannten Shitstorm ein, und das lag nicht an Easter, die eine speziell für Vögel entwickelte Windel trug.
Ist es nicht übrigens großartig, dass der Mensch nicht nur auf Asteroiden arbeitende Roboter, sprechende Toaster und Betrugsdiesel erfinden kann, sondern auch VOGELWINDELN?! Wäre es nicht möglich, alle Stadttauben der Welt mit VOGELWINDELN auszurüsten? Nein, Shitstorm heißt, wie immer: Es beschwerte sich die allzeit nach Beschwerdegelegenheiten lechzende Internetgemeinde. »Ehrlich«, schrieb einer, »jeder, der einen Truthahn als Haustier hat, benötigt eine Therapie.«
Ja, nun, deshalb hat er ja den Truthahn!
Wobei ich übrigens die Übersetzung von Turkey zu Truthahn für falsch halte. Zoologisch korrekt müsste es Truthuhn heißen, das männliche Truthuhn ist der Truthahn, das weibliche die Truthenne, das nur nebenbei. Ich finde, wenn man leise »Truthuhn« sagt, spürt man sofort eine Welle der Beruhigung durch die Nervenzentren schwappen, probieren Sie es mal: Truthuhn, Truthuhn, Truthuhn … Man könnte nun erzählen von vielen Psychostütztieren, sei es das Dienstschwein Hobie, das vor zwei Jahren samt Begleitung eines Flugzeugs verwiesen wurde, weil es haltlos darin flatulierte und defäkierte, sei es die Boa constrictor, die vergangenes Jahr die Gäste eines Restaurants in Nixa/Missouri in Aufregung versetzte. Dabei handelte es sich nur um eine Service snake zur Behandlung der Depressionen ihres Besitzers.
Aber etwas ist wichtiger. Ich kann das Foto nicht vergessen, das den Blick eines mit einer Vogelwindel versorgten Truthuhns aus dem Flugzeugfenster zeigt, diesen Blick auf schneebedeckte Berge, der Blick eines Vogels, der aus eigener Kraft vielleicht auf einen Baum fliegen kann, aber nicht auf 30 000 Fuß Reiseflughöhe. Ist es nicht ebenso seltsam wie überaus großartig, was der Mensch nur dank seiner Seelendellen zustande bringt?
Illustration: Dirk Schmidt