Herrschaftszeiten!

Siemens spielt falsch, die CSU verrückt und der FC Bayern im UEFA-Cup. Kurt Kister, Hermann Unterstöger, Philipp Selldorf und Vincent Klink machen sich Sorgen um den Mythos Bayern.

    Respekt und Spott, Bewunderung und Verachtung – von jeher schlugen Bayern die verschiedensten Emotionen entgegen, bis hin zum unfreiwillig komischen Imitationsversuch, wenn sich etwa zahllose Nichtbayern Jahr für Jahr mit Trachtenjankern ausstatten. »Bayern ist das vielleicht einzige deutsche Land, dem es«, das wusste schon Bismarck, »gelungen ist, ein wirkliches und in sich selbst befriedigtes Nationalgefühl auszubilden.« Immer schon machte sich dieser Stolz, der oft genug in maßlose Selbstüberschätzung umschlägt, an den so
    unverbrüchlich wirkenden Institutionen im Lande fest – früher die Wittelsbacher, heute die CSU, der FC Bayern und Siemens. Nun aber scheinen diese Grundpfeiler der bayerischen Gesellschaft selbst ins Wanken zu geraten. Es knirscht im bayerischen Getriebe, und die Frage ist, ob es sich nur um vorübergehende Schwächeperioden handelt. Eine Bestandsaufnahme.

    Von der Domina zur Dementia Edmund Stoiber ist wahrlich eine tragische Gestalt. Einerseits hat er die CSU zu ihrer größten bundespolitischen Bedeutung geführt, die sie je hatte. Andererseits ist er der Hauptverantwortliche für den Verfall der Partei, der mit Stoibers Berlin-Flucht im Herbst 2005 begann und bis heute anhält. In der Union ist die CSU binnen weniger Jahre von der dominanten kleinen Schwester zur pflegebedürftigen Seniorin geworden. Der Weg von der Domina zur Dementia war erstaunlich kurz.

    2002 hätte Edmund Stoiber als Kanzlerkandidat der Union fast Rot-Grün von der Macht vertrieben. Sein ehemaliger Chef Franz Josef Strauß war 1980 längst nicht so nah dran wie Stoiber. Und Stoiber erreichte ein deutlich besseres Ergebnis für die Union, als dies Angela Merkel bei ihrer Siegniederlage gegen Schröder tat. In Bayern erzielte die Partei bei der Landtagswahl 2003 einen vermutlich unwiederholbaren Erfolg: die Zweidrittelmehrheit im Maximilianeum.

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    Und heute? Heute ist die CSU eine Lachnummer. Nein, Stoibers Rückkehr nach München nutzte weder Bayern noch seiner Partei mehr als sein Verbleib in Berlin. In der Staatskanzlei und an der CSU-Spitze wurde ein vernünftiger, allmählicher Übergang in die Post-Stoiber-Ära unmöglich. Seine Flucht vor der bundespolitischen Verantwortung vergrätzte all jene, die ihm dann zwei Jahre später in der Pauli-Affäre die Gefolgschaft versagten. In diesem Sinne hat sich Stoiber selbst gestürzt. Wahrscheinlich war dies in einer Partei, die auf die Zivilcourage von Beckstein, Söder und Herrmann angewiesen ist, gar nicht anders möglich.

    In Berlin spielt die CSU keine große Rolle mehr. Merkel sitzt sicher im Sattel, auch wenn man nicht immer weiß, auf welchem Pferd der Sattel gerade liegt. In der Wahrnehmung der politischen Klasse ist die CSU mehr denn je zu einem bayerischen Landesverband der CDU geworden. Und diese Veränderung der Wahrnehmung hat mit einer Wesensveränderung der CSU zu tun: Die bayerische Partei nämlich war immer auch eine Separatistenpartei. Ihr Fußvolk, viele ihrer Funktionäre und natürlich ihre Chefs – und da ganz besonders der selige Franz Josef Strauß – waren der Auffassung, Bayern sei so speziell, dass es auch eine ganz spezielle, eigenständige konservative Partei brauche. Die CSU eben – eine Regionalpartei mit Ansprüchen weit darüber hinaus.

    Bayern ist aber nicht mehr so speziell. Es hat sich in vierzig Jahren westdeutscher Geschichte immer mehr angenähert an andere deutsche Bundesländer. Und seit 1989 haben die Vereinigung, die EU und die Globalisierung etliche der noch verbliebenen bayerischen Zacken und Kanten abgeschliffen.

