Absturz

Die Deutschen trinken immer weniger Bier, der Bierpreis hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren halbiert, den Brauereien geht es schlecht. Was ist bloß los mit uns und unserem Lieblingsgetränk?

Immer mehr Biertrinkern ist egal, welche Marke sie kaufen - Hauptsache, billig.

Und dann kam er tatsächlich, der Tag, als es vorbei war. Am 1. Juli hatte jeder seinen Schlüssel abgegeben, auch die wenigen, die bis zum Ende da waren. Die Frau am Empfang, die kaum mehr Anrufe entgegennahm, der Lagerarbeiter, der keine Lastwagen mehr belud, der Maschinist, der keinen Sud mehr kochte, und natürlich Ralf Treske, der, auch als er schon freigestellt war, ab und an in die Grüner Talstraße fuhr, zu seiner Iserlohner Brauerei. Nur schwer konnte er glauben, noch schwerer ertragen, was dort nun alles verschwunden war: die Stimmen der Arbeiter im Hof, das wilde Rasseln der Maschinen, das Leuchten der Schrift auf dem Fabrikturm. Zählten sie nicht zu den 50 größten Brauereien des Landes? Wurde ihr Bier nicht erst vor wenigen Jahren ausgezeichnet? Sie waren doch ein Stück Sauerland.

33 Jahre lang, an rund 7000 Tagen, war Ralf Treske durch das große Eingangstor zu seiner Arbeit gegangen. Er hatte Gabelstapler gefahren und das Lager geführt, hatte Schichten eingeteilt und war zum Betriebsratschef aufgestiegen. »Das ist meine Brauerei. Wir Iserlohner! Ich habe einen Enkel. Der ist elf. Das Erste, was er sagen konnte, war: Opa-Bier. So war das. Ich habe da auf jede Schraube aufgepasst. Habe das verteidigt, immer die Fahne hochgehalten.«

Meistgelesen diese Woche:

Zum Schluss aber gab er auf. Kaum mehr ging er abends raus. Er konnte die Sprüche nicht mehr ertragen, im »Eck«, seiner Stammkneipe: »Hey, Treske! Wie schmeckt eure Plörre wieder? Hat da jemand in den Tank gepisst?« Er schämte sich, er, im Ort das Gesicht der Brauerei, mehr als die vielen Chefs, die kamen und gingen, diese Manager, die, wie Treske sagt, noch mit der Trommel um den Weihnachtsbaum liefen, als er schon Bier braute.

Diese Chefs sahen im Billigbier die Zukunft. Und sie sind in eine Falle geraten, die Billigfalle.

Bier ist in Deutschland zur Ramschware verkommen. Drei von vier Kästen werden über Aktionen verkauft, als »einmalige Gelegenheit« oder »Dauer-Super-Niedrigpreis«: 7,77 Euro der Kasten, 24 Cent die Halbliterdose. Bereinigt um Inflation und Mehrwertsteuer haben sich die Preise in nur zwei Jahrzehnten halbiert. Das ist der erste Teil der Geschichte. Der zweite ist noch bitterer für die Brauer. Jeder Vierte, der früher Bier kaufte, kauft heute was anderes. Die Deutschen haben ihre Liebe zum Bier verloren.

Es war doch mal ihr Getränk, war den Deutschen das, was den Franzosen der Wein ist: ein Kulturgut. Wir sind die Erfinder des Reinheitsgebots. Unsere Vielfalt ist weltbekannt: Pils und Helles, Alt und Kölsch, Zwickel und Weizen. Und vor nicht langer Zeit hatte in diesem Land fast jeder Biertrinker seine Lieblingsmarke. Nie hätte ein Jeveraner ein Becks angerührt, ein Augustiner-Trinker ein Hofbräu. Auch diese Treue ist vorbei. Wie kann das sein?

