Es braucht wenig, um Ökonomen zu irritieren, ein Vorgang wie dieser reicht: Alle Mitarbeiter einer Firma erhalten eine Lohnerhöhung von 1000 Euro bis auf einen: Der bekommt nur 500 Euro mehr. Dass der sich ärgert, wundert keinen – außer Wirtschaftswissenschaftler. Denn dass mehr unglücklicher machen kann, passt nicht in ihr Weltbild. Sie halten das Leben für ein einziges großes Maximierungsproblem: Gewinn wird maximiert, Nutzen wird maximiert und im Nutzen ist ausgedrückt, was man verdient und was man sich davon alles kaufen kann. Wer mehr Lohn kriegt, sollte sich also freuen – egal, wie viel der Nachbar bekommt. Dass dem nicht so ist, verwirrt sie. Und so führt Verwirrung zu einem neuen Forschungsgegenstand der Ökonomie: dem Glück der Menschen.
Das Thema kommt mehr und mehr in Mode, in der Psychologie, der Soziologie, der Hirnforschung und neuerdings der Ökonomie: Es gibt eine Ökonomie der Familie, eine Ökonomie der Liebe, eine Ökonomie der Religion und so weiter. Der Erkenntnisgewinn solcher Anwendungen ist, vorsichtig ausgedrückt, nicht immer überzeugend. Aber vielleicht gibt es ja ein paar gute Argumente für eine Ökonomie des Glücks.
Richard Layard sollte sie kennen, er hat immerhin gerade ein Buch darüber geschrieben: »Die glückliche Gesellschaft«. Er beriet jahrelang den britischen Premierminister Tony Blair und erdachte dessen Arbeitsmarktreformen, er leitet an der London School of Economics das Centre for Economic Performance, ein bekanntes Forschungsinstitut. Da geht es stets um sehr handfeste Ökonomie. Layard ist eigentlich Lord Layard, der Titel passt gut zu ihm, zu seinem distinguierten Auftreten und seiner tadellosen Höflichkeit. Er empfängt im House of Lords, wo gerade Abstimmungen laufen, und lässt stilgerecht Tee und Scones servieren. »Ökonomen sollten sich mit Glück befassen«, sagt Layard, »weil zusätzliches Einkommen nicht glücklicher macht, zumindest nicht in reichen Ländern.« 10000 Dollar pro Kopf und Jahr reichen, das weiß man aus Umfragen – mehr trägt nur noch marginal zum Glück bei. Viele Ökonomen sehen es anders: Wer mehr Geld hat, der habe mehr Möglichkeiten, er könne sich Wünsche besser erfüllen. Deshalb definieren sie als Ziel allen Wirtschaftens und aller Politik die Steigerung des Wohlstands, also Wachstum. Ein großer Fehler, meint Layard.
Nicht nur in Deutschland kreist die politische Debatte darum: Wie kann die Wirtschaft schneller wachsen? Können wir uns im internationalen Wettbewerb behaupten? Da bete man ein Goldenes Kalb an, glaubt Layard. Denn Wachstum sei kein Selbstzweck, sondern nur wünschbar, wenn es die Menschen zufriedener mache. Was es nicht tue: »Das Glück hat sich in den vergangenen Jahrzehnten nicht vermehrt.« Das entnimmt Layard Umfragen, zum Beispiel einer, die zu Tage brachte, dass sich seit den fünfziger Jahren konstant ein Drittel der Amerikaner als »sehr glücklich« bezeichnet, ein ebenso gleich bleibender Anteil als »nicht sehr glücklich«. Nicht Wachstum, folgert Layard, müsse also das vorrangige Ziel von Staaten sein, sondern das Glück der Bürger. Neu ist die Idee nicht. In der amerikanischen Verfassung von 1776 ist das Streben nach Glück (»Pursuit of Happiness«) sogar als Grundrecht definiert. Die klassische Ökonomie des 19. Jahrhunderts wurde stark beeinflusst von der utilitaristischen Philosophie, die Handlungen danach beurteilt, ob sie dem Glücks- und Lustgewinn dienen. Ein wichtiger Vertreter dieser Schule war der englische Philosoph Jeremy Bentham (1748–1832), auf den sich Layard gern beruft. Bentham vertrat die Meinung, politische Maßnahmen seien dann gut, wenn sie das Glück aller Bürger vermehrten.
