Am Samstag hat sich mein Papa wieder schwarz angemalt. An den Händen, an den Armen und im Gesicht. Er stand auf der Bühne einer Kleinstadtsporthalle und verkleidete Zuschauer in Clown-, Elfen- und Bauarbeiterkostümen grinsten ihn an und lachten sich kugelig. Und ich saß zuhause, mit zwickender Magengrube und einer Tasse Fencheltee.
Mein Papa ist Laienschauspieler. In meiner schwäbischen Heimatstadt kennt und beklatscht man ihn. Egal, ob liebesduseliger Hypochonder, Trump-Imitator oder schüchterner Staubsaugervertreter, mein Papa spielt sie alle. Er ist für jeden Quatsch zu haben und nimmt sich dabei selbst wunderbar unernst. Er spielt aber auch: dunkelhäutige Menschen. Seit gut zwanzig Jahren schlüpft er beim örtlichen Fastnachtsball zusammen mit einem Freund immer mal wieder in die Rolle eines afrikanischen Duos. Mit bunten Gewändern tanzen sie durch die bestuhlten Reihen der Karnevalssitzung, reißen Witze in wildem Singsang und machen sich über das Publikum lustig.
– »Papa, Ich habe mir das Skript eures Auftritts durchgelesen und ich finde, das ist unter aller Sau: Inhalt gibt es keinen und eine Rechtfertigung sowieso nicht. Es geht euch nur darum auf der Bühne irgendeinen peinlichen Quatsch zu machen.«
– »Nee, es geht halt um Tabubrüche und so.«
– »Wie würdest du denn das Funktionieren eures Sketches erklären? Ich meine, ihr hampelt einfach nur rum – und seid schwarz angemalt.«
– »Der Sketch funktioniert, weil wir uns dieses rhythmischen, afrikanischen Sprachbildes bedienen. Wir machen uns beispielsweise darüber lustig, dass Holland und Italien nicht bei der WM sind und da legen wir dann mit unserer Verkleidung und unserem Gesang nochmal eine Schippe drauf.«
In ihrem Artikel »Routes of Blackface« schreiben die beiden Theaterwissenschaftlerinnen Catherine M. Cole und Tracy C. Davis: Wenn eine Volksgruppe eine andere imitiere und das für Unterhaltung erkläre, dann ließen sich anhand der Rezeption Aussagen über ethnische Vorherrschaft und Machtverhältnisse treffen.
Mein Papa findet seinen Auftritt urkomisch und ur-unproblematisch. Er meint, die Leute lachen ja nicht über die Person, die er in diesem Moment darstellt, sondern sie lachen über ihn und seine Witze. Seit Jahren versuche ich ihm klar zu machen, dass das nicht stimmt. Beim Sonntagsspaziergang, beim Weihnachtsessen, beim Bier in der Gaststätte reden wir darüber. Die Leute lachen nicht über ihn. Sie lachen über die stereotypische Darstellung eines Schwarzen: der Gang grobschlächtig, die Artikulation schwerfällig und den Rhythmus im Blut. Das ist Blackfacing. Und das ist Rassismus.
»Das ist etwas ganz Anderes, als wenn man in die Rolle einer Prinzessin oder eines Froschs schlüpfen würde. Denn wir reden hier von echten Menschen und echten Kulturen«, sagt mir Dr. Rebecca Brückmann, Historikerin an der Universität Kassel.
Doch welcher Weiße kam überhaupt auf die Idee, sich schwarz zu schminken und das als Unterhaltung zu verkaufen? Seinen Ursprung hat Blackfacing im Nordamerika des 19. Jahrhunderts. Damals etablierten weiße Schauspieler sogenannte Minstrel-Shows auf den kleinen und größeren Bühnen des Landes. Minstrel ist Englisch und heißt so viel wie »kleiner Diener«. Sie mimten Schwarze, Sklaven, die wenig hatten und ihren Herren treu ergeben waren. Die auf dem Kopf »Wolle« statt Haar trugen und »naturgemäß« musikalisch waren. Minstrel verbreitete sich wie ein Lauffeuer im ganzen Land und erhielt durch Radio und Fernsehen im frühen 20. Jahrhundert nochmals mediale Verstärkung.