Einer der Menschen, die dieses Sterben vorhergesagt haben, sitzt im tiefen Allgäu, in Meckatz, einem Ort, der eigentlich nur aus einer Straße besteht, aus seiner Brauerei, seiner Gaststätte und seiner Villa: Michael Weiß, Ende fünfzig, groß, hager, mit grünem Samtjanker und schwarzer Tuchhose. Er ist Chef von »Meckatzer Löwenbräu«, Träger des Bundesverdienstkreuzes, und viele Jahre war er Präsident des Bayerischen Brauerbundes, wo er sich recht unbeliebt gemacht hat mit seinem Kampf gegen die Bierverramschung, mit Sprüchen wie »Wer darüber schweigt, macht sich schuldig«. Wieder und wieder ist Weiß zu Messen und Brauertreffen gefahren, hat Vorträge gehalten und Billigbiermagnaten wie Günther Kollmar, den Gründer der Oettinger-Brauerei, mit Fragen genervt.

Weiß eilt zum Regal in seinem hellen, aufgeräumten Büro, zwei Leitz-Ordner lagert er dort, noch mal untergliedert in Klarsicht-Kladden, Beweise aus zwei Jahrzehnten der Bierverelendung: billige Prospektbilder von Netto, Rewe, Lidl, Aldi, Norma, Edeka. Angebote und Rabatte, fein ausgeschnitten, aufgeklebt und mit Bleistift-Notizen versehen. »Ein Wahnsinn!«, steht daneben. Oder: »Wie lange die das durchhalten?« Oder: »Mir wird fast schlecht, wenn ich diese Preise sehe. Wo soll dieses Downtrading enden?« Und der Preissturz ist in der Tat nicht zu begreifen. Es steigen ja zugleich die Kosten fast aller Rohstoffe und Produktionsfaktoren: Hopfen und Malz, Strom und Diesel, Maschinen und Mitarbeiter.

Traugott Simon! Wer kommt auf solch einen Namen?


Begonnen hat der Niedergang des Bieres recht harmlos, vor zwei Jahrzehnten. Der Mauerfall hatte den Brauern zuvor schöne Umsätze beschert, Marken wie Warsteiner galten als Premiumbier und pflegten dieses Image. Doch dann schrumpfte der Markt. Die Jungen entdeckten »Wodka Bull«, die Mittelalten achteten auf die Gesundheit, und es stieg die Zahl der Alten, die eben weniger trinken. Auch war es kein Kavaliersdelikt mehr, angeschickert im Auto oder am Arbeitsplatz zu sitzen.

Angst packte die Unternehmer: Schrumpft ein Markt, verlieren sie Kunden und die Gewinne sinken. Sie mussten Kosten senken. Und so schütteten viele Hopfenextrakt in den Sudkessel, nicht mehr Hopfendolden. Sie tauschten Mitarbeiter durch Maschinen aus, bauten Sortieranlagen und Abfüllstraßen. Und statt auf Marke setzten sie auf Masse. Warsteiners Ausstoß stieg von zwei auf sechs Millionen Hektoliter pro Jahr. Ein neues Wort glitt in den Sprachgebrauch: Fabrikbier. Eine neue Verkaufsform wurde wichtiger: die Aktion. Und eine riskante Geschäftsidee kam auf: die Zweitabfüllung. Der Verkauf unter fremdem Namen.

Ach, hätten sich die Iserlohner doch nie auf diese Idee eingelassen. Ralf Treske schüttelt nur den Kopf. »Es tut weh.« Details über den Absturz erzählen darf er nicht, er saß im Gläubigerausschuss, dort versuchte er, für die Mitarbeiter wenigstens eine Abfindung rauszuholen. Auch die alte Geschäftsführung möchte sich nach Rücksprache mit ihren Anwälten nicht äußern. Aber die Geschichte lässt sich trotzdem erzählen. Sie sagt viel aus über das Biergeschäft, über die Zukunft Hunderter deutscher Brauereien.

Die Iserlohner Mitarbeiter haben von Anfang an kein gutes Gefühl bei dieser neuen Strategie, in der immer mehr Brauereien ihre Rettung suchen. Im großen Stil Zweitabfüllung wolle man betreiben, sagen die Chefs bei ihren Antrittsreden vor vier Jahren. Iserlohner Bier in fremden Flaschen, als Eigenmarken von Händlern wie Edeka und Rewe. Das lastet die Anlage aus, steigert den Absatz und könnte ein Ausweg sein.

