»Unser Kastanienbaum steht von unten bis oben in voller Blüte, er ist voll mit Blättern und viel schöner als im letzten Jahr«, schrieb Anne Frank, knapp 15 Jahre alt, am 13. Mai 1944 in ihr Tagebuch. Und nun, 2011, wird ausgerechnet der Mann, der versucht hat, den Baum zu retten, des Diebstahls an jüdischem Kulturerbe beschuldigt.
Zur Erinnerung: Vor vier Jahren zerfraß ein Pilz die 150 Jahre alte Kastanie, die an der Keizersgracht 188 in Amsterdam stand und die Anne Frank aus ihrem Versteck in der Prinsengracht sehen konnte. Der Baum sollte abgesägt werden, beschloss der Bürgermeister Amsterdams unsentimental. Die Meldung jedoch rief Fernsehteams aus der ganzen Welt nach Amsterdam. Denn für die Jüdin Anne Frank war der Baum damals, während der Verfolgung durch die Nazis, Symbol für Freiheit und Stärke. Wenn sie von ihrem Versteck unter dem Dach durch das Fenster schaute, sah sie ein Stück Himmel und die Krone dieser Kastanie auf dem Nachbargrundstück. Und in ihrem Tagebuch schrieb sie oft über den Baum. Auch darum wurde SAFT gegründet, »Support Anne Frank Tree«, eine Stiftung zur Rettung der Kastanie. Geld wurde gesammelt, ein Gerichtsverfahren angestrengt. Der Baum blieb stehen.
Allerdings: Jeder Windstoß brachte den ehemals so starken Baum zum Wanken. Deshalb entwickelten Ingenieure eine Stützkonstruktion. Die Pläne waren fertig, aber jemand musste sie verwirklichen. Ein Vorstandsmitglied der SAFT-Stiftung, Professor Arnold Heertje, hatte einen guten Freund, einen Bauunternehmer: Rob van der Leij. Heertje fragte ihn, überzeugte ihn.
115 000 Euro hat die Stützkonstruktion für den Anne-Frank-Baum gekostet. Einen Großteil übernahmen van der Leij und einige andere Unternehmen, die SAFT-Stiftung sollte 35 000 Euro beisteuern. »Aber es fehlen 15 000 Euro«, sagt van der Leij. Er bot der Stiftung »ein zinsfreies Darlehen an«. Ab da wurde nicht mehr über Geld gesprochen, es ging ja um den Baum. Rob van der Leij wurde als Retter der Kastanie gefeiert.
Zwei Jahre später jedoch, am 23. August 2010, blies ein Sturm die Kastanie um, mitsamt Gerüst. Ein Haufen Holz lag nun im Hinterhof, dazwischen stapften Kamerateams und Journalisten herum. Am selben Abend wurde eine Krisensitzung einberufen: die Stiftungsvorsitzende Helga Fassbinder, der Vorstand und Rob van der Leij. Ab hier gibt es zwei Versionen: Nach Auffassung des Bauunternehmers war man sich schnell einig, dass van der Leijs Arbeiter die Äste abtragen sollten. Er sagt, er habe den Auftrag per E-Mail vom Eigentümer bestätigt bekommen, auf dessen Grundstück der Baum stand. »Außerdem war Frau Fassbinder bei der Aktion dabei und hätte eingreifen können.«
Der Hinterhof der Prinsengracht mit der gestützten Kastanie. Anne Frank konnte aus ihrem Versteck aber nur ein Stück Himmel und die Krone des Baumes sehen.
Helga Fassbinder sieht das anders und schrieb einen Brief: Sie habe den Auftrag nie gegeben, deshalb würde die Stiftung nicht für das Abholen bezahlen.
Die Versicherung übernimmt nur einen Teil. Van der Leij berechnet SAFT also weitere 20 000 Euro. Weil er die Reste des Anne-Frank-Baums bei sich behält, bis die Stiftung bezahlt, wird er des Diebstahls jüdischen Erbguts beschuldigt. Rob van der Leij erklärt: »Wenn sie die Rechnungen bezahlt, gehören die Äste der Stiftung.« Das gelte für jeden Auftrag, so sei die Rechtslage. Er sagt, ihm gehe es um Gerechtigkeit. Und um faires Verhalten: »Ich wollte etwas Gutes tun.«
Der Baum hat den Bauunternehmer die gute Freundschaft mit Arnold Heertje von der Stiftung gekostet. Und in den holländischen Medien ist er vom Retter zum Dieb geworden. Dabei ist ihm das Geld gar nicht wichtig, sagt er. Er möchte den ausstehenden Betrag spenden – sofern die Stiftung zahlt. Die wieder möchte mitentscheiden, an wen das Geld dann geht – sofern sie zahlt. Ob van der Leij sich darauf einlässt?
Fotos: dpa, afp