Erst in den 1960er Jahren, mit Aufkommen der Bürgerrechtsbewegung, verschwand das Blackfacing zunehmend aus der amerikanischen Öffentlichkeit. Dass sich Blackfacing in Deutschland noch immer hält, erklärt mir Tahir Della, Vorstandsmitglied der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland, folgendermaßen: »Weil es bei uns keine Tradition des Minstrel-Theaters gibt, halten Befürworter die Praxis für zulässig und unproblematisch. Beim Blackfacing wird jedoch immer mit kolonialrassistischen Fantasien gearbeitet. Menschen werden auf ein paar phänotypische oder kulturelle Merkmale reduziert und schlichtweg persifliert. Die Wirkung auf die Menschen, die dort dargestellt werden, wird also völlig außer Acht gelassen, genauso wie das wirkliche Selbstbild dieser Personen.«
So bestärkt Blackfacing rassistische Vorurteile, mit denen dunkelhäutige Menschen in Deutschland ohnehin schon zu kämpfen haben. So bekommen etwa schwarze Schauspieler immer noch vor allem Rollen angeboten, in denen sie explizit Schwarze spielen sollen. Für Tahir Della ist die Wirkung von Blackfacing deswegen immer die gleiche, egal ob bei den Sternsingern, bei der Jim Knopf-Stadtwette bei Wetten, dass...? oder im Karneval. »Wenn man das auf dem Radar hat, kann und sollte man Blackfacing einfach unterlassen.« Mein Vater sieht das anders.
– »An Fastnacht in eine neue Rolle zu schlüpfen, das ist doch spannend und neu und aufregend und witzig. Egal, ob ich jetzt bayrische Tracht trage oder ein afrikanisches Gewand.«
– »Aber die Problematik ergibt sich doch gar nicht ausschließlich durch den Akt des Verkleidens, sondern durch den geschichtlichen Hintergrund der Verfolgung und Versklavung Schwarzer Menschen.«
– »Naja, aber die Zeiten sind ja nicht mehr so. Zum Glück.«
Ein allzu rosiges Bild. Rassismus ist in Deutschland nach wie vor an der Tagesordnung. Da ist zum einen der offenkundige Rassismus: Brennende Flüchtlingsheime, Rechtsrockkonzerte und auf der Computermaus abrutschende AfD-Abgeordnete. Doch es gibt auch einen anderen, einen versteckteren Rassismus. Und der ist besonders problematisch. Tahir Della meint: »In Deutschland herrscht ein verkürztes Verständnis davon vor, was Rassismus ist. So wird Rassismus erst dann als Rassismus erkannt und wahrgenommen, wenn nachweislich eine rassistische Intention in der Handlung steckt. Aber natürlich verrät die Intention einer Handlung nichts darüber, wie etwas beim negativ Betroffenen ankommt.«
Blackfacing wird von vielen Menschen in Deutschland also gar nicht als rassistisch verstanden, weil die ausführenden Personen eben keine Lehrbuchrassisten sind. Mein christdemokratischer Papa liest Fürbitte in der Kirche, spendet für Hilfsorganisationen und ist gegen eine Obergrenze in der Flüchtlingspolitik. Umso leichter lässt sich da ausblenden, was Tahir Della ergänzt: »Die Deutungshoheit darüber, was Rassismus ist, liegt in Deutschland leider immer noch bei denjenigen, die nicht negativ betroffen sind. Das zieht sich durch alle gesellschaftlichen Diskurse.«
Für Norbert Finzsch, Rassismustheoretiker und emeritierter Professor der Universität zu Köln, erklärt sich das auch durch eine fehlende Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte: »Deutschland hat zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Afrika im großen Stil Genozide begangen. Dafür hat sich die deutsche Regierung bis heute nicht entschuldigt. Und auch der brandenburgisch-preußische Sklavenhandel im 17. Jahrhundert wurde jahrelang in keiner einzigen wissenschaftlichen Publikation abgehandelt. Erst in diesem Jahr ist an der Universität Düsseldorf eine Dissertation zu dem Thema erschienen.«
Steigt die Sensibilität gegenüber Blackfacing also langsam, ganz langsam, doch? Auf alternativen Techno-Festivals in Mecklenburg wird seit einiger Zeit sogar über die Legitimität von Sari, Dreadlocks und Federkopfschmuck diskutiert. Es geht um die Frage, nach der Essentialisierung von Kultur. Es geht darum, wo Verkleidung aufhört und postkolonialstische Aneigung beginnt. Awareness also, wohin ich auch schaue.
Jedoch nicht bei meinem Papa. Norbert Finzsch meint: »Ihr Vater kann nichts dafür, dass er diese Stereotype verinnerlicht hat. Das sind tiefsitzende, frühkindlich angeeignete Verhaltensmuster und kollektive Dispositionen.« Das betreffe auch die Einstellung »Ich habe das ja gar nicht so gemeint. Ich bin ja kein Rassist, weil ich nicht von der biologischen Überlegenheit weißer Menschen ausgehe«. Es gehe hierbei aber nicht um Gesinnungsethik, sondern um Verantwortungsethik. Es gehe darum, zu schauen, was bewirkt das, was ich tue. Und nicht darum, welche Einstellung ich habe.