    Die unaufhaltsame Schrumpfung der CSU wird im Umgang mit der Schwester CDU deutlich. Gegenüber Angela Merkel betreiben die CSU-Granden nur noch Appeasement bis hin zur Unterwürfigkeit. Etwas anderes bleibt ihnen kaum übrig. Die CSU-Minister in Merkels Kabinett sind bestenfalls wacker. Im Falle Seehofers diskutiert man mehr über sein Privatleben als über seine Politik oder gar seinen Einfluss. Das Beste, was man über Peter Ramsauer, als Landesgruppenchef Nachfolger von Michael Glos, sagen kann, ist, dass er einen wunderschönen Wahlkreis in den Alpen vertritt.

    Kein Zweifel, die nächste Landtagswahl wird trotzdem wieder die CSU gewinnen. In Bayern ist die Partei etwa so wie der Föhn am Alpenrand: Man hat sich dran gewöhnt; er verursacht zwar Kopfweh und Melancholie, aber irgendwie ist der Föhn besser als der Regen, den man auch braucht, aber nicht so viel. Der Regen ist die bayerische SPD.

    Unter dem Ministerpräsidenten Günther Beckstein und dem Parteichef Erwin Huber wird sich die CSU konsolidieren, nicht in der bundespolitischen Bedeutung, aber dennoch im Vertrauen der Leute so zwischen Großholzhausen und Mintraching. Das ist ja auch schon was.

    Kurt Kister

    Der Global Payer

    Es gab Zeiten, da krähte in Bayern kein Hahn nach Siemens, und trotzdem sicherte die Firma sich ein Plätzchen in den Herzen der Hiesigen. Das war 1890. Siemens & Halske, damals schon ein Global Player von beachtlichem Format, eröffnete in München, in der Galeriestraße 15 a, eine Niederlassung, deren Umsatz im ersten Jahr 1346,05 Mark betrug, bei 2200 Mark Miete und ebenso hohen Repräsentationskosten keine berauschende Bilanz. Hauptkunde war aber immerhin Herzog Karl Theodor, Kaiserin Sisis Lieblingsbruder, im Familienkreis »Gackl« genannt. Als Augenarzt – und er war in seinem Fach bedeutend – hatte er Bedarf an gutem, nach dem Stand der Technik bestem Licht; es bleibt dem Hause Siemens unvergessen, dass es ihm die gewünschte fahrbare elektrische Beleuchtung liefern konnte.

    Siemens München hatte anfangs eine Belegschaft von zwei Leuten. Der eine war Filialleiter Adalbert Planck, ein Bruder des späteren Nobelpreisträgers Max Planck, die andere seine Sekretärin. Wer hätte seinerzeit ahnen können, dass Siemens sich zu einer Art Staat im Freistaat entwickeln würde, dergestalt, dass man die Siemensianer nach den Altbayern, Schwaben, Franken und Sudetendeutschen durchaus als Bayerns fünften Stamm bezeichnen konnte, wenn nicht gar als einen Orden wie die klanglich verwandten, wenn auch an anderen Zielen ausgerichteten Salesianer? Diese Karriere startete indessen (wie übrigens auch bei den Sudetendeutschen) erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Deutschland lag in Trümmern, mit ihm sein Stolz, die Industrie, und wie so viele andere ramponierte Pflanzen kam auch Siemens auf bayerischem Boden wieder auf die Füße und zu neuer Blüte.

    Nicht dass die Bayern behauptet hätten, schon der alte Werner von Siemens sei »oana von uns« gewesen, bewahre. Allmählich aber wuchs dem von ihm vor 160 Jahren in Berlin gegründeten Konzern etwas unübersehbar Weißblaues zu, eine Art gefühlter Bavaritas, deren innere Legitimität nicht zuletzt durch den Standort der Firmenleitung begründet werden konnte. Siemens residiert ja nicht irgendwo in Bayern, sondern in der Hauptstadt München, und hier wiederum auf dem Wittelsbacherplatz, in einem von Klenze entworfenen Palais und mit Blick auf ein sehr schönes Thorwaldsen-Denkmal, um genau zu sein: auf den Hintern eines Gauls, auf dem Kurfürst Maximilian I. sitzt. Man übertreibt wohl nicht, wenn man sagt, dass der gemeine Münchner lieber am Hause Siemens vorbeiflaniert als am Gebäude daneben, obwohl darin ein genuin bayerisches Unternehmen haust. Es ist das Innenministerium, mit Videokameras an allen Ecken, durch die Günther Beckstein uns kleine Leute beobachtet.