Es geht den Iserlohnern gegen die Brauerehre. Aber sie halten den Mund. Sie können die Chefs sogar ein wenig verstehen. Die müssen ja was tun. Der Brauerei geht es schlecht. Sie haben den Abstieg einer durchschnittlichen deutschen Brauerei hinter sich: Kundenflucht, Preisverfall, drohende Pleite.

Viele große Brauereien sind Zweitabfüller. Und schweigen darüber. Der Kunde soll nicht wissen, dass sein Bier unter anderem Namen ein Drittel weniger kostet. »Hergestellt in Deutschland« steht meistens lapidar auf dem Dosenrand: keine Brauerei, kein Ort, es ist ein heimliches, verschämtes und knallhartes Geschäft. Oft lassen die Discounter ihre Biere in mehreren Brauereien abfüllen, das spart Transportkosten und macht die Brauer austauschbar. Bei Netto sollen es zehn Vertragspartner sein.

Für manche Brauer rechnet sich das offenbar. Für das Frankfurter Brauhaus, mit den Kunden Aldi und Lidl, oder für die Herforder Brauerei, die als Tochter von Warsteiner bei Einkauf und Vertrieb sparen kann. Aber für die Iserlohner?

Die Mitarbeiter kleben von nun an vor allem Etiketten mit der Aufschrift Traugott Simon und Oscar Maxxum auf die Flaschen, für die Getränkekette Trinkgut. Traugott Simon! Wer kommt auf solch einen Namen?

Bange wird den Mitarbeitern, als sie die Menge sehen, die sie abfüllen müssen. Und so richtig bange, als kurz darauf Edeka die Kette Trinkgut übernimmt. Hunderte Märkte mehr müssen sie beliefern. Der Ausstoß springt, heißt es, von 500 000 auf 600 000 Hektoliter im Jahr. Das können sie gar nicht schaffen mit ihren alten Anlagen. Wir werden in neue Tanks investieren, versprechen die Chefs. Doch dazu wird es nie kommen. Den Banken, die das finanzieren sollen, ist die Rechnung zu gewagt.

Die Iserlohner müssen sich anders behelfen. Auf dem Hof fahren Tankwagen an, Bier von anderen Brauereien, vom Gießener Brauhaus und von Oettinger. Es ist absurd: ein Maxxum, hinter dem sich ein Iserlohner versteckt, das in Wahrheit ein Oettinger ist. Und ein Hersteller, der nicht herstellt, sondern kauft.

In ihrer Not verkaufen die Iserlohner auch noch den Stolz des Unternehmens an Krombacher: ihr Fassbiergeschäft. Das schafft Platz in den Lagertanks. Das senkt Kos-ten. Aber es ist, sagt ein Manager eines Konkurrenten, die Selbstaufgabe. Es habe ihn fassungslos gemacht. »Ohne Fassbier verschwindest du von den Volksfesten, aus dem Blick der Kunden. Das ist das Ende.« Auf den »Iserlohner Sommernächten« gibt es nun Veltins.

Selbst Mitarbeiter von Iserlohner fangen an, Krombacher zu trinken. Sie wissen ja, wie ihr Bier nun hergestellt wird. Man kann Bier ja auf verschiedene Art brauen, sagt einer: Man kann den Sud mit Hopfendolden kochen, ihn langsam aufheizen, das Bier reifen lassen, am besten mehrere Wochen lang, und es verschneiden für einen gleichbleibenden Geschmack. Oder man kann Hopfenextrakt reinkippen, das Bier nach einer Woche abfüllen und sich das Verschneiden sparen.

