Alle Welt redet vom Öl, das zur Neige geht. Oder vom Amazonaswald, der sich langsam in Rauch auflöst. Und angeblich reicht auch das Uran nur noch 37 Jahre. Nun droht uns zu allem Überfluss ein Mangel, der uns vielleicht bald alle sprachlos macht: Es scheint, als gingen uns die Namen aus, für all die schönen neuen Firmen, Marken, Produkte und Internetauftritte, die täglich zu Tausenden das Licht der Welt erblicken.
Geschätzte 550 Millionen Webseiten und 1,2 Milliarden E-Mail-Adressen sind 2008 im Gebrauch. Jedoch, die Wachstumsraten des Webs gehen zurück. Ein Grund: In einem System, das keine zwei gleichen Adressen duldet, ist der Platz begrenzt. Bald wird kein Fritz Huber mehr eine E-Mail-Adresse unter seinem Namen einrichten können, und wer eine schlagkräftige Webadresse möchte, muss sie einem anderen für viel Geld abtrotzen. Mit Domains wird schon jetzt gehandelt wie mit Immobilien oder Kunst: pizza.com wechselte kürzlich für 2,6 Millionen Dollar den Besitzer, porn.com für 9,5 Millionen.
In der globalisierten Wirtschaft sieht es nicht besser aus: Marketingstrategen reißen sich mittlerweile die Haare aus, um Marken- und Firmenbezeichnungen zu finden, die nicht schon besetzt sind und vom Koreaner wie vom Inder und Schweizer gleichermaßen verstanden werden. Was angesichts von 764 472 eingetragenen Marken allein in Deutschland (2007) und geschätzten 25 Millionen weltweit immer schwerer wird.
Alba, Albi, Albis, Aldi – alles schon weg. Zum Vergleich: Der Duden umfasst 130 000 Stichwörter. Hinzu kommt: Firmen werden inzwischen so schnell verkauft oder verschluckt, dass man mit den neuen Namen gar nicht mehr hinterherkommt: Aus Hoechst wurde Aventis wurde Sanofi-Aventis. Und die nächste Übernahme kommt bestimmt.
(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Für einen neuen Namen zahlen Kunden bis zu 150 000 Euro.)
Historiker werden eines Tages den Niedergang der Markennamenkultur in Epochen einteilen. Zuerst war da die Ära der echten Wörter und Namen (Daimler-Benz, Kölnisch Wasser), gefolgt von den Abkürzungen (CNN, SAP, IBM), die allerdings schnell alle aufgebraucht waren. Danach kam ein Intermezzo der Mc-Firmen. Zurzeit hilft man sich mit gesichtslosen Neolatinismen und Fantasiewörtern aus (Novartis, Qimonda, Evonik). Die Frage ist: Was kommt danach?
Die Suche nach neuen Namen, die keiner hat und jeder versteht, ist so kompliziert, dass sich ein ganzer Berufszweig darum kümmert. Einer seiner Gurus ist Manfred Gotta, Gründer von »Gotta Brands« und Schöpfer von Kreationen wie Froop, Megaperls oder Twingo. Gotta sieht der Namensdürre gelassen entgegen, schließlich ist genau sie seine Geschäftsgrundlage.
Ist seine Arbeit schwerer geworden als früher? »Nein. Immer gleich schwer«, sagt Gotta. Für einen neuen Namen, den er auch mithilfe einer Software kreiert, die Buchstaben so lang durcheinanderwürfelt, bis ein brauchbarer Begriff herauskommt, zahlen ihm seine Kunden bis zu 150 000 Euro.
Gotta macht alles außer Pharma. Das liegt ihm nicht, sagt er. Doch gerade diese Industrie bräuchte dringend seine Hilfe. Sie ringt seit Jahren um gute neue Namen für ihre Medikamente, die nicht klingen wie bereits existierende Präparate.
Das kann nämlich zu fatalen Folgen führen, wie Berichte aus den USA belegen, nach denen sich die Anzahl der Verwechslungen von Medikamenten in US-Krankenhäusern seit 2004 verdoppelt hat. »Die sitzen in einem Getto medizinischer Begrifflichkeit«, sagt Gotta.
(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Eos heißt eine Kamera von Canon, aber auch ein Cabrio von VW.)
Die Tücke von Kunstwörtern offenbart sich manchmal erst auf den zweiten Blick. Woher sollten die Japaner wissen, dass ihr Nissan Serena seinen schönen Namen in der westlichen Welt mit einer Damenbinde teilt. Und eine arme Sau ist, wer in Spanien mit einem Lada Nova stehen bleibt, denn ihm ist der Spott des Mechanikers sicher: No va heißt auf Spanisch »fährt nicht«.
Kein Wunder, dass manche Hersteller vor lauter Buchstaben-Jonglieren ganz vergessen zu prüfen, wie neu ihr neuer Name ist: Eos heißt eine Kamera von Canon, aber auch ein Cabrio von VW. Und Fords Modell Focus teilt seinen Namen mit einem deutschen Nachrichtenmagazin.
Im Jahr 2007 gab es allein in Deutschland rund 5000 Widerspruchsverfahren im Markenrecht, weil der eine den Namen des anderen benutzen wollte. Tendenz steigend. Doch was, wenn eines Tages wirklich jedes Wort namensrechtlich gesichert, jede Silbe durch Software gejagt und jeder Buchstabe dreimal umgedreht ist? Durchnummerieren?
Das hat schon den Astronomen aus der Patsche geholfen, als sie bemerkten, dass die menschliche Sprache nicht ausreicht, um jedem Stern und jeder Galaxie am Firmament einen eigenen Namen zu geben. Ist aber keine wirkliche Option – zu unsexy.
Hoffnung bringt der Friedhof der Markennamen. Dort ruht alles, was nicht mehr in Benutzung ist. Nach fünfzig Jahren dürfen tote Markennamen wiederauferstehen. Wer weiß also, was man in 500 Jahren bekommt, wenn man sich eine Coca-Cola kauft?
Foto: Mauritius