In den Sechzigerjahren begannen Großfirmen in den USA damit, etwas in Massen zu produzieren, zu bündeln und zu verkaufen, was die Menschen vorher jahrhundertelang selbst gemacht hatten: Musik. So entstand das, was wir heute Pop nennen - wobei der Begriff gut und gern von einer Werbeagentur auf der Madison Avenue erfunden worden sein könnte. Warum spricht man von »populärer«, also Volkskultur, obwohl sie eigentlich von milliardenschweren, globalen Imperien produziert wird?
Heute erlahmt der Würgegriff, den diese Firmen auf die Kultur ausüben, Millionen von Amateuren machen eigene Musik, drehen eigene Videos und stellen das alles ins Internet - eine Verschiebung vom (passiven) Kaufen hin zum (aktiven) Machen. Sicher, es gibt Probleme - Künstler verlieren einen Teil ihres Lebensunterhalts, die Werke, die entstehen, sind oft grauenhaft, weil Kontrollinstanzen fehlen; all das ist bekannt. Spannend ist es dennoch, wie gerade Millionen Menschen aus dem riesigen Halbschatten der Unterhaltungsindustrie und ihrer Konzerne heraustreten.
Noch wichtiger ist aber: Das geschieht über alle nationalen und geografischen Grenzen hinweg. Das Internet mit seinen unendlichen Kontaktmöglichkeiten führt junge wie alte Menschen aus aller Welt, aus den unterschiedlichsten Kulturen und Sprachräumen zusammen, von Zentralasien bis Mittelamerika, von Russland bis Südafrika. Das Ergebnis ist eine weitverzweigte globale Landschaft, die jedoch nicht eintönig oder ewig gleich ist, sondern ganz im Gegenteil geprägt von den Besonderheiten der vielen einzelnen Orte, an denen sie »gemacht« wurde.
Hier findet ein grundlegender Wandel statt: Strukturen wie Nationalstaaten und globale Firmen verlieren nach und nach an Bedeutung. Den alten Strukturen, die von oben wirken, wachsen jetzt neue Strukturen entgegen - von unten.
Das Besondere ist, dass die spezifischen Eigenheiten des Gemachten dabei erhalten bleiben. Zwar erlangen einzelne künstlerische Äußerungen, also Lieder, Filme, Texte, eine globale Reichweite - aber was da passiert, ist etwas völlig anderes als die globale Vermarktung der US-Popkultur: Vielfalt statt Gleichschaltung.
Im 20. Jahrhundert waren die USA so etwas wie die popkulturelle Leitnation der Welt. Was jetzt stattfindet, können wir als Entnationalisierung bezeichnen. Langsam spielen nicht mehr einzelne Länder eine prägende Rolle, sondern virtuelle Nationen, also Gemeinschaften, die sich im Internet bilden und dort Macht entwickeln. Facebook statt Amerika.
Nationalstaaten und nationale Kulturen werden natürlich weiterhin existieren, aber sie werden auf tausend verschiedene Arten ihrer Grenzen beraubt.
(Saskia Sassen gilt als eine der bedeutendsten Soziologinnen der USA und prägte den Begriff der „Global City")