Das setzt allerdings voraus, dass sich das Glücksempfinden von Menschen vergleichen und zu einer Summe gesamtgesellschaftlichen Glücks addieren lässt. Was aber steigert das Glück einer Gesellschaft mehr: Wenn viele sich bei einem Fußballspiel im Fernsehen gut unterhalten oder wenn wenige die Ausstrahlung eines Schauspiels von Ibsen genießen? Ein mühsames Geschäft, Glücksintensitäten zu messen. Daher ging man in den Wirtschaftswissenschaften Anfang der dreißiger Jahre dazu über zu beobachten, wie Menschen handeln und wie sie darauf reagieren, wenn sich die Bedingungen verändern. Die utilitaristische Philosophie kam aus der Mode. Fortan konzentrierte man sich auf Wachstum: »Die Ökonomie ist auf Abwege geraten«, sagt Layard dazu.
Jetzt kommt die Wende, hofft er. Es beflügelt Layard und seine glücksforschenden Kollegen, dass auch die Hirnforschung sich für das Thema interessiert. In Momenten des Glücks zeigt sich im linken Stirnlappen des Gehirns erhöhte Aktivität. In modern-biologistischer Manier wähnt man sich auf dem besten Weg zu einer objektiven Messmethode für Glück. Bis es so weit ist, müssen Befragungen genügen, die in der Regel nach dem Schema ablaufen: »Auf einer Skala von 1 bis 10, wie glücklich sind Sie?«
Damit sich Politik nach ihrem Glückspotenzial beurteilen ließe, bräuchte es mehr als Einzelbefragungen, nämlich einen umfassenden Maßstab. Das Wachstum von Staaten zu messen ist einfach, es wird abgebildet durch Veränderungen des Bruttoinlandsprodukts. Daraus lässt sich leicht der Wirkungszusammenhang konstruieren: mehr Wachstum = gute Politik. Nun arbeitet der amerikanische Psychologe und Nobelpreisträger für Wirtschaft, Daniel Kahneman, an einer analogen Glücksskala, einem »National Well-Being Account«. Dieser Index soll – neben dem Bruttoinlandsprodukt – den Fortschritt eines Landes abbilden. Dann gälte etwa: 20 Punkte mehr auf der nationalen Glücksskala = gute Politik. Kahnemans Forschung wird in den USA staatlich unterstützt. Die »Financial Times« wittert schon »das Potenzial für eine breite Anwendung in Wirtschaft und Politik«.
Das fände Lord Layard prima. Eine Politik, die sich am Glück orientiert, sähe nämlich völlig anders aus als die heutige wachstumsgläubige. Seine Überlegung: Wir gewöhnen uns schnell an Luxus, ähnlich wie an Drogen. Nach einer Weile braucht man mehr, damit es wirkt. Außerdem vergleichen wir uns ständig mit anderen, wie im Beispiel der ungleichen Lohnerhöhung: Also arbeiten wir immer länger, immer härter. Nur machen das alle anderen auch. Die Gesellschaft als Ganzes wird dadurch zwar reicher, aber nicht zufriedener. Eine sinnlose Sache also.
