Frühstückseier sind gefährlich. Das hat sicherlich jeder schon gehört, vielleicht sogar mal nachgebetet. Eier erhöhen ja den Cholesterinspiegel.
Stimmt aber angeblich nicht mehr. Eine im Februar veröffentlichte, über zwanzig Jahre angelegte amerikanische Langzeitstudie an 21000 Ärzten in verschiedenen Krankenhäusern will das belegt haben. Das Gegenteil ist vielmehr der Fall: Die größten Eierliebhaber, die bis zu sieben Eier die Woche verzehrten, besaßen laut Studie den niedrigsten Cholesterinspiegel – ohne höheres Herzinfarkt- oder Schlaganfall-Risiko. Offensichtlich hat die Ernährung gar keinen großen Einfluss auf den Cholesterinspiegel. Einige Ernährungswissenschaftler widersprechen dem noch, sicherlich. Aber das Dogma von den bösen Eiern ist ins Wanken geraten.Eier sind gut und gesund. Es sagt uns nur niemand. Oder wir nahmen es in der Flut von Studienergebnissen bisher einfach nicht zur Kenntnis. Frühstücken spielt in der westlichen Esskultur ohnehin eine untergeordnete Rolle. Wir können uns nicht mehr retten vor Kochsendungen; Rezepte allerorten, auch im SZ-Magazin – für mittags oder abends, versteht sich. Das Frühstück ist kaum der Rede wert. Weil die Menschen sich fürs Frühstück keine Zeit nehmen?
Nicht nur. David Heber, Direktor des amerikanischen Center for Human Nutrition, benennt einen anderen nahe liegenden Grund: »Abend- oder Mittagessen machen einfach mehr Spaß als frühstücken. Wir bereiten das Frühstück gewöhnlich allein zu und essen es auch selten in Gesellschaft.« Die Gewohnheit des Allein-Frühstückens würden auch alle Frühstückstypen teilen, die Süßfrühstücker, die Müsli-Esser, die Brotkonsumenten, die sich in die Wurst-Käse-Fraktion und die Gemüse-Tofu-Aufstrich-Anhänger spalten, oder die spartanischen Kaffeetrinker, die morgens noch keinen Appetit verspüren.
Viele Menschen frühstücken nämlich überhaupt nicht. 95 Prozent aller regelmäßigen Raucher zum Beispiel. Oh Gott, erschrecken wir reflexartig, das Frühstück ist doch die wichtigste Mahlzeit am Tag! Sagt eigentlich wer? Wieder irgendeine Studie, vor langer Zeit erhoben. Aber viele Vorstellungen von einem gesunden Frühstück gelten inzwischen als völlig überholt.
So wie das Dogma von den gefährlichen Frühstückseiern.»Keine Angst vor Eiern«, sagt Dr. Wolf Funfack schon länger, ein in Isen niedergelassener Arzt für Innere Medizin und Ernährungsspezialist. Funfack ist kein Müslifanatiker, er hat sogar ein Rezeptbuch mit dem Titel Gourmetküche herausgegeben, gemeinsam mit dem Münchner Koch Frank Heppner. Funfack empfiehlt darin auch zwei Frühstücksvarianten mit Ei: ein sogenanntes Bonsai-Kräuter-Rührei (lassen Sie sich nicht vom Namen irritieren, der soll nur gut klingen, man wird satt) und ein vietnamesisches Rührei mit Ingwer und Knoblauch.
Seine Ernährungsmethode trägt einen schwer eingänglichen Namen, »Metabolic Balance«, und vielleicht ist das ein Grund, warum sich auch seine Entwarnung vor Eiern noch nicht weiter herumgesprochen hat. »Metabolic Balance« lehrt vor allem eines: eine ausgewogene Ernährung aus Kohlenhydraten, Fett und Eiweiß, die schon morgens beginnt.