– »Das ist so wie mit dem Mohrenkopf, Jona. Damit sind wir einfach aufgewachsen.«
– »Aber nur weil du mit etwas aufwächst, heißt das ja nicht, dass du das für immer so praktizieren musst.«
Nicht immer waren mein Papa und ich uns beim Thema Blackfacing nämlich so uneins wie heute. Ich erinnere mich an eine Hochzeitsfeier im Jahr 2000. Ebenfalls tiefstes Schwabenländle. Im Restaurant des kleinen Dorfhotels in Familienbesitz roch es nach Bratensoße, Schaumfestiger und Luftballons... Auch dort stürmte mein Papa die Bühne. Wild, schwarz, lustig. Und ich fand das großartig. Aber ich war sechs Jahre alt. Und mit Sechs findet man wohl so ziemlich alles großartig, was der Papa macht.
Rebecca Brückmann ist der Meinung, dass die Sensibilität für Themen wie Blackfacing auch eine Generationenfrage ist. »Der Höhepunkt der schwarzen Bürgerrechtsbewegung ist gerade einmal fünfzig Jahre her. Solche Sachen brauchen eine Weile, um sich in den Köpfen der Menschen durchzusetzen. Andererseits ist es natürlich auch Ausdruck gewisser Privilegien, wenn man sich mit solchen Themen gar nicht erst beschäftigen muss.«
Privilegien, die mein Papa bei sich so nicht erkennt oder zumindest nicht erkennen will. Und für ein bisschen mündig hält er sich mittlerweile dann doch.
– »Früher hieß die Nummer ja noch Zwei Abgesandte aus Swasiland. Dieses Mal nennen wir sie nur Zwei Afrikaner, weil wir jetzt ja schon auch die Problematik sehen.«
– »Aber Afrika ist kein Land.«
– »Nee, Afrika ist ein Kontinent.«
– »Ich finde, ihr habt euch mit der Umbenennung keinen Gefallen getan.«
Ich spreche mit meiner Freundin Olga. Sie ist Deutsche, ihr Vater kommt aus Gambia, sich selbst bezeichnet sie als dunkelhäutig. Olga erzählt mir, dass sie sich persönlich durch Blackfacing nicht angegriffen fühlt. Das liege aber vermutlich auch daran, dass sie sich selbst fernab der Kategorien schwarz und weiß definiere. Am ehesten fühle sie sich noch als Europäerin. Blackfacing als Witz abzutun hält aber auch sie für zu kurz gedacht: »Rassismus existiert in Deutschland nach wie vor. Da sollte Blackfacing auf keinen Fall kommentarlos weiterbestehen dürfen.« Mein Text ist ein Kommentar. Aber ist es nicht auch sehr widersprüchlich und eh wurscht, an was ich mich hier und im Streitgespräch mit meinem Papa versuche? Wir beide, zwei weiße Männer, die sich bei Münchner Hellem über Rassismus unterhalten.
Rebecca Brückmann widerspricht mir: »Wer soll denn über Rassismus schreiben, wenn nicht Leute, die nicht von Rassismus betroffen sind? Ich glaube, hier gibt es oft ein Missverständnis, denn: Die zentrale Rolle der Aufarbeitung von Rassismus kann nicht bei Leuten liegen, die von Rassismus betroffen sind. Sie muss bei Leuten liegen, die sich damit kritisch auseinandersetzen müssen – in ihrem eigenen Leben, in ihren eigenen Familiengeschichten und in ihren beruflichen Zusammenhängen.«
– »Wirst du die Nummer denn in Zukunft nochmal aufführen?«
– »Oh, jetzt muss ich mich festlegen. Das ist aber schwierig...«
– »Papa?«
– »Nein, ich werde die Nummer nicht nochmal aufführen. Du hast mich überzeugt. Irgendwann muss auch mal gut sein.«
– »Dieses Mal führst du sie aber noch auf, weil...?«
– »Weil ich das nicht so schlimm finde. Und ich kann jetzt auch nicht mehr zurückrudern. Ist ja schon alles geplant und angeleiert.«
Am Telefon erzählt mir mein Papa, dass der Abend ein Erfolg war. Sie hätten die »Hütte gerockt«, das Publikum minutenlang applaudiert. Doch im Anschluss an den Auftritt trat ein Freund an ihn heran: »Bei uns kann man sowas grade noch machen. In Berlin wäre das nicht mehr möglich.«
Foto: Franziska Schardt