Architekten genossen lange Zeit ein zweifelhaftes Ansehen: Flaubert beispielsweise nannte sie »tous imbéciles«, lauter Schwachköpfe, weil sie gewöhnlich das Treppenhaus an die falsche Stelle setzten. Zwar wurden schon immer Häuser gebaut, doch erst spät hat sich ein Berufsstand dazu gebildet. Und bis heute sind die Architekten auf der Suche nach ihrer Identität.
Schinkel, Semper, Scott, Waterhouse, Viollet-le-Duc! Die großen Architekten des 19. Jahrhunderts wussten große Gebäude zu entwerfen, aber sie kannten sich auch in Steinbrüchen und Stahlschmieden aus. Diese Titanen hatten absolute Kontrolle praktisch und künstlerisch über den ganzen Bauvorgang. Ein Palladio wusste, wie man einen Abfluss wieder frei bekommt. Diese Vorstellung vom Architekten als Universalgenie überlebte bis Mitte des 20. Jahrhunderts. Und wenn Sie wissen wollen, wie dieses Wunderkind aussah, sehen Sie sich Gary Cooper in Ein Mann wie Sprengstoff aus dem Jahr 1949 an die Verfilmung des Romans Der ewige Quell. Cooper spielt darin die Rolle des größenwahnsinnigen Visionärs Howard Roark, basierend auf dem Vorbild des größenwahnsinnigen Visionärs Frank Lloyd Wright.
Doch heutzutage wird der kreative Spielraum der Architekten von Projektleitern eingeengt, von Gutachtern und Beratern zu diesem und jenem Thema. Die meisten Architekten verfügen nicht über die nötigen mathematischen Grundkenntnisse, um ihre Gebäude standfest zu machen. Die meisten ihrer Kunden trauen ihnen nicht zu, die Kosten im Griff zu halten. Um den Frust wettzumachen, den sie beim Entwerfen von Gebäuden erdulden müssen, beschlossen die Promi-Architekten der Welt, sich selbst zu entwerfen. Koolhaas, Foster, Hadid, Gehry: Sie selbst sind ihre größten Kunstwerke.
Starke psychosexuelle Aspekte spielen eine Rolle, wenn man der Öffentlichkeit riesige Gebäude aufzwingt, und psychosexuelle Aspekte finden sich auch in der Tatsache, dass die allmächtige Technologie die Architekten längst entmannt hat. Die Wahrheit ist, schlicht und ergreifend, dass Baufirmen jederzeit dazu in der Lage sind, einen 50-geschossigen Büroturm zu bauen, ohne auch nur einen Architekten hinzuzuziehen. Also treibt das Streben nach Ruhm die Architekten in einen eigenwilligen Expressionismus. Sie hecken dabei erstaunliche Formen aus, die für gewöhnlich mit kindlichen Metaphern umschrieben werden: Allein in London gibt es eine »Gurke«, einen »Käsehobel« und ein »Walkie Talkie«.
Für das verzweifelte Bemühen, aus der Masse herauszuragen, prägte der amerikanische Romanautor Tom Wolfe den Begriff »kerbflash«. Er bezeichnete damit Gebäude, die von der Straße aus wie zweidimensionale Grafiken wahrgenommen werden sollen oder von der Autobahn aus als verschwommener Fleck. Das ist es, wonach es die Firmenkunden in ihrem Bestreben nach visueller Gleichförmigkeit verlangt, obwohl die architektonische Formgebung echten Menschen vielleicht gar nicht zupasskommt. Wie viele Angestellte werden in Rem Koolhaas bedrohlich gekrümmtem CCTV-Gebäude in Peking an lähmenden Gleichgewichtsstörungen leiden? Koolhaas Kollegen nennen es »Angst einflößend«.
Doch trotz aller optischen Exaltiertheit: Die modernen großen Bauwerke sind inhaltlich verarmt. Große Gebäude kaschieren kleine Ideen. Im besten Fall sind sie ein cooler Spruch, ein Einzeiler. Und das ist gewissermaßen die authentische Umsetzung des Prinzips »form follows function«, weil die meisten großen Gebäude als Markenprodukte entworfen werden. Vergessen Sie das Konzept von Architektur als »erstarrter Musik«, wie es Schelling wundervoll formulierte. Heutzutage ist Architektur ein erstarrter Werbeslogan. Oder um es mit den Worten von Anna Klingmann von der New Yorker Beratungsfirma Klingmann zu sagen: Architektur sei ein »wirksames Marketinginstrument«.
Und so zieht die Karawane der Promi-Architekten um die Welt, von einer First-Class-Lounge zur nächsten, die Laptops voller wirksamer Marketinginstrumente. Ihr Leben spielt sich in Prada und klimatisierten Räumen ab, abgeschottet von der wahren Welt. Ihr Kosmos ist der internationale Konkurrenzkampf. Sie haben einen Teufelspakt geschlossen: Gib die Kontrolle ab, sorge stattdessen für Aufsehen, und du wirst berühmt sein. Und die Architekten von heute sind tatsächlich schillernde Berühmtheiten in Tods-Mokassins. Aber, wie schon John Updike wusste: Berühmtheit ist eine Maske, die das Gesicht frisst.
Stephen Bayley, 58, ist einer der profiliertesten Architekturkritiker. Er schreibt u.a. für »The Guardian«, »The Times« und »The Observer«. Schriftsteller Tom Wolfe sagt: »Ich kenne keinen, der interessantere Beobachtungen zu Stil, Geschmack und Design macht.«