Denn Eier sind nicht nur unschädlich, es kommt noch besser: Eine andere vergleichende Studie an Jugendlichen ergab, dass Eieromelett-Frühstücker die gleiche Kalorienanzahl frühstücken dürfen wie Vollkornmüsli- oder Instantflocken-Esser; doch im Verlauf des weiteren Tages nehmen die Omelettesser dann weniger Kalorien auf als die Müsli- oder Instantflockenesser (so viel vorab zum Mythos vom gesunden Müsli). Eier machen also auch noch schlank.
Überhaupt scheint dies die wichtigste Erkenntnis der jüngeren Frühstücksforschungen zu sein: Wer regelmäßig frühstückt, nimmt seltsamerweise nicht zu, sondern eher ab. Das fanden etwa die Ernährungswissenschaftler Maureen Timlin und Mark Pereira in einer fünfjährigen Untersuchung an mehr als 2000 Jugendlichen in Minnesota heraus. Frühstücken hilft geradezu beim Abnehmen. Auch andere Studien aus den Vereinigten Staaten scheinen zu belegen: Erwachsene, die das Frühstück auslassen, neigen zu Übergewicht. Doch in Deutschland gibt es auch eine Untersuchung mit anderslautendem Ergebnis: Wer weniger frühstückt, nimmt im Verlauf des gesamten Tages auch insgesamt weniger Kalorien zu sich, will der Internist und Ernährungswissenschaftler Volker Schusdziarra aus München durch eine Studie erwiesen sehen.
Den genauen Zusammenhang zwischen Übergewicht und Frühstück versteht man jedenfalls noch nicht. Er könnte auch einfach daher rühren, dass gesunde Frühstücker insgesamt einen gesunden Lebensstil pflegen, Sport treiben, Diät halten, Alkohol und Zigaretten meiden. Wie gesagt: Weniger als fünf Prozent der Raucher frühstücken regelmäßig, laut einer amerikanischen Studie. Eine deutsche behauptet: Jeder zehnte Deutsche isst morgens nichts, fast ein Viertel der Kinder und Jugendlichen gehen mit leerem Magen in die Schule. Während Frühstücken außer Mode gekommen scheint, beschäftigen sich wenigstens so viele Ernährungswissenschaftler wie nie zuvor mit dem Thema und räumen allmählich auch mit anderen Dogmen auf.
Die Mär etwa, dass fünf kleine Mahlzeiten am Tag besser seien als drei große – überholt. Das alte Sprichwort »Frühstücke wie ein Kaiser, esse mittags wie ein König und abends wie ein Bettler« soll aber auch nicht wieder gelten. Alle drei Essen ausgewogen, heißt es nun.
Der Mythos vom schädlichen Kaffee: Viele Jahre war er schlecht beleumundet; jetzt darf man ihn morgens wieder mit gutem Gewissen trinken. Kaffeetrinker leiden seltener unter Herzerkrankungen als Teetrinker, hieß es im Frühjahr aus Schottland. Verschiedene andere Studien ergaben: Koffein verbessert unser Kurzzeitgedächtnis und lässt uns besser sehen. Mäßiger Koffeingenuss beugt sogar einigen Auto-Immunkrankheiten vor, unter anderem Alzheimer und Parkinson.
Für depressive Frühstücker darf es ruhig ein bisschen mehr sein: Jede zusätzliche Tasse Kaffee soll das Selbstmordrisiko senken, das gilt bis zu sieben Tassen täglich. Weitere Studien zeigen, dass Kaffee den Körper auch gut mit Flüssigkeit versorgt (man sollte nur nicht vergessen, zu jeder Tasse ein Glas Wasser zu trinken). Oder dass eine Portion Kaffee mehr Antioxidantien enthält als die vergleichbare Menge Grapefruitsaft oder Blaubeeren. Bei Schwangeren allerdings sollen schon 200 Milligram Koffein am Tag – etwa drei Tassen – die Gefahr einer Fehlgeburt erhöhen. Und es gibt immer noch einige wenige Wissenschaftler, die von der Droge Koffein gänzlich abraten, weil sie süchtig macht und den Schlafrhythmus auf Dauer durcheinanderbringt.
