Das Beste aus meinem Leben

Der Sprach-Wertstoffhof (I): Seit Jahren ist hier immer wieder die Rede von jenen Schönheiten der deutschen Sprache, die durch falsches Hören, miserables Übersetzen, kindliche Irrtümer oder sonstige Fehlleistungen in die Welt kommen – einem Reichtum, der nicht durch menschliches Können, sondern im Gegenteil erst durch menschliche Schwäche entsteht. Von welchem anderen Reichtum könnte man dies behaupten?Und noch immer reißt der Strom von Leserpost aus dem In- und Ausland nicht ab: Speisekarten, Gebrauchsanweisungen, Tourismus-Prospekte, Wörterfunde – es nimmt kein Ende. Nichts von dem ist irgendwie nützlich oder brauchbar, nichts von dem erklärt uns etwas oder ist auch nur verständlich. Es alles unnütz, Sprachmüll …Und doch, und doch. Der Behalter in mir sagt: Man könnte es vielleicht noch mal gebrauchen. Man soll Wörter nicht wegwerfen. Jedes von ihnen ist vielleicht zu etwas nütze, und wenn es nur zum Spaß ist.Daher wird hier der Sprach-Wertstoffhof eingerichtet, dessen einziger Zweck es ist, der Leserin und dem Leser weggeworfene, anderswo nicht mehr brauchbare Wörter und Sätze zum Gebrauch und zur Wieder- und Weiterverwendung anzubieten. Wobei ich schon das Wort »Sprach-Wertstoffhof« Frau L. aus Wasserburg verdanke, die einst in der Volksschule ein Gedicht auswendig lernen musste, in dem wieder und wieder von einem »Häschen« die Rede war, welches sie aber nicht als einen kleinen Hasen erkannte, sondern: Sie sprach das »sch« wie in »Schokolade« aus. Verstand das Gedicht also einerseits in keinster Weise, andererseits so, als ob es von einem seltsamen Wesen namens »Häschen« handelte. Bis die Lehrerin sie aufklärte. Sie habe sich sehr geschämt, schreibt Frau L., »Lernen durch Schämen« sei das gewesen, Learning by ashaming, schreibt sie, versieht das aber gleich mit einem Fragezeichen. Und in der Tat glaube ich, es müsste heißen: Learning by being ashamed. Wenn überhaupt.Jedenfalls hat Frau L. auch noch auf dem Wasserburger Wertstoffhof ein Schild entdeckt, auf dem es heißt: »Warten auf Waage ruhig«. Das ist ein Satz, den ich mir zum Morgenmotto machen werde, wenn ich vor dem Duschen auf die Waage steige und wieder mal eine absolut inakzeptable Ziffer auf der Digitalanzeige sehe. Bleiben auf Waage ruhig, Hacke! Nicht schreien herum! Gehen jetzt still unter Dusche! (Oder Dus-che?) Machen mehr Sport! Nehmen ab!Noch mal zurück zum Häschen. Viele Wertstoffwörter entstehen, indem man eigentlich zusammenhängende Buchstaben voneinander trennt, zum Beispiel die in einschlägigen Kreisen berühmten Blumento-Pferde oder der zum Baden ladende Alpeno-Strand. Leser G. schreibt dazu, der Kinderarzt seines Sohnes, der übrigens Luis heiße (der Sohn, nicht der Kinderarzt), nehme an einer Studie zur Erprobung eines neuen Impfstoffes teil und verschicke deshalb an Patienten Rundschreiben, in denen das Wort »Routine-Impf-Plan« vorkomme, über welches nun wieder Leser G. stolperte und das sich unter seiner längeren Betrachtung langsam veränderte. Bis aus »Routine-Impf-Plan« plötzlich »RoutinEi-mpfplan« wurde. G. schreibt mir: »Jedenfalls dachte ich beim Lesen dieses Wortes sofort an Sie. Vielleicht haben Sie für dieses Wort ja irgendwann eine Verwendung.«So soll es sein: Wörter, die man selbst nicht benötigt, weitergeben an andere! Ich finde allein schon den Wort-Teil »Routinei« sehr schön. Er klingt nach einem fernen und doch sehr nahen Land (ähnlich der Transkei oder der Wallachei), in dem wir alle zu viel Zeit verbringen. Das Land der langweiligen Routine, des immer Wiederholten. Das Land, in dem viele von uns, über Mpfpläne gebeugt, angeödet ihre Arbeit verrichten.Leser S. steuert zum Thema noch den Ner-Venen-Dung bei – ein rätselhafter Begriff, wie er findet, denn wenn es vielleicht auch einen Venen-Dung für den Garten oder die Landwirtschaft oder als Medizin gegen Adernverkalkung geben möge, woher stamme die Vorsilbe Ner-? Aus dem Griechischen? Aramäischen? Hebräischen?In jedem Fall erinnert mich der Brief an die Zuschrift von Leser E. aus Wuppertal, zu dem ein Kellner auf Rhodos kürzlich sagte (während E. die Speisekarte studierte): »Mischdünger ist sehr zu empfehlen.«Dazu nächste Woche mehr.

Illustration: Dirk Schmidt