Das Ende vom Lied

Anton Corbijn ist der bedeutendste Rockfotograf der Welt, aber eigentlich will er weg vom Thema Musik. Deshalb hat er seinen ersten Film gedreht. Es ist ein Musikfilm.

Ein Mann von Traurigkeit: Ian Curtis, dargestellt von Sam Riley.
In der Mitte des Films taucht plötzlich Herbert Grönemeyer auf. Es dauert einen Moment, bis man ihn erkennt, eine kleine Rolle, mit Perücke und Seniorenbrille, dann ist die Szene auch schon vorbei. »Mein Freund Herbert hat mir jahrelang gesagt, ich sollte Filme drehen. Also hab ich gesagt: Gut, mach ich, aber du musst mitspielen«, erzählt Anton Corbijn. »Außerdem war er einer von zwei Leuten, die mir geholfen haben, als mir auf halbem Weg das Geld für den Film ausging.« Der andere, erwähnt er, war Martin Gore, der Musiker und Songschreiber der Band Depeche Mode.

Im Gespräch mit Corbijn fallen oft solche Namen. Aber er will nicht einsehen, dass andere Menschen es als etwas Besonderes sehen, wenn man sich ein paar hunderttausend Euro bei richtigen Stars leiht. »Nein«, sagt er und schüttelt sacht den Kopf, »für mich sind das einfach Freunde. Ich rufe ja auch Bono an, wenn ich einen Rat brauche.« Und was rät der U2-Sänger so? »Er hat mal gesagt, ich müsse lernen, das Leben mehr zu genießen. Einer der wichtigsten Ratschläge meines Lebens.« Das passt. Der Holländer wirkt nicht wie einer, der auf Partys singend den Bierkasten ins Wohnzimmer trägt. Ein Winternachmittag in Berlin, der Himmel so grau wie auf seinen Fotos, er trinkt Tee. Ein stiller Kerl, 52 Jahre alt, groß, leicht gekrümmt, schüttere Haare, schwermütige Augen. Kein Genießertyp. Dabei könnte er durchfeiern: Er ist der erfolgreichste Musikfotograf der Welt, durch seine Arbeit für Bands wie U2 und Depeche Mode selbst ein Star. Auch wer mit seinem Namen nicht sofort etwas anfangen kann – jeder hat schon einmal eins seiner Fotos gesehen. Bruce Springsteen, Johnny Cash, Nirvana, die Rolling Stones; würde man die Namen aller auflisten, die er schon fotografiert oder für die er Videos gedreht hat, wäre diese Seite voll. Corbijns Stil ist immer erkennbar, bei ihm sehen Stars oft staatstragend aus, ikonenhaft. Schwarz-weiß, körnig, oft ein bisschen düster, auf jeden Fall immer sehr ernst.

Corbijn redet sogar in Schwarz-Weiß. Amüsante Erinnerungen aus der jahrelangen Arbeit? Beeindruckende Begegnungen? Hm, also eigentlich, nein. Er überlegt, irgendwann fällt ihm Bob Dylan ein, ja, das sei nicht schlecht gewesen, den zu treffen. »Das Problem ist, ich kann nicht gut über diese Begegnungen sprechen, weil ich mit meinen Fotos immer etwas abschließe, verstehen Sie? Ich tauche in die Welt von jemandem ein, und das, was ich daraus mitbringe, sind keine Geschichten, sondern Bilder.«

Meistgelesen diese Woche:

Man kann sich vorstellen, warum die Stars so gern mit ihm arbeiten: ein paar ruhige Worte, eine unaufgeregte Angelegenheit, anders als bei den verrückten LaChappelles und Testinos und so weiter. Dann murmelt er vielleicht, Bono, bitte noch etwas nach links, oder Bob, gut so, klick, klick, und nach ein paar Minuten ist alles fertig. Er lässt sich nicht groß beeindrucken, weil er die Stars nicht als Stars sieht. »Es gibt Menschen, die ich bewundere und mit denen ich gern arbeite, aber jemanden zu verehren… das ist nicht mehr das Richtige für mich.«

War es aber mal, vor vielen Jahren. Die englische Band Joy Division (legendär: Love Will Tear Us Apart) hat ihn beeindruckt, vor allem ihr Sänger Ian Curtis. Dessen Leben hat er jetzt mit Control verfilmt. »Ich wollte einen Film machen, der den Zuschauer so berührt, wie mich damals die Musik von Joy Division berührt hat.« Curtis wurde Ende der Siebzigerjahre zum Gegenhelden einer Generation: ein ratloser Romantiker, ein Nihilist, der mit 19 Jahren schon heiratete, der sich selbst hasste, aber viel Nächstenliebe in sich trug. Er war erst 23 Jahre alt, aber schon erschöpft vom Leben, als er sich in der Wohnung seiner Frau erhängte.

Corbijn erzählt Curtis’ Geschichte ganz geradeaus. Man merkt, dass er sich sein Leben lang mit Musik beschäftigt hat, die Konzertszenen sind stimmig und völlig unpeinlich, das ist keine Selbstverständlichkeit bei Musikfilmen. Corbijn zeigt seinen großartigen Hauptdarsteller Sam Riley in Bildern, deren Tristesse einen schier erschlagen könnte, wenn sie nicht so geschmackvoll wären. Der Film hat zu Recht mehrere Preise bekommen. Man sollte nur aufpassen, dass man in einigermaßen stabiler Stimmung ist, wenn man ins Kino geht.

Für Corbijn schließt sich jetzt ein Kreis. Mit Anfang 20 ist er wegen Joy Division nach England gezogen, die Musik hatte ihn so begeistert, dass er sein Leben ändern wollte. Jetzt, mit 52, hat er dieser Band sein bisher größtes Werk gewidmet. Er sagt, er habe langsam genug von den Musikfotos. Künstler porträtiert er, auch Architektur fasziniert ihn. »Ich habe das Gefühl, jetzt könnte eine neue Phase meines Lebens beginnen. Das, was ich bisher gemacht habe, ist abgeschlossen.«

Klingt gut, hat aber einen Haken: Der Film ist zu gut geworden. Er zementiert, wie sehr Corbijn in die Welt der Musik gehört, wie perfekt er da ist. Er kann sich jetzt in allen möglichen Genres versuchen, man wird ihm höfliche Aufmerksamkeit schenken, Bildbände werden entstehen, natürlich. Aber nach Control werden trotzdem alle hoffen, dass er weitere Musikfilme dreht. Eine Erwartung, die nur Corbijn selbst nicht ganz gefällt: »Ich will neue Einflüsse verarbeiten, nicht immer nur die Musik meiner Jugend. Mal sehen, wo das hinführt.«

»Control« kommt am 10. Januar ins Kino.