Schokolade

Edelschokolade als Lifestyle-Thema, Luxuskakao als Trendgeschenk, und an jeder zweiten Ecke eine neu eröffnete, pseudofranzösisch angehauchte Schokoladen-Boutique. Brauchen wir das? Ist das nicht ein bisschen arg durchschaubar? Ich meine, schon klar, Schokolade steht für Wärme und Trost, während draußen die Stürme der Globalisierung toben und die körpereigenen Glücksbotenstoffe auf Tauchstation gehen… aber Eskapismus ist auch keine Lösung. Hier jedenfalls wollen wir der Realität ins Auge sehen, so hart sie auch sein mag, allenfalls zu Recherchezwecken lassen wir ein Stückchen Edelbitter aus Papua-Neuguinea auf der Zunge zergehen, Kakaogehalt 64 Prozent, »Premier Cru du Plantation«, »mit frischen Noten von grünen Bananen und feinen Aromen von Havannatabak, besonders stark im Abgang«. So steht es in Französisch auf der Verpackung, als wär’s ein edler Wein. Hmmm.Ideologisch ist dieser Trend natürlich völlig unverdaulich, ungefähr so schlimm wie dieser schreckliche, pseudofranzösische Film mit Juliette Binoche als Chocolatière, die ein ganzes verklemmtes Dorf mit ihren exotischen Pralinés enthemmt. Schokolade hilft den Frauen, endlich zu ihrer Lust zu stehen und gleichzeitig dem prügelnden Ehemann die Tür zu weisen, und dann gönnen sie sich alle zusammen Johnny Depp, der nichts anderes ist als ein Mann in Schokoladenform, geboren, um vernascht zu werden – jetzt hat er schon wieder Willy Wonka gespielt, den berühmten Schokoladenfabrikanten, das sagt ja wohl alles. Von dort wiederum führt ein direkter Weg zu Bridget Jones und Schokolade zum Frühstück, wir verspüren leichten Brechreiz, wenn wir nur daran denken… aber den bekämpfen wir jetzt erst einmal mit einer siebzigprozentigen, tiefdunklen »Caru Pano« von der Hacienda San José, Venezuela: ein Hauch schwarzen Pfeffers, dazu das nussige Flattern tropischer Hölzer, verdammt…Vielleicht ist ja doch alles nur halb so schlimm. Viel weniger schlimm zum Beispiel als diese Espressokultur, die eigentlich nur dazu dient, uns wacher und fitter für die Arbeit zu machen. Ständig »To Go«, ständig gehetzt, ein heimtückisches Schmiermittel für den immer besser funktionierenden, immer subtiler knechtenden Neoliberalismus, der nur dank Koffein noch das Letzte aus uns herauspressen kann. Schokolade dagegen heißt Muße, heißt länger im Bett bleiben und etwas ganz für sich selber tun – und so, wie die Dinge liegen, ist das mutig und aufmüpfig und fast schon revolutionär. Und also auch ein Thema für Männer. Dunkle Schokolade schützt zudem vor Herzinfarkt und Bluthochdruck, das ist wissenschaftlich erwiesen, Kakao enthält nur die allergesündesten Inhaltsstoffe, auch dieser handgeschöpfte Barren hier, aus einer Manufaktur in Bernried am Starnberger See, mit dieser fruchtigen Himbeernote, oh Gott…»Das Schöne ist, dass eigentlich nur freundliche Leute meine Schokolade kaufen«, sagte noch der Boutiquenbesitzer, als wir eine Tüte Recherchematerial für 25 Euro aus seiner supernostalgischen Schokoladenboutique namens »Amélie« heraustrugen. Wir hatten fest vor, uns über alles lustig zu machen, über die antiquarische Registrierkasse und den klimatisierten Pralinenschrank, über den Kakaobohnen-Herkunftswahn mit Single-Plantagen-Zertifikat, der nicht von ungefähr an den Single-Malt-Kult der Whiskymänner erinnert oder den Jahrgangsfetischismus der Weinkenner… Bevor es aber ans Schreiben ging, mussten wir natürlich alle Herkunftsländer durchprobieren, über Sao Tomé und Vanuatu bis Trinidad, versteht sich… und ach, wir wissen auch nicht mehr, was dann passiert ist. Sollten die Kolleginnen jetzt fragen, wo die ganze Schokolade hingekommen ist, dann erzählen wir ihnen von den ursprünglichen Entdeckern dieses wunderbaren Stoffes, dem weisen Volk der Azteken. Man sagt, dass der Genuss der Kakaobohne dort, sicherlich aus gutem Grund, allein den Männern vorbehalten war.