Die Maschinen bei Iserlohner laufen Volllast. »Einfach abfüllen, billig, billig, Masse machts.« Jungbier, das in der Flasche nachgärt, das mal so, mal so schmeckt. Die Zeitungen schreiben von Qualitätsproblemen, das Management spricht von Rohstoffschwankungen. Und so kommt, was kommen musste: Im Winter 2013 beantragen die Chefs eine geordnete Insolvenz, eine letzte Chance vor der endgültigen Pleite. Sie treten vor die Mannschaft: Leute, wir müssen kämpfen! Die Mitarbeiter kämpfen. Und sie hoffen. Edeka gibt sogar eine große Bestellung auf.

Und schaut sich derweil um.

Und findet einen neuen Abfüller für ihre 200 000 Hektoliter: die Herforder Brauerei, Tochter von Warsteiner. Die macht es so billig, heißt es in der Branche, dass Edeka 600 000 Euro im Jahr spart, trotz höherer Transportkosten.

Im Februar dann die endgültige Insolvenz. Die Nachricht erreicht die letzten Mitarbeiter per Brief: Freistellung. Das Aus nach 115 Jahren, davon vier Jahre Billigbier. Am 1. Juli ist die Brauerei dicht.

Vor einigen Wochen hat sie wieder aufgemacht. Der Braumanager Christian Rolinck und ein Geldgeber aus China haben die Firmen-Leiche gekauft. »Es ist ein kompletter Neustart. Mit neuer Mannschaft«, sagt Rolinck. In diesen Tagen wird hinter den Toren geputzt, repariert, erneuert, der Dachdecker war da, bald soll eine Abfüllanlage für Dosen in Betrieb gehen. Denn das ist der Plan: Dosenbier für China.

Mit beidem, der Pleite und der Hoffnung auf China, sind die Iserlohner exemplarisch, nehmen sie vorweg, was viele größere Brauereien ereilen wird: Sie werden sterben, auch wenn es die Brauer nicht wahrhaben wollen, gerade die Familienbrauer, die mit dem Namen für ihr Bier stehen. Es ist ein Wirtschaftsgesetz: In einem schrumpfenden Markt sterben nicht nur Schwache, sondern auch viele Starke. Derzeit verlieren drei von vier Brauereien Geld. Sie leben vom Verkauf ihrer Immobilien, vom Geld einiger Banken, oder sie lassen sich kaufen, selbst Große wie Beck’s und Spaten von Konzernen wie AB Inbev. Deutsche haben auf dem Weltmarkt nichts mehr zu melden. Sie sind Verlierer.

Dass einige nun auf China hoffen, liegt daran, dass dort in Karaoke-Bars Fünf-Liter-Dosen ein Trend sind. Der Preis, den die Deutschen dort für ihr Bier bekommen, macht auf einen Schlag nüchtern: 90 Euro für den Hektoliter. Allein die leeren Dosen kosten schon 50 Euro pro Hektoliter. Bleiben jämmerliche 40 Euro für Bier und Lieferung. Das ist der aktuelle Preis für den Export in die Niederlande. Dumm, dass es nach China rund 8500 Kilometer weiter ist. Der Neu-Iserlohner Rolinck zumindest hat das verstanden. Er will einen höheren Preis wagen. Der Name seiner Firma: Luxus Bier GmbH.

Traugott Simon! Wer kommt auf solch einen Namen?

Der Discounter Netto verrät seinen Kunden nicht, welche Brauereien sein Schloss Hell abfüllen. Dafür kostet der halbe Liter in der Dose nur 25 Cent im Sonderangebot.

München, im Mai 2014, die Fachmesse »Feines Essen und Trinken«. Ha, mal wieder ein paar Tage nach seinem Geschmack! Da ist er vor Ort, überall wird gefachsimpelt und schnabuliert, der Vertriebschef von Rewe spricht, das ist spannend, gerade für ihn: Hans Dieter Bader, früher Vorstand bei Edeka, nun, weil man, wie er sagt, mehr als Vorstand nicht werden kann, Berater im Foodbereich. Das Geschäft läuft gut, sein Rat ist teuer, gerade in der Getränkeindustrie. Er war ja auch Brauereimanager vor seiner Zeit bei Edeka, er kennt beide Seiten. Und über das, was die Brauer heute anstellen, kann er im Hotelfoyer nur den Kopf schütteln.