    Heute, nachdem so vieles aus dem Hause Siemens ruchbar geworden ist, wünschte manch einer, Beckstein hätte besser die Nachbarschaft observiert als uns Wurschtln. Erstens war Beckstein aber nicht zuständig, und zweitens hätte wohl nicht einmal er die Dimension der – wie soll man sagen? – Unregelmäßigkeiten überblickt. Aus Franz Josef Strauß’ Zeiten hat sich die an den Stammtischen immer herzhaft belachte Sentenz erhalten, man könne alles tun, dürfe sich nur nicht erwischen lassen. Ist es das, was einen an der Causa Siemens so wurmt: dass sie sich haben erwischen lassen? Sieht nicht so aus. Eher ist es der Umstand, dass einem ein vermeintlich sauberer Riese abhanden kommt. Man hat Siemens als bayerisch gelten lassen und trotzdem dahinter immer das altpreußisch Redliche vermutet. Und jetzt das!

    Hermann Unterstöger

    Gespaltene Führungspersönlichkeiten

    Der Mythos des FC Bayern ist nicht deswegen in Zweifel geraten, weil die Elf in der nächsten Saison im UEFA-Cup spielen wird, sondern weil der Club sein inneres Gleichgewicht verloren hat. Der UEFA-Cup ist ein ehrenwerter Wettbewerb und dem sportlichen Niveau der Bundesliga angemessen. Nach den Erfahrungen der just beendeten Saison sollte es für den FC Bayern eine Ehre sein, an ihm teilzunehmen. Aber darin liegt das Problem: Die Erwartung, sich demnächst mit FK Mlada Boleslav oder SV Zulte Waregem abgeben zu müssen, verursacht im Club allergische Reize. Hierfür bezeichnend steht das Jammern des Vorstandschefs Rummenigge: »Wir hatten in der Champions League in den vergangenen Jahren so tolle Reisen in die schönsten Städte und Stadien. Das wird nicht nur mir in der nächsten Saison fehlen, sondern auch unseren Spielern und Fans.« So klagt ein verwöhntes Kind, das nicht mehr vom Chauffeur im Mercedes von der Schule abgeholt wird, sondern Taxi fahren muss.

    Dahinter steckt eine grundsätzliche Unruhe, die den Mythos der souveränen Bayern-Herrlichkeit bedroht. Was die Bayern-Anhänger beunruhigen muss, ist die Panik, die wegen des schlechten Saisonverlaufs und – vor allem – wegen der miesen Pressekritiken in der Führung ausgebrochen ist. Sie offenbart den Verlust von Überzeugungen und ein Selbstbewusstseinsdefizit der wichtigsten Persönlichkeiten im Club.

    Wollte man sich früher einen Spaß erlauben und Uli Hoeneß ärgern, dann brauchte man ihm bloß vorzuschlagen, nach dem Vorbild Real Madrids endlich einen sogenannten Superstar zu kaufen. Garantiert polterte er dann los gegen die Hasardeure und Bankrotteure in Europas Spitzenfußball. Auf ihre seriöse Finanzpolitik mitten in einem System aberwitziger Verschwendung haben sich Hoeneß und der FC Bayern mit Recht etwas eingebildet. Jetzt ist es umgekehrt: Hoeneß und der FC Bayern wollen die Kritiker blamieren, indem sie für riesige Summen Starspieler kaufen. Die Mannschaft zu verstärken ist dabei nur das eine Ziel. Das andere ist, mit Markennamen zu protzen – etwa mit dem florentinischen Edeltorjäger Luca Toni. »Wir haben Tabus über Bord geworfen und werden Geld ausgeben wie nie zuvor«, hat Uli Hoeneß stolz verkündet. Einen solchen Angebersatz hätte er bis vor Kurzem nur in seinen schlimmsten Albträumen öffentlich ausgesprochen.

    In der nächsten Saison wollen die Bayern nicht Deutscher Meister werden. Sie wollen Rache nehmen und die Konkurrenz demütigen, der Titel ist nur Mittel zum Zweck. Die Kritiker, die den FC Bayern, Hoeneß und Rummenigge mit ihrem Spott beleidigt haben, sollen sich in Ehrfurcht verneigen, wenn die Münchner schon im Frühjahr die Meisterschaft sicher haben. »Mit dem Fernglas«, so Uli Hoeneß, sollen dann Stuttgart, Schalke und Bremen zu den Super-Bayern hochschauen. Doch was geschieht, wenn die anderen nicht mal ein altes Opernglas benötigen? Wenn der Edeltorjäger nicht trifft? Und das Höhnen der Kritiker noch lauter wird? Dann könnte aus den Gleichgewichtsstörungen des FC Bayern leicht eine ernste Krise erwachsen.

