Eigentlich schade, dass es so viel Wissen über uns brave Bürger in der Welt gibt, und dass uns das so wenig nützt.
Das Finanzamt weiß, dass ich meine Steuern pünktlich bezahle. Die Politesse registriert, dass ich die Gebühr für meinen Parkplatz entrichte. Der Trambahnfahrer hat gesehen, dass ich meinen Sitzplatz einer alten Dame zur Verfügung gestellt habe. Und habe ich nicht neulich die mürrische Bedienung im Hotel noch angelächelt, als sie, statt mir »Guten Morgen!« zu wünschen, nur »Zimmernummer« plus Fragezeichen herausknurrte? Ja, habe ich. Hätte es im Frühstücksraum eine Überwachungskamera gegeben, könnte man das nachprüfen. Gab’s aber nicht.
Überall wird man beobachtet, aber wenn’s wichtig wäre …
In der Washington Post las ich, dass China ein groß angelegtes (in China ist ja alles immer groß angelegt, schon China selbst ist groß angelegt) Bürgerbeurteilungssystem etabliert werden soll, das auf Big Data basiert, auf dem großen Wissen der Welt über den Einzelnen. Man muss nur die Kenntnisse der Kreditkartenfirmen, Bonuskartenverwalter, Sozialmedienbetreiber, der Kameras überall und unseres lieben Staates zusammenfassen, schon weiß man mehr über einen Menschen als der über sich selbst.
In China gedenkt man das zu nutzen, zum Aufbau einer harmonischen sozialistischen Gesellschaft. Das Prinzip lautet: »Wird unser Vertrauen irgendwo enttäuscht, hat das Einschränkungen überall zur Folge.« Für jeden wird ein Punktekonto eingerichtet. Verletzt einer die Verkehrsregeln, oder wird er straffällig oder kümmert er sich nicht um seine Verwandten, gibt’s Punktabzüge. So kann man von der höchsten Kategorie A bis zu D absteigen. Das hat Folgen: Mit der Bahn ers-ter Klasse zu fahren, kann man dann vergessen, die besseren Hotels reservieren keine Zimmer mehr, und Auslandsreisen kann man streichen.
So ist das in China.
Auch bei uns weiß man allerhand durch Big Data. Natüüürlich will das keiner nutzen, für Strafen haben wir Gerichte, für Bußen Ordnungsämter und für den Sozialismus China. Aber wo bleibt das Positive? Wo wird im Staat die motivierende Kraft der Belohnung genutzt? (Die uns im Wirtschaftsleben durch Meilen, Bonuspunkte, Paybackrabatte, Tengelmannherzen selbstverständlich ist.) Warum ist das Material über unser anständiges Leben ungenutzt?
Nur mal so ein Gedanke: Man steigt ins Auto, plötzlich steht da ein Wachtmeister mit einem Schnaps und sagt: »Die Daten sagen, dass Sie in den vergangenen drei Jahren nicht ein einziges Mal gegen eine Verkehrsregel verstoßen haben. Darauf müssen wir mal einen trinken, oder?« Und man sagt: »Aber ich muss fahren, danke!« Und der Wachtmeister so: »Ist es denn zu fassen, was sind Sie für ein herrlicher Kerl, trinken noch nicht mal am Steuer! Hier ist ein Bon für drei Geschwindigkeitsübertretungen.«
Oder es steht ein Mitarbeiter der Verkehrsgesellschaft vor der Tür und sagt mit vor Jubel kippender Stimme: »Unsere Überwachungskamera Mx46TvüX&Z hat gezeigt, dass Sie an der U-Bahnhaltestelle Sendlinger Tor einen herumliegenden Pizzakarton, DER AUSWEISLICH DER DATEN DES PIZZADIENSTES NICHT DER IHRIGE WAR, in den Müllbehälter beförderten. Zum Dank dürfen Sie anderthalb Mal gratis einen Fahrkartenkontrolleur duzen!«
Oder man sitzt beim Einwohnermeldeamt und beginnt gerade zu warten, da ruft ein Behördenvertreter: »Das Finanzamt hat uns geschrieben, Sie hätten die Einkommen-steuer mehrmals je drei Tage vor dem Termin bezahlt, wer wird denn SIE warten lassen?! Kommen Sie! Hier, nehmen Sie meinen Massage-Bürostuhl! Gläschen Prosecco?«
Wie gesagt: Schade, dass es nicht so ist. Andererseits ist man nicht pünktlich, ehrlich und freundlich, um dafür belohnt zu werden, sondern weil man es sein will. Zweitens wird man ja belohnt, weil es einem selbst nämlich ganz gut tut, wenn man pünktlich, ehrlich und freundlich ist. Drittens habe ich neulich falsch geparkt, meine Steuer einen Tag zu spät bezahlt, und den Pizzakarton habe ich einfach liegen lassen. Was soll’s, wir sind ja nicht in China.
Illustration: Dirk Schmidt