Polen zahlt neuerdings 300 Euro, Australien schon seit Jahren 1300 Euro Säuglingsbonus. In Frankreich können Frauen mit mindestens drei Kindern monatlich 1000 Euro Steuern sparen, in Singapur schenkt der Fiskus jungen Pärchen pro Baby bis zu 10 000 Euro. Um im globalen Wettlauf um mehr Nachwuchs nicht zurückzufallen, hat Deutschland nun das Elterngeld eingeführt. Schließlich meldete das Statistische Bundesamt gerade wieder, dass im Jahr 2050 womöglich nur noch 69 anstatt der derzeit 82 Millionen Menschen in Deutschland leben werden. Es führt kein Weg daran vorbei – Deutschland stirbt aus!
Seltsam nur die Panik, die Politik und Wirtschaft in dieser Sache verbreiten: Immerhin stirbt Deutschland schon seit hundert Jahren aus. 1904 bekam die deutsche Frau im Schnitt erstmals weniger als 2,1 Kinder. So viele wären nötig, um die Einwohnerzahl konstant zu halten, sagen die Statistiker. Heute lautet das Verhältnis: 1,36 Kinder pro Frau. Es waren schon weniger: 1,28 im Jahr 1985 und 1,24 im Jahr 1994. Trotzdem ist Deutschland nicht ausgestorben. Die Bevölkerung wuchs nach dem Krieg sogar stetig, weil Zuwanderer unsere mangelnde Gebärfreude überkompensierten. Warum soll das künftig anders sein, im Vereinten Europa, in dem jeder Bürger arbeiten kann, wo er will? Vor allem, wenn bei uns bald Millionen Stellen unbesetzt bleiben, weil Arbeitskräfte fehlen. Genau das wird nämlich passieren – behauptet jedenfalls die Wirtschaftslobby.
Wobei auch diese Prognose kaum nachvollziehbar ist – bei derzeit vier Millionen Arbeitslosen und Millionen Unterbeschäftigten, die in Mini-Jobs und unfreiwilliger Teilzeit verharren oder gleich vorzeitig in Rente geschickt wurden. Der Demografie-Forscher Ernst Kistler kommt deshalb zu einem ganz anderen Ergebnis: Selbst im Jahr 2020 werden in Deutschland nur eine Million potenzielle Arbeitskräfte weniger leben. Das will nur keiner hören. In der öffentlichen Diskussion gehe es vor allem »um das Interesse der Arbeitgeberseite, zu jeder Zeit und an jedem Ort eine große Zahl von Arbeitssuchenden vor der Tür zu haben«, argwöhnt Kistler.
Tatsächlich müssen sich die Firmen fragen lassen, warum sie nicht massenweise Krippen, Horte und Kindergärten errichten, um es Hunderttausenden erstklassig ausgebildeten Müttern zu ermöglichen, die angebliche Lücke zu schließen. Und warum nur jeder zweite Betrieb bereit ist, Menschen jenseits der 50 anzustellen.
Die Versicherungswirtschaft fährt ihre eigene, unselige Kampagne: Schon jetzt stagnierten die Renten, bald werde das System zusammen- brechen, heißt es. Einziger Ausweg sei die private Vorsorge. Dabei leidet die staatliche Rentenkasse heute vor allem darunter, dass sie im Zuge der Wiedervereinigung Millionen ostdeutscher Rentner verdauen musste. Und dass nur noch 26 Millionen Menschen in die Sozialversicherung einzahlen. Vor 15 Jahren waren es noch 29 Millionen. Nicht die Bevölkerung ist geschrumpft, sondern der Sozialstaat – weil eine Mehrheit in Wirtschaft und Politik das wollte.
Demografische Zeitbombe hin oder her: Mehr Menschen im erwerbsfähigen Alter nützen uns herzlich wenig, wenn sie keinen vernünftigen Job finden. Schief ist auch das Bild vom Beitragszahler, der immer mehr Rentner schultern muss. Er muss nämlich künftig für weniger Kinder und Jugendliche aufkommen – was eine deutliche Entlastung darstellt.
Eine schrumpfende Gesellschaft könnte noch viel mehr sparen: Geld für öffentliche Verwaltung, Gesundheitskosten, Gefängnisse. Es gäbe keine Lehrstellenmisere mehr, keine überfüllten Hörsäle und weniger Staus auf den Autobahnen, die ja, wie man immer liest, die Wirtschaft Milliarden kosten. Vielleicht wäre eine Gesellschaft mit 75 Millionen Deutschen sogar reicher. Vor allem, wenn man den ökologischen Faktor mitrechnet: Weniger Menschen verbrauchen weniger Ressourcen und erzeugen weniger Dreck. Schließlich hat sich auch unter Ökonomen die Einsicht durchgesetzt, dass uns die Zerstörung der Umwelt teuer zu stehen kommen wird. Höchste Zeit also, die kinderlosen, deutschen Frauen wieder mehr zu würdigen. Man muss ihnen ja nicht gleich eine Prämie zahlen.