Rosige Aussichten

Dem Stockholmer Design-Quartett Front gehört die Zukunft. Denn die vier Frauen haben nicht nur grandiose Ideen und viel Humor, sie inszenieren sich auch als Girl Group mit Geschmack.

Klare Linien, einfache Formen – als schnörkellos und praktisch ist nordisches Design in aller Welt bekannt. Doch die neueste Entdeckung aus Stockholm will nicht recht in dieses Bild passen. »Front« nennen sich die vier jungen Frauen, die mit ihren ungewöhnlichen spontanen Einfällen derzeit einen Preis nach dem anderen abräumen. Sie nahmen erst kürzlich von einer Fachmesse in Basel den »Designer of the Future Award« mit nach Hause, auch die einschlägigen Magazine sind voll des Lobes für die Front-Frauen.

Dabei lässt sich die Gruppe kaum mit etablierten Kollegen vergleichen. Manch einer fragt sich sogar, ob es sich bei ihren Arbeiten überhaupt um Design handelt – oder ob Front eher eine eigenwillige Form von Installationskunst ist.Der »Changing Cupboard«, eine Kommode, deren Oberfläche sich ständig verändert, oder auch die laufenden Tische mit Roboterbeinen: Die Ideen von Sofia Lagerkvist, Charlotte von der Lancken, Anna Lindgren und Katja Sävström sind nicht immer für den Hausgebrauch geeignet. Gewöhnungsbedürftig ist auch das öffentliche Auftreten der vier, das eigentlich eher ein Versteckspiel ist: Auch hartnäckigste Interview-Anfragen werden nicht oder nur mit einem sanften »Wir melden uns dann« beantwortet. Bislang wurden auch nur wenige ihrer Entwürfe zu Einrichtungsgegenständen, die man kaufen kann. Immerhin nahm das niederländische Designhaus Moooi kürzlich einige Möbel aus dem Front-Atelier ins Sortiment. Dazu gehören etwa ein lebensgroßes Pferd aus schwarzem Polyester, auf dessen Kopf eine klassische Wohnzimmerlampe leuchtet, und ein Schwein aus dem gleichen Material, das eine Sofatischplatte auf seinem Rücken trägt. Das bislang bekannteste Front-Stück ist ein herkömmlicher weißer Plastikgartenstuhl, den die vier Stockholmerinnen mit einer Sitzschale aus Leder veredelt haben.
(v. l.): Sofia Lagerkvist, Katja Sävström, Charlotte von der Lancken und Anna Lindgren.

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Der lässt sich, ungewöhnlich für Produkte von Front, sogar im Internet für knapp 250 Euro bestellen. Im Jahr 2004, kurz nachdem die Front-Mitglieder ihre Ausbildung an der Kunsthochschule »Konstfack« in Stockholm beendet hatten, bekamen sie den Auftrag zur Gestaltung des Eingangs der Kunsthalle Tensta. Sie befindet sich in einem ehemaligen Lagerraum unter einem Einkaufszentrum, der Eingangsbereich war früher die Laderampe. Front verwandelte den tristen Stockholmer Vorort-Betonbau in eine Attraktion. »Die meisten Besucher bleiben erst mal stehen und fragen, ob das hier unsere eigene Museumsausstattung ist oder schon Teil einer Kunstausstellung«, beschreibt Kunsthallen-Mitarbeiterin Miriam Heller-Sahlgren die Wirkung des Designs.
(Foto: Technik trifft auf Natur: das Lichtobjekt »Tree Lamp« (Baumlampe), ursprünglich für eine Bar entworfen.)

Die mit Leder veredelten Plastiksitzmöbel sind in Tensta um weiße Gartentische gruppiert, Deckenlampen projizieren Tischdeckenmuster auf sie. Originell ist auch der Fußboden: einfach grau angestrichen, doch unter dem tristen Ton liegt eine zweite, goldene Farbschicht. Je mehr Besucher in die Kunsthalle kommen, desto mehr kommt das Gold zum Vorschein. Leuchtende Pfade ziehen sich von der Eingangstür zum Ausstellungsraum, zu den Büros im hinteren Bereich und in die Toilettenräume.

Auch die Wände verändern sich, dort wuchern Kletterpflanzen, die mittlerweile auch die gesamte Decke begrünen. Die Gestaltung der Garderobe haben die Designerinnen den Besuchern der Kunsthalle selbst überlassen. Nach der Eröffnung im September 2004 bekam jeder Gast einfach einen billigen Plastikhaken in die Hand gedrückt, den er selbst an eine Wand kleben durfte. Inzwischen ist dort kaum noch Platz. Sie ist überzogen mit einem Muster, das ein wenig an Schuppen eines Riesenfischs erinnert.

