Notizen aus Venedig (VI und Schluss): Nie war ich mit dem Auto hergekommen, immer mit dem Zug. Aber diesmal kamen wir doch mit dem Wagen. Wir hatten vorher Paolas Verwandte in Ligurien besucht, deshalb. Wir fuhren bis zum Parkhaus am Piazzale Roma, dort lotste uns ein Wächter in den ersten Stock, wir stiegen aus und nahmen die Koffer. Als ich den Wagen abschließen wollte, sagte der Wächter: »Schlüssel bitte stecken lassen!«Uralte, halb verweste Vorurteile gegenüber Venedig und Italien überhaupt stiegen in mir hoch und ich sagte entgeistert: »Stecken lassen?«»Ja, wie sollen wir sonst Ihren Wagen rangieren?«Er wies auf die anderen Autos. Tatsächlich standen sie in zwei Reihen geparkt. Man konnte mit dem Wagen hinter unserem nur weg, wenn man unser Auto vorfuhr.»In allen anderen Autos steckt der Schlüssel auch.«Ich sah nach. Er hatte Recht. Es waren sogar einige sehr teure Autos dabei, die meisten aus Deutschland.Ich steckte den Schlüssel ins Schloss. Wir gingen zur Vaporetto-Haltestelle und fuhren in unser Hotel.Unterwegs stellte ich mir vor, eine rumänische Autoschieberbande habe das Parkhaus errichtet, einige teure Autos zur Tarnung hineingestellt und sei bereits dabei, durch Fachkräfte die Überführung unseres Wagens Richtung Bukarest zu organisieren.Dann dachte ich, es sei schlecht möglich, dass unmittelbar am Piazzale Roma über längere Zeit hinweg die Autos naiver deutscher Touristen weggeschafft würden.Dann fiel mir ein, dass sich Parkwächter bestechen lassen. Oder dass man sie ohnmächtig schlagen kann.Dann dachte ich, dass einem Idioten, der den Autodieben sogar noch den Autoschlüssel überreicht, sicher keine Versicherung der Welt etwas zahlen würde.Endlich las ich im Hotel in einem Venedig-Buch, die Stadt sei, was Gewaltverbrechen angehe, einer der sichersten Orte Italiens. Traditionell sei sie aber eine Stadt der Diebe. Jedes private Haus sei mit Unmengen verschiedenster und jedes für sich sehr eindrucksvoller Schlösser gesichert. Aber die Touristen ahnten nichts von den Dieben, sie seien naiv. Deshalb seien die Zeitungen im Sommer voll von Nachrichten über ausgeraubte Finnen und geplünderte Engländer. »Wenn sie auch bei offenen Fenstern schlafen…«, wurde ein Venezianer zitiert.Mir fiel ein, dass Paola und ich vor Jahren mal für zwei Monate eine Wohnung auf der Giudecca gemietet hatten, aus der uns, weil wir die Terrassentür nicht richtig abgeschlossen hatten, schon am zweiten Tag eine Kamera gestohlen wurde. Für den Rest der Zeit fürchteten wir uns nachts derart, dass wir alle Innentüren der (ziemlich geräumigen und sogar mehrstöckigen) Wohnung abschlossen und unser Schlafzimmer sogar mit einer vor die Tür geschobenen Kommode verrammelten, bevor wir in unruhigen Schlaf fielen.Venedig kann ja eine, zumal für Stadtneurotiker, ziemlich beängstigende Stadt sein. Nachts, wenn die Tagestouristen weg sind, ist es in allen Stadtteilen sehr still. Die Stimmung hat etwas Klaustrophobisches, so abgeschlossen ist die Stadt dann vom Festlandsleben. Vier Tage lang waren wir diesmal da. Immer wieder dachte ich an mein Auto. Ob es noch da wäre. Wo es jetzt sein könnte. Ob es besser sei, ein Optimist oder ein Pessimist zu sein.Der Optimist wird die ganze Zeit denken, sein Auto würde sicher nicht gestohlen; er hätte also eine schöne Zeit. Aber wenn es dann doch gestohlen wäre, müsste er eine gewisse Enttäuschung verarbeiten.Der Pessimist denkt, sein Auto wird sicher weg sein. Aber seine Freude wird umso größer sein, wenn er am Ende sieht, dass seine Sorgen umsonst waren.Am vierten Tag reisten wir ab. Mein Auto war noch da.Auf der Heimfahrt dachte ich, dass es also logischerweise viel besser sein müsste, ein Optimist zu sein. Man hat dann mehr vom Leben. Man genießt es, von kleinen Enttäuschungen abgesehen, während der Pessimist sich das Dasein selbst vermiest. Nur eine Genugtuung dann und wann erhellt seinen engen Horizont.Ich beschloss, auf der Stelle nur noch Optimist zu sein.Leider ist es mir bis heute nicht gelungen.