Dieses Hamsterrad muss der Staat stoppen, findet Layard. Und zwar, indem er die Steuern erhöht. Das hält Leute davon ab, sich ungesund zu überarbeiten und ihre Familien zu vernachlässigen. Mit den höheren Einnahmen kann der Staat dann wunderbar finanzieren, was die Menschen wirklich froh macht. Nämlich, laut Layard, eine staatliche Altersversorgung, ein gutes Gesundheitssystem, familienfreundliche Schul- und Arbeitszeiten – kurz: einen starken Sozialstaat. Seine einstigen Arbeitsmarktreformen passen nicht ganz zu diesen eher sozialistischen Ideen. Sie haben zwar die Arbeitslosigkeit in Großbritannien erfolgreich reduziert, sind aber hart: Arbeitslose erhalten nur staatliche Unterstützung, wenn sie Arbeit suchen, und werden gedrängt, auch Jobs anzunehmen, die sie nicht wollen. Layard meint, Arbeitslosigkeit mache depressiv, so dass ein solcher Schubs oft hilfreich sei. Und das macht glücklich? Da lächelt Lord Layard und sagt: »Das hat es schon.«
Mal sehen, was Ruut Veenhoven dazu sagt. Er ist Direktor der »World Database of Happiness«, der größten Glücksdatenbank der Welt. Und er trägt den Titel: »Professor für soziale Bedingungen menschlichen Glücks« an der Erasmus-Universität in Rotterdam. Die Universität ist schon von fern sichtbar, in der Mitte des Campus ragt ein Hochhaus, rundherum stehen ein paar ähnlich trostlose, aber flachere Gebäude.
Ruut Veenhoven sieht aus wie Robin Williams in dem Film »Good Will Hunting«, nur dass Haar und Bart grau statt braun sind. Wie Williams legt er manchmal dieses Schmunzeln in seinen Blick. Er ist selbst eine wandelnde Datenbank, man kann ihm irgendein Stichwort hinwerfen und er weiß sofort, wie es das Glück der Menschen beeinflusst. Zum Beispiel Alkohol: »Leute, die zwei Gläser pro Tag trinken, sind glücklicher als reine Teetrinker.«
Veenhovens Datenbank ist ein lustiges Spielzeug. In ihr sind 2603 Umfragen aus aller Welt gesammelt, mit deren Hilfe sich internationale Ländervergleiche anstellen lassen. Außerdem 800 Studien, die untersuchen, was glücklich macht. Man wählt aus Begriffen wie Organtransplantation, Liebesleben oder Schlaf einen aus und bekommt angezeigt, wie er mit Glück zusammenhängt.
Und, hat Lord Layard Recht? »Seine Argumentation ist ja nicht schlecht«, sagt Veenhoven. »Aber sie stimmt nicht gut mit den Daten überein.« Ein starker Sozialstaat mache die Bürger keineswegs glücklicher. Aber auch nicht unglücklicher. Egal, ob die Ausgaben für Soziales gekürzt oder erhöht werden, das Glück bleibe gleich. Womit Layard allerdings richtig liegt: Arbeitslosigkeit macht unglücklich, da hilft auch keine Arbeitslosenunterstützung. Sehr unglücklich sogar, kaum etwas trifft einen Menschen schlimmer, nur der Tod des Ehepartners.
Die größten Glücksbringer in Veenhovens Ländervergleich sind Freiheit und gute Behörden. Demokratie macht glücklich. Wirtschaftliche Freiheit macht glücklich, in ärmeren Ländern sogar etwas mehr als in reichen. Persönliche Freiheit ebenfalls; da führt Veenhovens Heimat Holland die Rangliste an. Persönliche Freiheit bedeutet etwa, dass Homosexuelle heiraten dürfen, Sterbehilfe legal ist oder man wählen kann, welcher Religion man angehören möchte – und ob überhaupt einer. Veenhoven nimmt an, auch legaler Cannabiskonsum zähle dazu, obwohl er das noch nicht nachweisen konnte: »Kiffen an sich ist nicht gut zum Glücklichwerden«, sagt er, »aber wenn es erlaubt ist, macht das froh.«
Veenhoven hat auch eine Liste der glücklichsten Völker der Welt erstellt. Platz eins: Schweiz, Dänemark und Malta. »Schweizer sind reich, das Land ist demokratisch, hat eine gute Verwaltung, es herrscht ein Klima der Toleranz«, sagt Veenhoven. Deutschland liegt dagegen im Mittelfeld. Doch der Staat ist natürlich nicht alles, das Wohlbefinden hängt vor allem vom privaten Umfeld ab. Da sind die wichtigsten Glücksfaktoren, wenig überraschend, Freundschaften und Ehe – wobei man nicht weiß, ob Glückliche eher heiraten oder ob Heiraten glücklich macht. Ferner Religion, doch ist unklar, ob das an Gott liegt oder am Gefühl des Aufgehobenseins in der Glaubensgemeinschaft. Alte sind glücklicher als Junge, zwischen dreißig und fünfzig liegen die schwersten Jahre – vermutlich, weil man dann die meisten Pflichten zu erfüllen hat. Was eigene Kinder angeht, widersprechen sich die Umfragen; gemäß den einen beeinträchtigen sie die Qualität der Beziehungen, andere sehen in ihnen den größten Quell der Freude. Ein hoher Intelligenzquotient macht nicht glücklich, ebenso wenig eine gute Ausbildung. Eine Erklärung dafür lautet »Egghead Hypothesis« und unterstellt, Gebildete seien sozial weniger tauglich und hätten genau deshalb lang studiert.