Nicht nur durch ihr chaotisches und buntes Aussehen setzen sich die Werke des Front-Quartetts deutlich ab von dem nüchternen, etwas strengen Look traditionellen skandinavischen Designs. Die vier verabschieden sich auch vom Ideal der Zeitlosigkeit, Zeit ist bei ihren Arbeiten ein stets gegenwärtiger Faktor: durch Materialien, die sich von allein oder durch Gebrauch verändern. Insgesamt vereint das Front-Design in Tensta eine Menge cleverer Ideen, die alle ein Ziel haben: einem sonst geschichts- und gesichtslosen Ort eine Vergangenheit zu schenken.
(Foto: So können Möbelstücke aussehen, wenn Designer einfach mal die Schwerkraft ignorieren: Fronts Schubladenkommode »Divided«. Der Trick dabei sind Gewichtsverschiebungen.)

Es ist kein Zufall, dass dieser Ansatz gerade in Tensta gefiel. Rein äußerlich betrachtet, besteht die Gegend aus reiner, nordischer Sachlichkeit in ihrer hässlichsten Form: viereckigem Beton. Tensta ist einer dieser anonymen Vororte, die im Rahmen staatlicher Wohnungsbauprogramme Ende der 1960er-Jahre in kürzester Zeit geplant und aus dem Boden gestampft wurden. Seitdem trotzen die Häuserblocks den Jahren. Einzige Neuerung sind die Satellitenschüsseln, die immer zahlreicher aus den Balkonbrüstungen sprießen. Wer hier wohnt, muss sich wirklich danach sehnen, dass nach all den Jahren unter dem vielen Grau einmal etwas Ungewöhnliches zum Vorschein kommt – so wie auf dem Fußboden der Kunsthalle.

Zeit und Veränderung sind auch Motive in anderen Front-Entwürfen. Teile der Gestaltung äußeren Einflüssen zu überlassen ist ein immer wiederkehrendes Markenzeichen der vier. Da ist zum Beispiel die berühmte, von Ratten »gestaltete« Tapete. Die Designerinnen haben den weißen Wandschmuck einfach ein paar Tage in einen Käfig mit Nagetieren gelegt und so ein einzigartiges Muster bekommen. Den Gestaltungsprozess beschreibt Front so: »Wir haben die Tiere gebeten, uns zu helfen. ›Klar helfen wir euch‹, antworteten sie. ›Macht was Schönes‹, sagten wir. Und sie taten es.« Es ist dieser spielerische Umgang mit ihrer Arbeit, der Front abhebt von vielen anderen Designern.
(Foto: Mit der Hand in die Luft gezeichnet und dann in Kunststoff verwirklicht: das Projekt »Sketch Furniture« (Skizzenmöbel).)

Die Stockholmerinnen verwandeln den Prozess des Gestaltens zu einem Ereignis – ähnlich wie es Performance-Künstler tun. Jede ihrer Arbeiten erhält auf diese Weise eine individuelle Geschichte. Die kann manchmal auch sehr kurz sein und trotzdem spannend. So gibt es zum Beispiel ein Front-Möbelstück, das in 0,4 Sekunden entworfen wurde. So lange braucht eine Ladung Sprengstoff, um ein Loch in einen Acker zu reißen. Der Krater liefert die Form für einen weichen Schaumstoff-Sessel.

Bei einem anderen Projekt, von Front Ende 2006 in Japan präsentiert, holen sich die Designerinnen ihre Möbel gleichsam aus der Luft. Sie zeichnen Stühle, Tische, Lampen einfach mit dem Finger in den Raum. Ein Computerprogramm speichert diese Bewegungen, die Daten dienen dann als Muster für die Herstellung. Die »Skizzenmöbel« sehen aus, als wären sie im Begriff zu schmelzen. Zu den Kunststoff-Objekten gehört ein Videofilm, auf dem zu sehen ist, wie die Einrichtungsgegenstände mit fließenden Handbewegungen ins Nichts skizziert werden.
(Foto: Ein Objekt, ständig wechselnde Fronten: Dank drehender Elemente zeigt sich der »Changing Cupboard« stets in neuem Look.)

All das bringt dem Team mittlerweile eine Menge Aufmerksamkeit: Auf internationalen Messen in Tokio, Mailand oder Miami werden die vier jungen Frauen wie Rockstars gefeiert. Allerdings gibt es einen Unterschied zum Musikbusiness: Die Mitglieder der Design-Girlieband treten als geschlossenes Kollektiv auf. Keine der Arbeiten ist mit dem Namen eines einzelnen Gruppenmitglieds verbunden, die vier signieren immer einheitlich als »Front«. Selbst die Mailadresse ist bei ihnen Gemeinschaftsgut: everyone@frontdesign.se.
(Foto: »Changing Cupboard« - stets in einem anderen Look.)

Abseits der großen Veranstaltungen gibt sich die Gruppe dann wieder eher verschlossen. Vielleicht wollen die vier gar nicht berühmt sein – vielleicht wollen sie auch ein wenig geheimnisvoll erscheinen. Vielleicht haben sie auch einfach keine Zeit: weil sie Dynamit vergraben und Ratten zähmen müssen.