Schnittkäse. Schmelzkäse. Scheibletten – beinahe wäre es das Ende des Parmesans gewesen. Zerbrochen, exportiert, eingeschmolzen – Endstation Toast Hawaii.
Ein Jahr ist das große Beben in der Emilia-Romagna nun her, das erste seit einem halben Jahrtausend. Als am 20. und 29. Mai zwischen Parma und Modena die Erde wackelte, wurden nicht nur Tausende obdachlos und viele historische Gebäude beschädigt, sondern auch das Herz der Parmesan-Industrie getroffen. In den Käsereien lagern teilweise zwanzig Käselaibe übereinander in bis zu zwölf Meter hohen Regalen. Während der Beben kippten sie reihenweise um, der Käse zerbrach. Zwar waren nur 34 von 380 Käsereien betroffen, doch von insgesamt drei Millionen gelagerten Laiben gingen 600 000 zu Bruch. In manchen Käsereien konnte vier Monate lang nicht gearbeitet werden.
Parmesan ist fast so teuer wie Parmaschinken. In einem 40-Kilo-Laib stecken 600 Liter Milch. 15 Euro kostet ein Kilo, 450 Euro ein Laib, über 300 000 Euro eine Lastwagenladung mit 700 Laiben. Die Lkws sind nicht beschriftet und lassen sich als Vorsichtsmaßnahme gegen bewaffnete Überfälle per Fernbedienung stoppen, dennoch werden immer wieder ganze Lastwagen ausgeraubt. Der Käse-Diebstahl funktioniert auf Vorbestellung und ist gut organisiert. Die Lager werden deshalb videoüberwacht, einige Käser wohnen nahe der Lagerhalle, in vielen Käsereien patrouillieren nachts Hunde.
Doch gegen die Erdbeben waren sie machtlos. Beide größeren Beben kamen frühmorgens, zum Glück, der Parmesan hat niemanden erschlagen. Bei Albalat, einer Käserei im Norden von Modena, fielen 91 000 Laibe aus den Regalen, nur 15 000 blieben unversehrt. Was nicht verramscht, eingeschmolzen und im Ausland zu billigem Schmelzkäse verarbeitet werden konnte, wurde weggeworfen. Zwölf Millionen Euro beträgt allein der Verlust der Käserei Albalat, 130 Millionen der von allen Käsereien zusammen. Zum Produktionsausfall kommen die Schäden an Gebäuden, allein bei Albalat sind das weitere zehn Millionen.
Inzwischen hat das große Aufräumen begonnen – und die Aufrüstung gegen zukünftige Katastrophen. Die neuen Regale aus Österreich seien jetzt erdbebensicher, heißt es. Sie werden nicht mehr in der Mauer verankert, sondern nur noch am Boden. Beim nächsten Beben sollen sie möglichst freibeweglich schwingen können. Um ihre Häuser machen sich die Bewohner der Emilia-Romagna weniger Gedanken als um den Käse, viele Menschen in der Nähe Modenas leben noch in Wohnwagen. Hauptsache, der Käse ist sicher.
Italiener lieben sogar die Rinde ihres Parmesans und heben sie für die Suppe auf. So viel Leidenschaft für Käse kann man im Ausland kaum nachvollziehen. Nur dreißig Prozent der Produktion gehen überhaupt in den Export. In Deutschland kauft man im Zweifel auch Parmesan aus Wisconsin, der mit Parmigiano Reggiano nur den Namen gemein hat, oder Grana Padano, einen günstigen Käse, dem Konservierungsmittel beigesetzt werden dürfen. Der Name Parmigiano ist nur in der EU geschützt – in Italien fürchtet man schon den Tag, an dem China die ersten Milchkühe auf die Weiden schickt.
In der Emilia-Romagna hingegen ist Parmesan Religion und Währung zugleich. Es gibt sogar eigene Parmesan-Banken, in denen die Käsereien seit über sechzig Jahren ihre Laibe als Pfand für günstige Kredite hinterlegen. Vier italienische Banken führen sieben eigene Parmesan-Filialen in Modena oder Parma. Die Filiale der Credem in Modena ist mit Videokameras und Bewegungsmeldern besser gesichert als Fort Knox, behauptet der Parmesan-Bankdirektor Paolo Benni. Tatsächlich ist bei ihm bisher noch jeder versuchte Einbruch gescheitert. In seiner Bank liegen derzeit 153 000 Laibe im Wert von etwa 69 Millionen Euro.
Der Wert entsteht schon auf der Weide: Die 270 000 Milchkühe des Parmesan-Konsortiums, die in den fünf offiziellen Parmesan-Provinzen leben, bekommen nur Heu und Gras, keine Zusatzstoffe oder Silage. Parmesan ist leicht verdaulich und nahezu laktosefrei, weshalb ihn auch Asiaten, Allergiker und sogar Babys gut vertragen. Zwei Jahre muss der Käse reifen, regelmäßig gewendet, abgebürstet und abgeklopft werden, um eventuelle Luftlöcher festzustellen. Der Käsemeister lebt traditionell in der Käserei, seine Frau gehört in der Regel zur Mannschaft und teilt mit ihm die Schicht. In einer Käserei wird 15 Stunden täglich sechs Tage die Woche gearbeitet. Die Käser verdienen mit Überstunden 2200 Euro netto, immerhin rund doppelt so viel wie ein Mechaniker bei Ferrari, dennoch finden sich immer weniger Italiener für die anstrengende Arbeit. Auf den umliegenden Höfen der Käsebauern arbeiten inzwischen viele Inder, ihnen sind Kühe so heilig wie den Italienern der Parmesan.
Holländer sind wahrscheinlich die Einzigen, die eine so große Liebe zum Käse nachempfinden können: Nach dem Erdbeben kauften sie spontan viel Parmesan-Bruch und zahlten sogar Solidaritätszuschlag.
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