Er nimmt Stift und Zettel. »Schauen Sie.« Er malt einen Kreis. »Das ist der Mensch.« Er schreibt eine 720 hinein. »Der Mensch trinkt im Jahr 720 Liter. Wasser, Saft, Tee, Kaffee, Wein, Bier.«

Aha. »Verstehen Sie?« Nun ja.

»720 Liter. Mehr geht nicht rein. Da können Sie noch so viele Aktionen machen. Aber fast 80 Prozent des Biers wird über Aktionen verkauft.«

Er zeigt nach oben. »Da sage ich: Es gibt Leute, die gehen in den achten Stock und springen runter.« Richten ihr Geschäft selbst zugrunde. Er kringelt die 720 ein. »Andere stellen sich darauf ein.«

Etwa die Erfinder der Bionade. Die den anderen Limonaden ein paar der 720 Liter geraubt haben. Oder Erdinger, das, zum Nachteil der isotonischen Getränke, die Menschen davon überzeugt hat, ein alkoholfreies Weißbier sei ein Sportgetränk.

Den anderen bleibt, wenn sie nicht eine Macht sind wie Oettinger, auf Dauer nur eine Möglichkeit: Qualität bieten, es dem Verbraucher sagen und den Preis erhöhen.
Ist es ein Jammer, wohin es mit dem deutschen Bier gekommen ist? »Es ist nicht schlecht«, sagt Bader. »Das zu sagen, wäre töricht.« Aber die Biere schmecken so gleich. Nur Sommeliers merken zwischen Fabrikbieren noch einen Unterschied. Es ist ein Verlust deutscher Kultur, Geschmackskultur, und er berührt Bader, er ist ja nicht nur Zahlenkopf, einen schönen Bauch schiebt er vor sich her, kein Olivenöl kommt ihm auf den Salat, das nicht zehn Euro kostet. Ins Auto, sagt er, kippen wir Öl für 30 Euro. Und eine Tragödie sei, was mit unserem Wasser geschieht. Er tippt auf die Flasche vor sich: 19 Cent für 1,5 Liter. Das wichtigste Lebensmittel. »Wir reden hier nicht nur über Bier. Es ist eine gesellschaftliche Frage.«

Und hier haben die Verbraucher sich entschieden. Der Anteil der Discounter am Biermarkt hat sich seit 1994 verdoppelt. Der Sprecher von Veltins sagt, seine Brauerei richte sich nach dem Verbraucher. »Es geht um Drinkability.« Die Markentreue liegt bei mauen 30 Prozent. Erhöht Veltins den Preis, kaufen die Leute eben Becks oder Bitburger.

Vor Kurzem rechnete der Bitburger-Chef der Lebensmittelzeitung vor, was es bedeute, den Preis um ein Prozent anzuheben. Es koste fünf Prozent der Kunden. Die Rechnung war absurd, sie hieße, wenn der Preis von zehn auf elf Euro pro Kasten steige, wäre die Hälfte der Kunden weg, und Bitburger ruderte auch zurück: Das habe man nicht so gemeint, es sei nur eine allgemeine Beispielrechnung gewesen. Aber die Angst ist schon da.

Kann man ihr denn gar nichts entgegensetzen?

Diesen Tag wird er nie vergessen. Michael Weiß, der Branchenquälgeist vom »Meckatzer Löwenbräu«, hatte seinen wichtigsten Kunden zum Gespräch, den Chef einer Getränkemarktkette. Verliert er ihn, wusste er, sieht es finster aus für seine Firma, die er in vierter Generation führt. Das Erbe seiner beiden Söhne und seiner Tochter wäre in Gefahr. Es ist ein schwieriger Kunde, seit jeher kabbeln die beiden sich, natürlich um den Preis. Wieder und wieder erhöhte Weiß, gegen den Trend, und jedes Mal sagte der Kunde: Also, ich weiß nicht.

