Der Mann kennt sich mit dem englischen Königshaus aus. Er kann einen amerikanischen Präsidenten mit ein paar präzisen Sätzen zeichnen; er hat Idi Amin sympathische Züge abgerungen. Und jetzt? Niki Lauda.Der englische Drehbuchautor Peter Morgan arbeitet seit Kurzem in einem kleinen Turm, der durch ein paar Stufen von seiner großen, hellen Dachwohnung in der Wiener Zirkusgasse abgetrennt ist, nahe der Donau. Die Drehbücher für The Queen und Frost/Nixon haben ihm Oscar-Nominierungen und Golden Globes eingebracht, er hat das Innenleben des Buckingham Palace mit Scharfsinn seziert und aus dem historischen TV-Interview zwischen Richard Nixon und David Frost ein fesselndes Duell gemacht. Gerade hat Clint Eastwood sein Skript Hereafter – Das Leben danach verfilmt, mit Matt Damon in der Hauptrolle, der letzte Woche bei uns in die Kinos kam.
Warum Wien? Morgan, 47, ist Kind deutsch-polnischer Emigranten. Als seine Mutter vor wenigen Wochen starb, entschloss er sich, mit seiner österreichischen Frau Lila Schwarzenberg nach Wien zu ziehen – zurück zu den Wurzeln, zur deutschen Sprache und zur mitteleuropäischen Kultur. In Morgans Arbeitszimmer, auf seinem gläsernen Schreibtisch, auf der Ledercoach, liegen Bücher und DVDs, darunter eine Niki-Lauda-Biografie und Fotobände über die Formel 1.
Herr Morgan, schreiben Sie jetzt ein Drehbuch über Lauda?
Ja, über ihn und James Hunt. Der Niki fällt mir leicht. Er hat diese sehr direkte, typische Sprache. James Hunt dagegen habe ich noch nicht gefunden, obwohl er Engländer ist. Vor einer Stunde musste ich alles wieder verwerfen. Ich muss ihm noch mehr zuhören, zuhören, zuhören …Und hoffen, dass er sich in meinem Kopf festsetzt.
Festsetzt?
Da sehen Sie mal, wie sehr meine Persönlichkeit gespalten ist! (Bis hierher hat er Englisch gesprochen, jetzt wechselt er ins Deutsche mit leichtem Wiener Akzent, im Lauf des Gesprächs wird er noch oft zwischen beiden Sprachen wechseln.) Und was für ein Kuddelmuddel in meinem Kopf herrscht. Aber Sie werden nur schwerlich jemanden finden, der besser geeignet ist, ein Film-Skript über einen österreichischen und einen englischen Rennfahrer zu schreiben. Ich kann mich in beide Mentalitäten hineinversetzen.
Sie leben seit einigen Monaten in Wien. Können Sie hier besser arbeiten als in London?
Ich genieße es, meine Familie um mich zu haben. Hier in der Wohnung recherchiere ich vor allem. Zum konzentrierten Schreiben ziehe ich mich dann immer in unser Haus in Südtirol zurück.
Zu den stärksten Szenen in The Queen gehört dieser Moment der absoluten Einsamkeit: Die Königin sitzt nach einer Autopanne auf einem Stein und blickt einem Hirschen tief in die Augen. Stephen Frears hat sich in einem Interview darüber amüsiert, dass die Engländer nicht gemerkt hätten, wie unrealistisch die Szene sei: Im schottischen Hochland gebe es allenfalls Rebhühner.
Okay, die Idee stammte von einer Hirschjagd, die ich in der Steiermark erlebt habe. Aber noch bemerkenswerter ist eine Szene, die in einer Hängekammer spielt. Die Kammer befindet sich in unserem alten Bauernhaus in Turrach, wo alle meine letzten Drehbücher entstanden sind.
Können Sie Ihre Schreibtechnik erklären?
Erst mal trage ich Ideen lange mit mir herum. Gerade hat mich jemand gefragt, ob ich ein Drehbuch über Julian Assange verfassen könnte. Ich musste absagen, weil ich fürchte, in fünf Jahren ist es nicht mehr so aktuell. Man müsste da journalistisch rangehen, aber ich arbeite anders. Die Idee entwickelt sich im Kopf, dann betreibe ich Recherchen, und irgendwann setze ich mich zum Schreiben hin. Das geht dann sehr schnell, maximal sechs Wochen.