Doch was bedeutet dies fürs Glück einer Gesellschaft? Wenn Homosexuelle heiraten dürfen, macht sie das glücklich, aber einer Reihe anderer Leute passt das nicht. Wessen Glück ist wichtiger? Soll letztlich der Staat die Menschen zu ihrem Glück zwingen? Dann müsste er wohl seinen Bürgern befehlen, sonntags in die Kirche zu gehen. Schließlich macht Religiosität froh.
»Das ist nun wirklich das Letzte, was ein liberal denkender Mensch wollen kann«, sagt Bruno S. Frey. Der Zürcher Ökonomieprofessor erforscht Glück schon seit einigen Jahren. Bereits 2001 ist sein Buch »Happiness and Economics« erschienen. Frey ist ein großer Fan der direkten Demokratie, nachdem er sie jahrelang erforscht hat. Es kann ihm nicht gefallen, Leute ihrer Eigenverantwortung zu berauben. Zwar stimmt er mit Layard darin überein, dass Wachstum nicht alles sein könne, denn »das Ziel allen Wirtschaftens ist, dass die Leute mit ihrem Leben zufrieden sind«; doch seine Schlussfolgerungen sind ganz andere. Er hält es für Unsinn, einen nationalen Glücksindex wie Kahneman zu entwickeln, an dem sich dann ein wohlmeinender Staat orientiert. »Dahinter steckt ein kollektivistischer Ansatz mit der Vorstellung, Politik und Verwaltung handelten immer im Interesse der Bürger«, erklärt er. »Die Regierung ist nicht die Instanz, die uns sagen sollte, wie wir glücklich werden.« Das sollten die Bürger selbst festlegen, indem sie abstimmten.
Dies passt wiederum zu den Ergebnissen aus Veenhovens Glücksdatenbank: Freiheit macht froh. Sonst bisse sich die Katze selbst in den Schwanz. Heiraten mag zwar glücklich machen, doch Menschen zur Ehe zu zwingen funktioniert nicht, denn Unfreiheit verdrießt sie viel mehr, als sie die Hochzeit freuen würde.
Was soll also die ganze Übung? Es geht wohl vor allem darum, die Ökonomie zu einer lebensnäheren Wissenschaft zu machen. Auch wenn Zweifel angebracht sind, ob Glück messbar ist – mehr als gesunden Menschenverstand braucht es nicht, um zu wissen, dass Geld nicht alles ist. Umso besser, wenn das auch Ökonomen schwant und sie wie Lord Layard fragen: Wenn uns eine lange Phase wirtschaftlichen Wachstums subjektiv nicht glücklicher gemacht hat, warum sollen wir dann weiterwachsen?
Glück ist auch für Layard und Frey letztlich Privatsache. Am Ende weiß jeder selbst am besten, was für ihn gut ist. Oder glaubt zumindest, es zu wissen. Denn ganz so einfach ist auch das nicht. Schon jeder Einzelne ist damit überfordert, immer so zu handeln, dass er möglichst glücklich wird. Fernsehen zum Beispiel: macht nicht froh. Trotzdem schaut man abends lang fern, geht zu spät ins Bett, ärgert sich am nächsten Tag darüber – und tut am Abend wieder dasselbe. Frey war auch so einer. »Es gibt aber Lösungen«, macht er Hoffnung. »Ich habe keinen Fernseher mehr.«