Aber als Weiß an diesem Tag um einen ganzen Euro erhöhte, hörte der Kunde nicht wie sonst grummelnd zu, er kühlte die Stimme herab und sagte: Herr Weiß, was kommen Sie mit diesen Zahlen zu mir?

Und Weiß sagte: Sehen Sie, da haben wir die Rohstoffkosten, gestiegen. Und da die Energie: Strom, Gas, Öl, Diesel, rauf. Da, die Personalkosten, wieder drei Prozent mehr. Er redete und redete, Gewinne, Kosten, Verluste, er machte sich geschäftlich nackig. Eine Demütigung.

Doch der kalte Ton des Kunden blieb.

Aber wenn ich nicht erhöhe, sagte Weiß, kommt die Bank und sagt: Was ist da los? Sind Sie überhaupt überlebensfähig? Und nach ein, zwei Jahren gibt sie mir kein Geld mehr für Investitionen. Der Tod. Wie bei den Iserlohnern.

Herr Weiß, es reicht! Was Sie da machen, ist Abzocke. Das machen die Kunden nicht mehr mit.

»Ich habe dann gesagt: Herr Sowieso, ich zittere jetzt, das ist mir noch nie passiert nach einem Gespräch. Sie beleidigen mich aufs Persönlichste. Zu sagen, ich sei ein Abzocker! Ich kann nicht anders.«

Und Weiß brach das Gespräch ab. Von nun an verhandelten nur noch die Firmenmanager miteinander, Einkaufsleiter und Verkaufsleiter. Die Meckatzer blieben hart.

Vor drei Monaten hat Weiß den Kunden zufällig wiedergetroffen. Herr Weiß, sagte der, schön, dass ich Sie sehe, das war damals nicht richtig von mir, aber ich hätte nicht gedacht, dass die Marke das aushält. Sie gaben sich die Hand. Kurz danach, im April, hat Weiß den Preis wieder um einen Euro erhöht, auf 17,49 Euro pro Kasten Bier. Sie haben nicht mehr gestritten.

Denn mit seiner Preispolitik liegt Weiß auf einmal im Trend. Zum ersten Mal seit einem Jahrzehnt heben die Brauer deutlich die Preise. Einer nach dem anderen, die Kleinen und die Großen, einige aus Vernunft, andere aus Verzweiflung, es geht einfach nicht mehr anders, die Kästen steigen über die Zehn-Euro-Marke. Die Auswirkung: Keine, die Kunden bleiben.

Das Sterben und den Ausverkauf vieler Brauereien wird das nicht verhindern; dafür ist es zu spät, die Zeit ist für immer vorbei, dass jedes vierte Getränk in Deutschland ein Bier war. Aber es ist ein Anfang, eine Hoffnung. Für Michael Weiß, den Brauer, für Hans Dieter Bader, den Berater und Feinschmecker. Mit dem Preis wird auf Dauer auch die Qualität steigen müssen. Die Großen beobachten ganz genau die Erfolge der Brauereien wie Meckatzer, Tegernseer oder Lammsbräu. Haben die doch Kunden, die zugleich jung und herrlich altmodisch sind, noch bierverliebt, treu.

Veltins hat nun ein Landbier nach Rezept von 1927 rausgebracht, Warsteiner ein ungewöhnlich herbes Bier, Krombacher ein Helles, und der neue Chef der Iserlohner möchte mit dem Geld, das er in China verdient, wieder gutes Fassbier brauen. Er betreibt gerade Marktforschung. »Die Leute sehnen sich nach einem guten alten Pils, sie wollen keinen Einheitsbrei.« Für 2015 ist es eingeplant. »Qualität braucht Zeit.« Die Iserlohner Bürger können Wünsche per Mail schicken oder in den Briefkasten der Brauerei stecken. Ob Qualität oder Ramsch, am Ende entscheidet eben doch der Käufer.

Auch Ralf Treske hat etwas abgegeben: seine Bewerbung. Wenn es mit dem Fassbier losgeht, wäre er gern dabei.

Foto: Tim Barber