Viele Ihrer Drehbücher setzen sich mit britischer Geschichte auseinander. Gewinnt man oben in den österreichischen Bergen eine geschärfte, eine andere Perspektive darauf?
Die Drehbücher zu The Queen oder Die Schwester der Königin könnte ein rein britischer Autor sicherlich genauso schreiben. Ich empfinde eher eine generelle Unabhängigkeit, die ich bei manchen meiner Freunde vermisse. Die gehen zu sehr in einer bestimmten Kultur auf oder lassen sich zu sehr aufs Establishment ein.
Sehen Sie sich als Außenseiter?
Ja. Es ist menschlich manchmal eine ungemütliche Position. Freiheit und Gefängnis zugleich. Man führt ständig einen inneren Kampf, lebt immer mit einer Idee, die einen von anderen Menschen isoliert. Aber gleichzeitig ist es ein großer künstlerischer Gewinn.
Wie entstand die Idee zu Hereafter?
Weihnachten 2004 sah ich die Bilder der Tsunami-Katastrophe im Fernsehen. Daraufhin habe ich mich mit dem Thema Todeserfahrung intensiver auseinandergesetzt. Das Skript verschwand dann eine Zeit lang in der Schublade. Ich habe es dann wieder hervorgeholt, als ich von der Beerdigung eines sehr engen Freundes nach Hause kam. Er war beim Skifahren verunglückt. Da habe ich mich gefragt: Und nun? Wo ist er? Was passiert jetzt?
Haben Sie eine Antwort gefunden?
Es war mir wichtiger, erst mal nur die Fragen zu stellen. Erstaunlicherweise fiel mir das Schreiben sehr leicht, obwohl das Skript so grundsätzlich anders war als alles, was ich vorher gemacht habe. Normalerweise habe ich eine ganz klare Vorstellung, ordne Fakten, setze mir einen Rahmen. Hier war alles offen, vor allem das Ende des Films.
Wie gelangte das Skript in die Hände von Clint Eastwood?
Das war eine ziemlich merkwürdige Geschichte. Mein Agent hatte es der Produzentin Kathleen Kennedy gegeben. Die wusste nicht so recht etwas damit anzufangen, sah aber eine Verwandtschaft zu The Sixth Sense und schickte es dem Regisseur des Films, M. Night Shyamalan. Und dann gab es irgendwann ein Telefonat zwischen den beiden, das zufällig von Steven Spielberg mitgehört wurde. Das war im Studio während der Vertonung von Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels. Und Spielberg wiederum sagte: »Das klingt interessant, worüber ihr da gerade redet.« Er las das Drehbuch und kontaktierte mich. Ich machte auf seinen Wunsch ein paar Änderungen, die ihn aber letztlich nicht zufriedenstellten. Schließlich sagte er eher beiläufig: »Ich könnte mir aber vorstellen, dass es etwas für meinen Freund Clint ist.«
So funktioniert Hollywood?
Ein unglaublicher Zufall, ja. Ich hatte mir vorgestellt, dass es eher der Stoff für einen europäischen Regisseur ist, mit viel kleinerem Budget und weniger aufwendigen Action-Szenen.
Sie haben die erfolgreiche Premiere des Films in New York auf dem roten Teppich erlebt. Denken Sie jetzt noch immer so?
Ich habe zwiespältige Gefühle, ich finde, der Film bleibt unter seinen Möglichkeiten. Aber ich weiß nicht, ob es Clints Fehler ist oder meiner.
Kann man Nein sagen, wenn Clint Eastwood anruft?
Kann man Nein sagen, wenn Clint Eastwood anruft?
Nein, nein, natürlich nicht! Es ist ein unglaubliches Privileg, mit diesem Mann zu arbeiten. Und er ist wahrscheinlich auch der Einzige in Hollywood, der für so einen Stoff 35 Millionen Dollar ausgeben darf. Er liebte das Skript von Hereafter so, wie es war. Und dann wollte er auch nicht mehr diskutieren.
Hätten Sie denn noch gern diskutiert?
