Der Fluch der Föhnwelle

Unsere Autorin dachte, sie hätte die Achtziger überwunden – als ihr Sohn sie mit Karottenjeans und Wham-Frisur überraschte. Seitdem wird sie von einem schrecklichen Albtraum geplagt.

Ja, so waren die Achtzigerjahre: grelle Farben, über die Schulter geworfene Pullis, fluffige Frisuren – und es wurden noch Bücher gelesen.

Hie und da sah man sie in den vergangenen Monaten durch die Straßen schlurfen, wie Zombies, die aus ihren Gräbern gestiegen waren: Männer und Frauen im Stil der Achtzigerjahre! Ich hab immer schnell weggeguckt. Aber inzwischen lassen sie sich nicht mehr ignorieren. Die Achtziger sind wieder da. Überall in Berlin auf den Straßen. Als jemand, der die Achtziger noch persönlich erlebt hat, erleide ich schlimme Flashbacks.

Kürzlich beim Frühstück, mein Großer, 15: helle Karotten-Jeans mit Gürtel, in der ein T-Shirt steckt, es muss von Fila oder Lacoste sein, lauter Marken, von denen ich dachte, die würde niemand mehr tragen. Darüber ein Blouson aus grellbunter Ballonseide von Ellesse. Und die Haare ... sie werden immer länger. Und fluffiger. Fast schon Föhnwelle wie bei Andrew Ridgeley von Wham. Bald trägt er Vokuhila, denke ich, und guckt verträumt wie ein Fiorucci-Engel. Mir kommen fast die Tränen.

Plötzlich wird mir klar: Mein Sohn sieht aus wie sein Vater. Aber nicht wie sein Vater heute. Sondern wie sein Vater auf einem Foto aus einer lang vergangenen Zeit, als ich ihn noch nicht kannte. Und auch nicht hätte kennen wollen, zumindest nicht nachträglich.

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Ab hier wird's kompliziert mit der menschlichen Psyche. Denn die neigt ja dazu, Durchlebtes gering zu schätzen – und sich ihm im Revival gegen erste, heftige Widerstände dann doch wieder hinzugeben. Denn als ich selbst mittendrin war in den Achtzigern, hätte ich den Jungen mit den Röhrenjeans und der Wham-Frise vermutlich oberaffengeil gefunden. Doch mit etwas Abstand will man sich nicht mal vorstellen, jemals wieder Minipli oder Schulterpolster wie Krystle Carrington zu tragen. Vergangene Moden, die man mitmachen musste: zum Kotzen! Würgreiz, Ekel, Tabu! Warum? Vielleicht aus Angst, sich wieder eine sein altes Ich zurückzuverwandeln? Und somit kein bisschen weitergekommen zu sein im Leben? Ich habe dazu sogar den passenden Albtraum, eine nächtliche Heimsuchung, die mich seit 1987 verfolgt und jetzt wieder hochgekommen ist: Mein Leben wird quasi im Schnelldurchlauf zurückgespult, rewind, ich hör' sogar das Geräusch vom Band, reset: Ich lebe wieder bei meinen Eltern in der Glas-Chrom-Garnitur und muss mein Mathe-Abi machen, wieder und wieder und wieder.

Also: Cordkarottenhosen, Schlabber-T-Shirts und Neonlidschatten tragen und dazu deppert kreischen wie Cindy Lauper? Niemals! Das dachte ich die Tage auch im Klamottenladen, auf der Suche nach dem Geburtstagswunsch-Pulli vom Großen (»von Champion, Mama, kennst du die?«). Nie, nie, niemals, dachte ich, werde ich dieses Achtziger-Zeug wieder tragen.

Doch Moden machen mürbe. Schleichen sich hintenrum in dein Bewusstsein. Auf dem Heimweg sah ich mein Spiegelbild im Schaufenster. Und mir wurde schlagartig bewusst: Ich trage neuerdings die gleiche Frisur wie 1983! Alles türmt sich so lockig nach oben. Noch vor einem halben Jahr wäre ich vor mir selbst schreiend davon gelaufen. Nun rechne ich damit, in einem halben Jahr auch noch ein Püschelzöpfchen an mir zu entdecken, dass den Achtziger-Look final veredeln würde.

Foto: Getty Images/Maria Taglienti-Molinari