Umtauschen

Was die kollektive Lust am Umtauschen über uns und unsere Zeit verrät.

Das geglückte Geschenk: Es vermag den Empfänger im Augenblick des Öffnens fast ein wenig zu beschämen, denn es hat dessen Lebensgeschichte mitbedacht, einen Wunsch erfüllt, einen Mangel behoben, der dem Beschenkten selbst bis dahin vielleicht gar nicht aufgefallen ist. Seine Kostbarkeit, über den reinen materiellen Wert hinaus, besteht genau in diesem Moment: Schenken hat »sein Glück in der Imagination des Glücks des Beschenkten«, wie es in einem schönen Text aus Adornos Minima Moralia heißt. Das passende Geschenk steht im Spektrum der Möglichkeiten also genau am anderen Ende jener »Geschenkartikel« in den Kaufhäusern: Dinge, die von vornherein behaupten, jedem, ganz unabhängig von Herkunft und Biografie, eine Freude zu machen.

Wenn sich in den Geschäften derzeit wieder lange Schlangen an den Rückgabekassen bilden, dann zeigt sich, dass die wenigsten Geschenke wirklich ihren Empfänger erreichen. Der Einzelhandel, der rechtlich nicht einmal zum Umtausch unliebsamer Ware verpflichtet ist, stellt in diesen Tagen aus Kulanz Unmengen von Warengutscheinen aus, und die falsch Beschenkten können sich endlich das kaufen, was sie sich wirklich gewünscht haben.

In einem grundsätzlichen Sinn ist jedes Geschenk, das sich umtauschen lässt, von Beginn an kein wirkliches gewesen – weil es für mehrere Adressaten denkbar war als den einen. Nicht umsonst sind alle Artikel, die bereits eine individuelle Spur tragen – die handschriftliche Widmung in einem Buch etwa – »vom Umtausch ausgeschlossen«. Nur solange sie die Anonymität des Industrieprodukts wahren, originalverpackt und mit Kassenzettel, können Geschenke zurückgebracht, gegen allgemein konvertierbare Währungen wie Geld oder Gutscheine eingewechselt werden. Das Glück des Geschenks steigt aber vielleicht gerade in dem Maße, in dem sein Wert nicht konvertierbar ist.

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In den letzten Jahren hat sich für die Zeit nach Weihnachten eine regelrechte Umtausch-Industrie entwickelt. In vielen deutschen Großstädten finden um die Jahreswende herum sogenannte Umtauschpartys statt, auf denen unerwünschte Geschenke ihren Besitzer wechseln; Websites namens geschenketausch.net oder tauschrausch.de erleben seit den frühen Morgenstunden des 25. Dezember wieder einen rasanten Anstieg ihrer Nutzer; und ein Großkonzern wie eBay entwickelt sogar gezielte Marketingstrategien, um die Masse der Umtauschwilligen für sich abzuschöpfen. Kurz vor Weihnachten veröffentlichte die Auktionsplattform die Ergebnisse einer großen Umfrage, in der ermittelt wurde, dass unliebsame Weihnachtsgeschenke in Deutschland zusammengerechnet einen Wert von fast einer Milliarde Euro ausmachen. Das Unternehmen verknüpfte dieses Ergebnis in einer Pressemeldung mit der Erinnerung, wo die Lösung des Problems zu finden sei: »Die Deutschen machen aus der Not eine Tugend. Mehr als jeder Fünfte würde ein unerwünschtes Weihnachtsgeschenk über das Internet versilbern. Bei den 14- bis 39-Jährigen sind es sogar mehr als ein Drittel. eBay verbindet jeden Tag Millionen von Menschen auf der ganzen Welt.«

Das Geschenk scheint also gerade seinen Status zu verändern: Es stellt den Empfänger – mehr oder weniger einfühlsam – nicht mehr vor vollendete Tatsachen, sondern ist ein unverbindliches Angebot, das in den Stunden und Tagen darauf ohne Weiteres zurück- oder weitergegeben werden kann. Die kollektive Umtauschlust passt aber in unsere Gegenwart, in eine Zeit des Selbstmanagements, in dem die ständige Optimierung der eigenen Biografie zu den allseits geforderten Notwendigkeiten gehört. Jede verbindliche Gabe von außen wirkt dabei wie eine Störung. Dem anderen überlassen, das Richtige auszuwählen, über das eigene Glück zu entscheiden: Dieser Akt würde für einen Moment das unermüdliche Arbeiten an einem überzeugenden, originellen Persönlichkeitsprofil unterbrechen.

Foto: dpa