Ich feile schon gern noch mit dem Regisseur am Skript. Aber so arbeitet Clint nicht. Ihm gefällt ein Drehbuch, fertig, aus. Da gibt es keine Rücksprachen und Diskussionen. Er möchte keine Zeit verschwenden.
Waren Sie am Set?
Einmal. Und alles war wunderbar. Wir hatten Lunch, aber sonst gab es für mich dort nichts zu tun. Das war ungewöhnlich für mich. Bei Stephen Frears ist es beispielsweise genau anders: Er will einen die ganze Zeit dabeihaben und reden. Ich schreibe dann ständig neue Versionen.
Können Sie sich vorstellen, selbst Regie zu führen?
Noch vor einiger Zeit hätte ich gesagt: natürlich. Denn ich liebe den Kontakt zu Menschen, habe viele Filmsets besucht, kenne alle Stufen der Produktion sehr gut. Für eine BBC-Produktion über Tony Blair war ich tatsächlich als Regisseur geplant. Ich habe das aber abgesagt. Und inzwischen bin ich mir absolut sicher: Ich wäre kein guter Regisseur. Da ist man von früh um sechs bis acht Uhr abends am Set, alle wollen etwas von einem. Es gibt keine Fluchtmöglichkeit. Das ist nichts für mich.
Wie verträgt sich Ihre autonome Position mit den Spielregeln von Hollywood?
Ich kann dort arbeiten, ich bewahre so viel Distanz wie möglich.
Was tun Sie in Los Angeles?
Ich gehe jedenfalls nicht auf Partys. Eigentlich ist die Arbeit dort sehr nüchtern. Ich verbringe die meiste Zeit in anstrengenden Meetings. Es findet alles in einem sehr kleinen Kreis statt. Das ist wie bei einem Fußballspiel: Die 100 000 Leute auf den Rängen fühlen sich, als ob sie mitspielten, aber eigentlich sind es nur 22 Leute auf dem Feld, die den Job erledigen. Die echten Hollywood-Macher arbeiten sehr hart, sind intelligent, gewissenhaft, aber auch schrecklich langweilig. Eigentlich wie Anwälte.
Haben Sie auch die glamouröse Seite der Stadt kennengelernt?
Einmal war ich zum Dinner bei Barbra Streisand eingeladen. Sie hat drei Villen nebeneinander, bewohnt aber nur eine. Die anderen werden regelmäßig wie große Puppenhäuser umgestaltet. Es wohnt dort aber niemand. Das war so ein Hollywood-Moment. Very strange.
Immerhin war zu lesen, Sie hätten auch Warren Beatty getroffen.
Ich habe mit ihm über Frost/Nixon gesprochen. Er hatte Interesse, die Präsidenten-Rolle zu spielen. Aber eigentlich hat er den ganzen Abend nur über Sex geredet.
Dann hat Frank Langella die Nixon-Rolle übernommen, wie schon in Ihrer Theaterfassung am Broadway.
Ein Glück! Nixon ist mir von all meinen Figuren am schwersten gefallen. Ich habe lange um ihn gerungen. Mit Idi Amin für Der letzte König von Schottland hatte ich dagegen überhaupt keine Probleme.
Es heißt, Sie würden gerade am Drehbuch für einen Film über Freddie Mercury arbeiten. Die Hauptrolle soll Sacha Baron Cohen spielen, den man eigentlich als Komiker kennt. Stimmt das?
Ja. Das Drehbuch ist im Prinzip fertig, ich habe mich im Wesentlichen auf einen Abschnitt in Mercurys Leben konzentriert, den nur wenige kennen – seine Jahre in München, als er mit Barbara Valentin zusammengelebt hat.
Warum?
Ich hatte den Drang, etwas in seiner Vita zu finden, das auch mit mir zu tun hat, mit Deutschland. Ich fand das spannend.
Es heißt, für Freddie Mercury hätten Sie sogar James Bond abgesagt.
