Helden im Abteil

Geänderte Wagenreihung, Unpünktlichkeit, Zugausfall – jeder meckert über die Deutsche Bahn. Unser Kolumnist ist dagegen voll des Lobes, vor allem für das aufmerksame Zugpersonal.

Illustration: Dirk Schmidt

Neulich in der Bahnhofshalle: die Litanei der Ansagen. Dieser Zug verkehrt von Gleis 18, nicht 19, jener ohne Wagen 11 und Bordbistro, ein weiterer mit einer halben Stunde Verspätung, »Grund ist die medizinische Versorgung eines Fahrgastes«. Beachten Sie bitte die geänderte Wagenreihung! Wiederum ein anderer Zug fällt heute aus.

Wenig später im Großraumwagen des ICE. »Unser Zug hat eine Verspätung von zehn Minuten, Grund der Störung ist eine technische Störung am Zug.« Toilette? Funktioniert nicht. Und Achtung: »Aus Personalgründen kann leider das Bordbistro erst ab Nürnberg geöffnet werden.« Mir egal, ohne Proviant besteige ich schon lange keinen Zug mehr.

Wir fahren nach Nürnberg, erreichen Nürnberg, verlassen Nürnberg.

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In der Reihe vor mir sitzt eine alte Dame. Nun kommt der Kellner, lachend. »Guten Tag, wie schön, dass Sie da sind! Kann ich Ihnen etwas aus dem Bordrestaurant bringen?« Die alte Dame sagt: »Ich hatte gestern im ICE so ein Baguette, haben Sie das noch?« – »Nein, Ihres von gestern ist leider nicht mehr da, aber ich kann Ihnen eines von heute bringen.« – »Das ist so groß, ich konnte es nicht aufessen, die Hälfte gibt’s da nicht?« – »Ich kann Ihnen leider nur ein ganzes bringen, wie viel Sie dann essen, ist aber Ihnen überlassen.« – »Könnten Sie denn eines durchschneiden?« – »Wenn Sie eines bestellen, mache ich das sofort.« – »Ja.« – »Möchten Sie denn eines?« – »Ja.« – »Bin sofort wieder da.«

Ist er dann auch.

Ich bin gerührt.

Meine heutige These: Etwas ist besser geworden bei der Bahn, die Umgangsformen ihrer Mitarbeiter. Ich erinnere mich, dass Bahnschaffner Hoheitspersonen waren, mit Kommandostimme, mürrisch. Vorbei. Die Leute sind heute höflich, freundlich, aufmerksam, flexibel, geschult. Übrigens fand ich es immer albern, sich über jene, die dort arbeiten, lustig zu machen, miserables Englisch und so weiter. Die Leute sind Helden, halten die Köpfe hoch im Chaos, das ihnen Manager hinterließen, die im Ruhestand üppige Pensionen verzehren. Man hat die Bahn mehdornisiert. Jetzt muss sie wieder modernisiert werden. Eines Tages wird sie beides schaffen, Pünktlichkeit, Freundlichkeit. Bestimmt.

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Unverschämt sind bei der Bahn allenfalls Fahrgäste, in der Regel auch die nicht. Ist vorbei. Vom Chaos bei der Bahn zu reden ist läppisch, es löst Gähnen aus wie früher die Ankündigung von Dias aus dem Urlaub. Chaos sind wir gewohnt, wir haben es mit dem Brexit zu tun, mit Trump, haben die Griechenland-Krise überstanden, Italien schmiert ab, was soll’s? Über die Bahn jammern Leute, die vergessen haben, dass die Zeiten vorüber sind, in denen auf EU-Gipfeln bloß Erzeugerpreise verhandelt wurden. Heute geht’s immer ums Ganze. Normalität ist die Ausnahme. Der Ausnahmezustand ist normal.

Bruno, mein alter Freund, reiste von Esslingen nach Ulm, dort hätte er sechs Minuten Zeit gehabt, den ICE nach München zu erreichen. Aber sein Regionalexpress war verspätet – warum? Weil er in Geislingen an der Steige länger warten musste, um einen ICE vorbeizulassen, jenen ICE, den Bruno in Ulm erreichen wollte, der aber nun exakt die Verspätung des Regionalzuges verursachte, die ein Erreichen des ICE, der gerade vorbeigerauscht war, unmöglich machte. Wenigstens der ICE muss ja pünktlich in München sein, sonst verursacht er weitere Verspätungen im großen Bahn-Netz.

Deshalb bekam eine Mülltonne auf dem Bahnhof Ulm einen Fußtritt Brunos verpasst, denn nun konnte er seine Tochter nicht pünktlich vom Kindergarten abholen. Ist die Mülltonne schuld? Nein. Ist es die Bahn? Vielleicht. Andererseits ist Brunos Leben einfach zu eng getaktet, nicht wahr? Sieht er selbst so. Ändern kann er es nicht.

Vor Bamberg naht im ICE ein älterer Herr, verbeugt sich, stellt sich vor. Er mache eine Kundenumfrage. Ob das heute mal ohne mich gehe, frage ich müde, ich hätte zu schreiben. Er legt seine Hand auf meinen Unterarm. »Aber natürlich«, sagt er, »arbeiten Sie nur, ich mache das einfach ohne Sie.«

Aber im Grunde … Warum habe ich ihm nicht alles gesagt, was ich hier geschrieben habe?