Volksbeichte

Der Papst kommt. Deshalb haben wir die Deutschen gebeten, uns ihre größten Geheimnisse anzuvertrauen.

    Lesen Sie auch die Geheimnisse, die nicht im SZ-Magazin erschienen sind.

    Ich lebe schon jahrelang allein und möchte bald mit meiner Partnerin zusammenziehen. Doch ich habe so viele Schulden, dass sich ein Betreuer um mich kümmern muss und ich von 50 Euro in der Woche lebe. Das darf meine Partnerin aber nicht erfahren. Deswegen habe ich auch schon ein paar Mal in Läden geklaut und bin schon öfter erwischt worden. Dafür schäme ich mich sehr.

    Mein Selbstverständnis vom Leben: unabhängig, selbstständig, frei zu sein. Mein geheimer Wunsch aber: ein Mann und ein Kind – von ihnen abhängig sein, mich auf ihn verlassen können, mich anlehnen, schwach sein.

    Meistgelesen diese Woche:

    Ich gebe gern Geld aus, das ich nicht habe.

    Mit Freunden habe ich in der Abiturzeitung einen bösen Artikel über die unbeliebten Schüler geschrieben. Damals fand ich das irre komisch. Heute, nach fast 15 Jahren, finde ich es blöd. Noch immer tun mir die Leute von damals leid, die es ohnehin nicht leicht hatten.

    Ich nehme schon seit vier Jahren Drogen und meine Eltern dürfen es nicht wissen.

    Ich habe vor dem Verkauf meines Autos den Kilometerstand manipulieren lassen. Wer ist schuld, der Mechaniker oder ich?
    Bei Vorstellungsgesprächen behaupte ich immer, ein Semester klassische Klarinette studiert zu haben, obwohl ich damals in der Aufnahmeprüfung knapp vorbeigerasselt bin. Hört sich aber intellektuell an und sorgt für ein respektvolles Kopfnicken.

    Mit 18 habe ich den Schlüssel unserer Nachbarn gefunden und nie abgegeben. Die Familie A. hatte die größte Villa, die man sich vorstellen konnte, und einen Partykeller mit Pool. Wenn die A.s im Urlaub waren, gingen wir heimlich schwimmen. Wir haben nie Spuren hinterlassen, weil wir unser Paradies nicht aufgeben wollten. Fast wäre alles aufgeflogen, als meine Familie und ich einmal wirklich bei den A.s eingeladen waren und mich Frau A. fragte, ob ich etwas trinken will. Ich antwortete, dass ich mir selber etwas hole. Da hat sie mich komisch angeschaut und gefragt, woher ich denn wisse, wo die Getränke stehen. Zum Glück konnte ich mich rausreden. So haben sie es nie erfahren.

    Noch heute schäme ich mich, weil ich in jungen Jahren – es sind nun über 40 Jahre her – eine sehr junge Dame brüsk vor den Kopf stieß. Wir waren zum ersten Mal tanzen. Beim Bezahlen fehlten ihr zwei Mark, die ich auslegen musste. In beispielloser Arroganz forderte ich per Postkarte nebst ein paar beleidigenden Hinweisen auf ihre erotische »Freizügigkeit« (was ich damals, 1962, dafür hielt) die Schulden ein. Alles, was ich von ihr bekam, war ein Brief, mit einem Stück Papier, auf dem ein Zweimarkstück fein säuberlich aufgeklebt war. Ohne Gruß, aber auch ohne Fluch, was schlimmer war. Selten wurde mir so schlagartig klar, was ich für ein Idiot war. Bis heute habe ich ihren Namen nicht vergessen. Ab und zu sprach ich sogar – sehr höflich und zurückhaltend – eine junge Frau an, die mich an sie erinnerte, ob sie nicht Ulla M. sei. Zu gern hätte ich mich bei ihr entschuldigt. Hiermit spreche ich es aus – irgendwo in den Äther: Ulla, bitte verzeih meine Riesendummheit! Für diese Jungentorheit schäme ich mich heute noch so sehr, dass ich sie keinem Menschen erzählt habe.

    Habe immer wieder den Albtraum, ins Grab gesenkt zu werden, bin aber nur scheintot und ersticke jämmerlich.

    Neulich habe ich mir beim Fußballspielen mit Kindern das Gesicht blutig geschlagen. Geweint habe ich aber erst zu Hause.

    Eine Erinnerung aus meiner Buchhändler-Schulzeit: In der niederrheinischen Provinz musste ich in die nächste Großstadt fahren, zu einer Buchhändler-Fachklasse. Auf dem Düsseldorfer Bahnhof, von wo ich nach Hause fahren wollte, auf dem letzten Bahnsteig, hinter der letzten Packbude, ein Backstein-Kiosk: zwei Verliebte, die sich bis zur Abfahrt des Zuges vergnügten – ich, mit dem Rücken gegen die brandigen Ziegel, sie vor mir, wir küssten uns. Ich beflüsterte sie inniglich, um sie ihrem Verlobten abspenstig zu machen (Perdu!). Entsprechend tief durchatmend schaute ich auf den nächsten Bahnsteig rüber, von wo Maurer und Dachdecker immer wieder zu uns hinguckten, Zirkus mimten, Arbeitsgerät weglegten; einer imitierte einen Kameramann. Meine erste »Braut« hieß zwar nicht »Kometa«, aber zu diesem Titel habe ich ihr anschließend Gedichte geschrieben (die irgendwo verbrannten). Die »Kometa« im blauen Mantel würde ich heute noch gern fragen, wie sie sich anschließend fühlte, sich präparierte auf den Verlobten, der in Duisburg am Bahnhof auf sie wartete. Vor 40 Jahren war das und noch lange umkreisten meine Gefühle diesen Kometen, der, immer eisiger werdend, entschwand.