Das war eher eine Verkettung unglücklicher Ereignisse. Als die mich fragten, war ich sehr aufgeregt. Jeder Brite über vierzig Jahre wäre glücklich, an einem Bond-Film mitzuarbeiten. Doch dann gab es Probleme mit der Finanzierung, das Projekt musste verschoben werden. Als ich wieder einsteigen sollte, habe ich schon intensiv am Mercury-Skript gearbeitet und hatte keine Zeit mehr. Aber es wäre sowieso schwer gewesen, die Bond-Figur neu zu beleben. Er stammt aus der Ära des Kalten Kriegs. Da konnten wir noch an einen britischen Geheimagenten als Weltenretter glauben. Heute funktioniert das nicht mehr. Man kann zwar immer neue Feinde aufmarschieren lassen – islamische Terroristen beispielsweise –, doch das Problem bleibt der Bond-Charakter. Er braucht unbedingt eine neue Vision – oder man geht gleich zurück in die Fünfzigerjahre.
Morgans Frau, Lila Morgan-Schwarzenberg, kommt mit einem Tablett und zwei Teetassen. Sie erinnert ihren Mann leise daran, den eingetroffenen Besuch zu begrüßen: Die Tante der Hausherrin, Anna Maria Freifrau von Haxthausen, ist da, mit ihrem Ehemann Elmar Freiherr von Haxthausen Graf von Westfalen zu Fürstenberg. Morgans Frau ist die Tochter von Karel Schwarzenberg, dem amtierenden tschechischen Außenminister, die Familie Schwarzenberg, ein bis nach Böhmen verzweigtes österreichisch-ungarisches Hochadelsgeschlecht, besitzt in Wien das Palais Schwarzenberg, ein berühmtes Barockgebäude in der Nähe von Schloss Belvedere. Die Morgans hätten dort einziehen können.
Warum leben Sie nicht im Palais Schwarzenberg?
Wir haben uns lieber diese Dachwohnung gekauft, die bleibt uns auch, wenn wir im Sommer wieder nach London ziehen.
Wie lebt es sich in so einer aristokratischen Familie?
Ich kann mir eigentlich keinen Menschen vorstellen, der weniger aristokratisch ist als meine Frau. Unsere Kinder wissen natürlich von der Familiengeschichte, sie sollen auch ruhig stolz darauf sein, aber es hat keinerlei Bedeutung im Alltag. Ich würde auch sagen: Nicht ich habe eingeheiratet, meine Frau Lila hat vielmehr herausgeheiratet.
Was war das Erste, was Sie unbedingt machen wollten, als Sie nach Wien kamen?
Ein Harry-Lime-T-Shirt kaufen. Und für meinen Freund Stephen Frears gleich eines mit. Er ist geradezu besessen vom Dritten Mann.
Was mögen Sie an dem Film?
Seine komplexe moralische Dimension, er ist wie von Arthur Schnitzler geschrieben. Gleichzeitig markiert er das Ende von Wien.
Inwiefern?
Ich denke, dass Wien sich nach Ende des Zweiten Weltkriegs nie richtig wiedergefunden hat. Man kann hier gut leben, aber gleichzeitig wimmelt es von Geistern der Vergangenheit. Wien hat diese machtvolle, beeindruckende Architektur, aber weltpolitisch keinerlei Bedeutung mehr.
Ihr Vater ist als 18-Jähriger vor den Nazis aus Dresden geflohen.
Ja, und er hat mir erzählt, dass er gleich nach der Ankunft in London ins Telefonbuch geschaut hat, um sich einen neuen Namen auszusuchen.
Warum?
Er hieß Arthur Morgenthau, ein typisch jüdischer Name. Er wollte einfach nicht mehr als Jude identifizierbar sein – das galt ja für fast alle Emigranten. Sie wollten alle gute Engländer werden, haben zum Teil auch in der britischen Armee gekämpft. Die Eltern meines Vaters starben im KZ, die Großeltern mütterlicherseits, die aus Schlesien stammten, wurden unter Stalin ermordet.
Wird man unter diesen Vorzeichen vielleicht sogar britischer als die Briten? Der Comedian Ben Elton ist auch ein Sohn deutscher Juden namens Ehrenberg. Er hat die bösesten Witze über Deutsche gerissen.
Und auch der Schauspieler Stephen Fry hat eine ähnliche Familiengeschichte. Wir alle leben in dem Zwiespalt, dass die Deutschen von den Engländern zwar respektiert, aber nicht gemocht werden.
Fotos: Peter Rigaud