Auch der Mythos vom Energielieferanten Zucker ist nur mehr kalter Kaffee. Offenbar ist sogar das Gegenteil richtig: Schnell verfügbarer Zucker am Morgen lähmt das Denk- und Merkvermögen am Vormittag. Also Finger weg von Marmeladenbrötchen (aber nur, wenn an dem Tag keine großen körperlichen Anstrengungen auf dem Programm stehen, denn dabei hilft Zucker doch). Wer Zucker isst, bekommt auch schneller wieder Hunger.
Selbst der scheinbar unumstößliche Glaube, dass Müsli und andere Getreideprodukte besonders gesund seien, muss in Teilen revidiert werden: Zwar begann die moderne Frühstücksforschung mit den sogenannten Zerealien und der Studienflut der dahinterstehenden Lebensmittelkonzerne. Doch die meisten angebotenen Produkte enthalten zu viel Zucker oder Schokolade – und damit zu viele Kalorien. Auch auf Müsli mit Apfel soll man neuerdings lieber verzichten, das sei in Mengen am Morgen genauso schädlich wie Weißbrot oder Salami und mache schlapp. Aber eine neuere Studie behauptet: Müsli mit Banane gibt Kraft und ist völlig okay – da soll sich noch einer auskennen.
Die Ratschläge der Frühstückswissenschaftler werden immer spezifischer – und teilweise auch widersprüchlicher. Wer etwa die Lernfähigkeit und Aufmerksamkeit von Kindern steigern möchte, sollte ihnen laut einer Studie Schinken- oder Käsevollkornbrote zum Frühstück vorsetzen; Vollkornbrot versorgt uns mit reichlich Vitamin B, Paprika obendrauf sorgt für Vitamin C, was Glückshormone freisetzen soll. Wer Herzkrankheiten vorbeugen will, sollte Vollkorn-Zerealien essen (eine Schüssel am Morgen senkt das Risiko laut Statistik um 28 Prozent). Aber dann gibt es wiederum Studien, die besagen, ein gesundes Frühstück könne man nicht zusammenstellen, ohne den individuellen Glukosetypus zu kennen. Andere Ernährungswissenschaftler sind sogar ausgesprochene Gegner der ganzen ultragesunden Frühstückskultur. Volker Schusdziarra aus München sagt, wir wüssten im Grunde noch so wenig, was ein gesundes Frühstück sei, dass wir einfach essen sollten, was uns schmeckt. »Hauptsache, man vermeidet Übergewicht.«
Dass Frühstücken grundsätzlich klug macht, darin sind sich die Frühstückswissenschaftler schon eher einig. Insgesamt 47 Langzeit-Untersuchungen an Schülern in Europa und den USA zeigten in letzter Zeit: Schüler, die frühstücken, erzielen bessere Noten und werden seltener psychosozial auffällig. Frühstücken soll demnach auch unser Aggressionspotenzial senken.
Wie sieht das gesunde Frühstück also aus? Nach heutigem Stand der Wissenschaft (was also nur heißen kann: aller Wahrscheinlichkeit nach) folgendermaßen: Eine ausgewogene Ernährung beinhaltet Kohlenhydrate, Fett und Eiweiß mit genügend Mineralstoffen und Vitaminen. Aber wer die morgens nicht zu sich nimmt, kann das auch problemlos mittags oder am Abend nachholen. Süße Hörnchen, Nutella-Semmeln oder gezuckerte Zerealien wollen die meisten Ernährungswissenschaftler lieber vom Frühstückstisch verbannen, zumindest für dicke Frühstücker. Angesagt sind Zerealien oder Müsli nur ohne Zuckerzusatz-, Geruchs- und Aromastoffe, mit Früchten, Gemüse, Vollkornbrot; einfache Haferflocken und Eier, am besten im Wechsel.
Hört sich alles nicht sonderlich aufregend an. Die Fantasie darf sich bei uns weiterhin eher beim Abendessen austoben.
Mitarbeit: Sabine Magerl; Foto: Barbara Bonisolli; Foodstyling: Hans Gerlach