    Ich schmuggle regelmäßig Zigaretten aus dem Osten. Der Absatz in München ist riesig.

    Mein geheimer Wunsch ist, dass meine Tochter den Glauben findet.

    Ich sammle in Restaurants liegen gelassene Bewirtungsrechnungen und reiche sie als meine eigenen bei der Steuer ein.

    Ich bin Mitte 20 und musste mir gestern eine Hämorrhoide entfernen lassen.
    Auf meinem Balkon stehen seit einem Jahr zwei Tüten mit altem Brot. Ich traue mich nicht mehr reinzuschauen.

    Ich gebe es zu: Nicht Spiegel, Taz, Zeit sind mein Begehr. Heutzutage muss es Intouch, Gala, Bunte sein, weil auch die siebte Brangelina- oder Posh/Becks-Story sein muss.

    Ich habe einen jetzt 15 Jahre alten, noch verschlossenen Abschiedsbrief meiner Exfreundin, den sie mir in der Hoffnung, ich würde zu ihr zurückkehren, geschrieben hat. Er ist mächtig dick und beinhaltet wohl die Bitte, dass wir wieder zusammen sind. Doch ich habe bis heute das Bedürfnis, ihn lebenslang verschlossen zu halten, damit ich nie erfahren werde, warum, wieso, weshalb es auseinanderging. Solange dieser Brief verschlossen bleibt, weiß ich, dass ich meinen Prinzipien im Leben folgen kann.

    Ich hatte vor einigen Wochen was mit der Freundin eines guten Freundes. Er weiß es noch nicht. Mit ihr verstehe ich mich nicht mehr. Hoffentlich wird sie es ihm nie erzählen. Das Ganze wäre es nicht wert, dass meine Freundschaft zu ihm zerbricht.

    Habe meiner Mutter verheimlicht, dass ich wieder rauche. Sie war so stolz auf mich, als ich aufgehört hatte.

    Ich schreibe jede Woche gut sieben Arbeitsstunden mehr auf, als ich wirklich gearbeitet habe. Aber das machen alle!

    Ich belaste immer wieder die Kreditkarte meines Vaters. Er kam noch nicht dahinter. Wie lange das noch gut geht?

    Ich habe geklaut.

    Ich erzähle den Leuten immer, wie toll ich bin, obwohl ich weiß, dass ich eine Niete bin.

    Ich habe ein Alkoholproblem. Das würde ich jedoch nie aussprechen.

    Ich bin seit acht Jahren mit meinem Freund zusammen. Aus beruflichen Gründen führen wir seit einem Jahr eine Fernbeziehung. Ich liebe ihn und möchte ihn auf keinen Fall verlieren, aber ich habe ihn in diesem Jahr schon mehrmals betrogen. Einerseits hasse ich mich dafür, aber der Reiz ist so groß.

    Ich träume davon, Popstar zu werden.

    Ich traue mich nicht so richtig, mein Geheimnis einer Postkarte anzuvertrauen: Aber über die Winterzeit rasiere ich mir die Beine nicht regelmäßig. Nun ist es öffentlich. Liebe Grüße, Claudia

    Ich habe heimlich die Geheimniskarte von Claudia gelesen. Aber psst, nicht verraten! Gruß, Martin

    Zu meiner Schulzeit, 11. Klasse, traf ich auf dem Feuerwehrfest die Tochter meiner Deutschlehrerin Frau B. Da zwei Tage später die Deutschklausur anstand, ermunterten mich meine Freunde, mit ihr rumzuknutschen, damit sie mich mitnimmt. Ich landete im Haus der Lehrerin, die über das Wochenende weg war. In ihren Arbeitszimmer fand ich die Klausur. Ich gab die Fragen an alle anderen weiter. Unseren Betrug hat nie jemand erfahren. Entschuldigung, Frau B.

    Ich bin verliebt in meine beste Freundin.

    Um ganz nach oben zu kommen, schrecke ich auch vor unmoralischen Dingen nicht zurück.

    Ich wurde eingeschult in einem Konvent. Alles war sehr schön, die Umgebung pittoresk, die Nonnen gütig, wir Kinder fröhlich. Ich hatte einen besten Freund. Eines Morgens kam er zu mir, mit einem Fläschchen voll Zuckerperlen. Er wollte seinen Schatz mit mir teilen. Doch ich nahm ihm die Zuckerperlen weg und stürzte sie hinunter. Er war entsetzt. Sein Gesicht werde ich nie vergessen. Den Tag verbrachte ich im Karzer. Den Freund verlor ich fürs Leben.

