Es ist die erfolgreichste Netflix-Produktion des Jahres, der Überraschungshit des Sommers, seit Wochen erntet die Serie nichts als Begeisterung. Dabei ist an »Stranger Things« in Wahrheit kaum irgendwas »strange«. Eigentlich kennen wir das alles schon: die Bonanza-Fahrräder. Die toastergroßen Walkie-Talkies. Das Monster mit den langen Fingern. Den Hobby-Keller, zu dem die Eltern keinen Zutritt haben. Ja, doch, klar: Die Serie ist ein Mosaik aus dutzenden längst bekannten Bildern aus den großen Mystery-Filmen der Achtzigerjahre, »E.T.«, »Die Goonies«, »Poltergeist«, »Nightmare on Elm Street« und so weiter.
Im Hintergrund dieser Bilder, und darum ist es Thema dieser Kolumne, bollert und dongelt dabei eine Musik, die jedem sofort auffällt. Synthies hasten Tonleitern rauf, runter, walzen wabernde Bassflächen aus, kreischen einen an. Schon das 50-sekündige Intro lässt die Härchen auf dem Unterarm tanzen, als steckte schon in der einen Melodie das ganze Geheimnis der Geschichte.
Die Serie ist großartig erzählt, aber auch der Soundtrack ist einer der Gründe für ihren riesigen Erfolg. Er hat sofort das erreicht, was man wohl »Kultstatus« nennt. Zuerst bastelte ein Fan ein Mixtape mit allen Songs aus der Serie. Ein Youtuber lud das Intro hoch. Dann reagierte Netflix und stellte den Soundtrack auf iTunes. Dort steht er aktuell auf Platz 28, auf den ersten Blick nicht direkt hitverdächtig – aber doch eine mehr als respektable Position für ein Doppelalbum, das aus 75 (!) Songs besteht, von denen die meisten kürzer als anderthalb Minuten sind. Nächste Woche erscheint es auf CD.
Die Musiker? Sind von dem Erfolg total überrascht. Sie heißen Kyle Dixon und Michael Stein, zwei Nerds mit einer Art Synthesizer-Technikmuseum, bis vor ein paar Wochen kannte ihre Namen kaum jemand. Seither hätten Dixon und Stein keine freie Minute, verrieten sie Journalisten: Wegen der gigantischen Resonanz hätten sie noch nicht mal die fertig geschnittenen Folgen gesehen. Auch sie stellen sich die Frage: Warum feiern bloß alle diesen Soundtrack?
Eine gängige Erklärung für den Erfolg von »Stranger Things« lautet: Ältere Leute fühlen sich von ihr an die Lieblingsfilme ihrer Kindheit erinnert. Und jüngere Leute finden die ständig kaputten Festnetztelefone, die Funkgeräte und die Fahrräder total faszinierend, weil sie eine exotisch-beneidenswerte Freiheit zeigen, die man als Mitglied der Generation Smartphone wohl nie mehr erleben wird.
So ähnlich ist es mit dem Soundtrack. Einer der vielen hundert Fünf-Sterne-Bewerter bei iTunes schreibt: »Ich bin 15 und wusste nicht, wie es war, als damals Synth-Musik rauskam. Bis jetzt! Und ich liebe es!« Die Musik mag tatsächlich neu sein, aber sie besteht aus ganz klaren Zitaten an die Sci-Fi-Soundtracks der Achtzigerjahre. Sie ist ist der exakt passende Adapter zwischen alt und jung: Oldschool genug, um 40-jährige Fans von John Carpenter zum Jubeln zu bringen – und gleichzeitig für jüngere Ohren ungehört genug, um total verrückt, aber eben superauthentisch zu klingen.
Darin unterscheidet sich »Stranger Things« von anderen Serien, die in der jüngeren Vergangenheit spielen, etwa "Mad Men": Sie richtet sich sowohl an Menschen, die diese Zeit noch erlebt haben, als auch an die Nachgeborenen. Der Erfolg der Musik von »Stranger Things« liegt deshalb vielleicht vor allem an der Zeit, von der die Serie handelt: 1983. Das ist gerade lang genug her, um für junge Leute schon aufregend exotisch zu wirken. Aber doch noch so nah, dass es jede Menge lebende Menschen gibt, die sich daran erinnern. Und begeistert den Soundtrack kaufen.
Erinnert an: Die deutschen Synthie-Pioniere Tangerine Dream
Wer kauft das? 45-Jährige mit gerahmten »E.T.«-Plakaten im Flur. Und 16-Jährige, die parallel auf Ebay nach gut erhaltenen VHS-Spielern suchen.
Was dem Album gut tun würde: Zum Aufwachen zwischen den Synthie-Stücken: ein paar der Original-Eighties-Hits, die immer wieder in die Serie eingestreut sind!