Im Fieber-Delirium

Unser Kolumnist wird selten krank, doch dieses Mal hat es ihn erwischt. Einen Text hat er trotzdem geschrieben – über Viren, die ihre Opfer versteinern lassen.

Illustration: Dirk Schmidt

Ich habe die Grippe, na gut, ich will nicht übertreiben: einen grippalen Infekt. Aber jetzt eben noch eine Lungenentzündung dazu, das ist schon die Kategorie, von der Ärzte sagen, damit sei »nicht zu spaßen«. Aber ich spaße nicht mal mit Schnupfen. Wahrscheinlich habe ich deshalb fast nie einen. Der Schnupfen will auch seinen Spaß, und wenn niemand mit ihm spaßt, bleibt er weg. Altes Hausrezept.

Nun aber: leichter Schüttelfrost, Fieber in erwähnenswerter Höhe (39), Kopfweh, allgemeine Körperschwäche. Eine Nassrasur erfordert in diesem Zustand den Energieaufwand für eine halbe Stunde Holzhacken an gesunden Tagen, also lässt man’s. Der Röntgenologe ist einen Kilometer entfernt, so was spaziere ich gewöhnlich locker weg, nun aber: Taxi. In seinem Bericht schreibt er: »Kleines bronchopneumonisches Infiltrat rechts parakardial, am ehesten im mediobasalen Unterlappen rechts.« Wusst’ ich’s doch!

Aber da ist auch Trost: »Zwerchfelle glatt, Recessus frei, Herz nicht vergrößert, unauffällig konfiguriert, Pleura allseits zart, Mediastinum schlank und mittelständig.« Es ist nichts verloren. Insbesondere die allseits zarte Pleura rührt mich. Dass man mit 63 noch solches in sich birgt.

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Warum sind eigentlich Antibiotika-Tabletten immer groß wie Isarkiesel? Gibt’s denn da nichts Kleineres? Paola, meine Frau, kocht ein Huhn. Der Rest ist Dösen.

Es wäre ja schön, wenn man diese still­gelegten Tage zum Lesen nutzen könnte, aber so einfach ist das nicht. Das Kopfweh lässt sich zwar bekämpfen, aber das ist nicht leicht, die Medikamente werfen sich auf den Hirnschmerz wie Sumo-Ringer auf ein zu kleines, aber willensstarkes Gegnerchen, und im Endergebnis liegt man da in einem zähen Kopfnebel, durch den nichts auch nur annähernd Schwieriges seinen Weg findet, selbst ein Krimi … ach. Matt lässt die Hand die Schwarte fallen.

Der Finger schwebt über den Bildschirm. Im Internet müsste es gewiss was Anspruchloses geben, irgendwelche nichtsnutzigen, belanglosen Texte, ich stöbere hier und da, lasse mich treiben, aber dann gelange ich doch auf spektrum.de, eine Wissenschaftsseite, und … Da! Was ist das! Riesenvirus verwandelt Wirt zu Stein!

Das ist ja ungeheuer. An gesunden Tagen führt mein Weg täglich vorbei an der Kneipe »Müller’s Eck«, deren Besitzer natürlich Müller heißt und der bisweilen, bevor die ersten Gäste ihn besuchen, mit einer Zigarette vor dem Lokal in der Sonne sitzt. Nun sehe ich ein stacheliges Riesenvirus, groß wie ein Mopskopf, den Bürgersteig herunterrollen. Es ignoriert den Friseur, den Blumenhändler, den Zeitungshändler, sie alle, doch zielgenau springt es den Müller an, hüpft ihm mitten ins Gesicht – und der Wirt wird stante pede zu grauem Stein. Auf der Stelle. Für immer petrifziert, die Fluppe im Müllermund, ein Denkmal seiner selbst.

Ein schauderhaftes Bild. Die Zwerchfelle kräuseln sich, die Pleura verwittert auf der Stelle, und im mediobasalen Unterlappen manifestiert sich dies und jenes.

Weitere Lektüre ergibt: Genki Yoshikawa und ihr Team von der Universität Kyoto haben in einer heißen Quelle in Japan Riesenviren aufgespürt, die Amöben befallen und sie (ihre Wirte!) praktisch in Stein verwandeln, so wie der Anblick des Hauptes der Medusa in der griechischen Mythologie jeden versteinern ließ. Deshalb: Medusaviridae, Medusa-Viren. Ihre Oberfläche ist von Hunderten Stacheln bedeckt wie das Medusenhaupt von Schlangen. Amöben! In Japan. Müller ist gerettet.

Der Arzt sagt, morgen müsste das Fieber dann langsam verschwinden.