    Ich finde meinen Lehrer süß.

    Vor drei Jahren ist meine Mutter an Krebs gestorben. Als sie krank wurde, hat sie alle Hoffnung verloren. Mein Bruder hat immer gesagt, ich solle sie ihren Weg gehen lassen, aber ich konnte nicht einfach so zusehen. Ich war wütend, habe immer geschimpft und ihr gesagt, dass sie sich anstrengen muss, um gesund zu werden. Jetzt weiß ich, sie konnte nicht anders, außer Angst hat sie nichts mehr gefühlt. Ich weiß, dass meine Wut vor allem Hilflosigkeit war. Aber ich hätte mehr Verständnis zeigen sollen, auch mal etwas anderes sagen sollen als: Das wird schon wieder. Der Gedanke, dass sie in dem Glauben starb, ich sei unzufrieden mit ihr gewesen, ist furchtbar. Ich stehe mit ihm auf und gehe mit ihm ins Bett, jede Nacht. Und ich werde ihn nie mehr los.

    Ich gebe mich im Internet mit falschem Namen aus, um alleinstehenden Kollegen Komplimente zu machen. Erst frage ich, in welchem Chat sie sind, dann mache ich ihnen eine Freude.

    Ich besitze drei Staatsbürgerschaften. Laut deutschem Gesetz ist das verboten.

    Weil ich neugierig war, habe ich als Kind einmal einen Brief an meine ältere Schwester geöffnet. Er war von einer Freundin geschrieben und es war enttäuschend, was darin stand: vor allem Adressen für Studienberatungen. Ich habe mir dann alles Mögliche überlegt, wie ich den Umschlag wieder verschließen kann, aber keine meiner Ideen war erfolgreich. Ich habe bis heute keinem erzählt, dass ich den Brief dann einfach verschwinden ließ. Das ist jetzt 30 Jahre her.

    Ich habe früher immer die Unterschrift meiner Eltern gefälscht, damit ich die Schule schwänzen kann.

    Ich bin eine Frau, die sich gerne fesseln und schlagen lässt.

    Ich (29) fühle mich zu der Mutter meiner Freundin hingezogen und träume oft von ihr.

    Meistens empfinde ich für meinen Bruder nichts anderes als blanken Hass.

    Ich habe ein Verhältnis mit einem 22 Jahre älteren Mann. Er schenkt mir die Zuneigung, die ich brauche, und ich fühle mich so frei wie noch nie. Schade, dass ich es niemandem erzählen kann, denn es ist eine der Begebenheiten, die diesen Sommer zu dem schönsten meines Lebens machen.

    Ich kenne einige Passwörter von Freunden.

    Am Anfang meiner Beziehung hatte ich ständig erotische Träume mit anderen Männern. Ich wachte immer schweißgebadet und schuldbewusst auf. In der Folge war ich in den Träumen schon immer panisch: Habe ich jetzt meinen Freund betrogen oder nicht? Was mach ich nur? Da war ich manchmal richtig erleichtert, wenn ich aufgewacht bin und festgestellt habe, dass ich nur geträumt hatte.

    Den Stift, mit dem ich auf diese Karte schreibe, habe ich gerade gestohlen.

    Vor 12 Jahren habe ich den Exfreund meiner Freundin geküsst, kurz nachdem sie sich getrennt hatten. Dafür schäme ich mich noch heute.

    Der Mann, der bei der Geburt meines Sohnes dabei war, der ihn fast bis zu seinem vierten Lebensjahr aufwachsen sah – dieser Mann hat sich wegen einer 15 Jahre älteren Frau aus dem Staub gemacht und ist nach Bremen gezogen. Für die Zeit, die der kleine Kerl danach durchgemacht hat, möchte ich nichts mehr im Leben, als mich an ihm zu rächen. Wirklich zufällig, nämlich weil die Freundin meines Sohnes ihm riet, sich in Bremen an der Kunsthochschule zu bewerben – sie selbst war dort bereits eingeschrieben –, ist mein Sohn nun in Bremen gelandet, wo sein Ziehvater seit 25 Jahren lebt. Und dieser hat nicht einmal Kontakt mit ihm aufgenommen, obwohl ich die Telefonnummer meines Sohnes unverbindlich bei einem Onkel in Nordhessen hinterlassen habe – so konnte er selbst entscheiden, ob er mit ihm Kontakt aufnehmen will oder nicht, wobei ich sicher war, er würde es tun. Feigheit oder Ignoranz – ich werde ihn finden, ohne dass mein Sohn davon erfährt. Und ich werde mich für seine Feigheit an ihm rächen. Ich weiß nur noch nicht, wie.

    Bei meinen Studienreisen zu antiken Orten (Athen, Kairo, Jerusalem, Prag, Budapest, St. Petersburg, Rom) spreche ich manchmal mit den historischen Steinen.

    Manchmal habe ich Angst – vor mir selbst.