    Philipp Selldorf

    Schweinshaxn mit Pulverknödel

    Bier fällt in Bayern unter das Lebensmittelgesetz und deshalb stand das flüssige Brot immer unter dem Schutz des Staates, war aber auch vom Volk streng beäugt. Doch nur das Augustiner-Bräu blieb als einzige Großbrauerei Münchens vom Verkauf verschont, weil die Eigentümer rechtzeitig eine Stiftung gegründet hatten, welche jeder Zockerei Einhalt gebot. All die anderen wurden Opfer von Bierheuschrecken, und der Betriebsstoff, der die »Felix Bavaria« zusammenhielt, wurde ins Ausland verhökert. Löwenbräu, Spaten, Paulaner – alles verscherbelt.

    Irgendwie hat das alles eine Dimension, als hätte der Papst den Petersdom an Coca-Cola verleast und die Schweizergarde als Payback dazu. Begann der Abstieg Bayerns schon mit Franz Josef Strauß, der nach Afrika reiste, um »dene da druntn democracy« vorzuführen, oder erkundigte man sich damals nur, wie Korruption funktioniert? Hatte er Siemens-Manager im Gepäck?

    München, die Kapitale des Amigolands, gilt ja als italienischste Stadt der Republik, aber dass der Freistaat irgendwann mal in die sozial wackelige Nähe Siziliens rücken würde, hätte man sich nicht träumen lassen. Na ja, der Vergleich hinkt, in Bayern ist die Lage verzweifelter: Stoiber wird an Peinlichkeiten nur noch vom württembergischen Oettl übertroffen und die Weltmeisterschaft im Jodeln hat ein Japaner gewonnen. Wer nun glaubt, dass die letzten sicheren Orte des Freistaats, nämlich die Wirtshäuser, doch bittschön immer noch eine Institution darstellen, der wird langsam auch kleinlaut. Herzhafte Weißwürscht, Fleischpflanzl, Schweinshaxn, Bayerisch Kraut und Knödel waren ehemals wunderbare Tranquilizer, welche Bayern trotz allem lebenswert machten. Inzwischen braucht es einen ignoranten Magen – man kann sich allenfalls am Sättigungsgefühl erfreuen. Die wunderbare bayerische Küche wird nach und nach an den Billigtourismus drangegeben. Die Knödel werden mit Pulver angerührt, die Weißwürste am besten gleich über den Antiquitätenhandel oder als Gefahrgut abgewickelt. Jedes Land macht sich seine eigenen Falsifikate. Die Baden-Württemberger verkleistern sich gern mit viel Pappsauce, deshalb gibt es dort die Firmen Knorr und Maggi. In Bayern werden Knödel produziert, die eigentlich unter das Waffengesetz fallen müssten.

    Mit Regionalküche wird ja nicht nur im Freistaat angegeben. In der ganzen Bundesrepublik sind die überlieferten Rezepte ein Fall für die Denkmalpflege. Die Adressen guter Gasthäuser werden nur noch an Eingeweihte weitergeraunt, jedenfalls nur an solche Leute, denen gutes Essen ein wirkliches Anliegen ist. Der Mehrheit in Deutschland ist Essen sowieso scheißegal. Bayern hat eine große Chance. Da der gstandene Krachlederne ein Mensch ist mit Ehre im Leib und auch nicht so blöd wie manchmal verunglimpft, könnte er, statt traurig am Boden zu liegen und nach Schadenersatz zu schreien, sich einfach aufrappeln: Für ein paar Euro mehr besser zu kochen, das müsste doch möglich sein. Und es wäre auch nicht das erste Mal für die Bayern, »dass mas dene andern zoagt«. Und jedem Depri-Bajuwaren, der sich mal wieder über Bayern freuen, einmal wieder mit Grund und Substanz im Rücken herzhaft »mir san mir« brüllen will, dem rate ich zum Easyjet-Ausflug nach Berlin. Dort kann jeder sehen, was unten sein wirklich bedeutet.

    Vincent Klink