Die Zukunft des Kinos sieht aus wie ein gut gelaunter Bankangestellter: Der Mann kommt zur Tür rein, sportlich, jugendliche 42 Jahre alt, schwarze Hornbrille, zurückgekämmte Locken, er grüßt fröhlich, und für einen Moment ist nicht ganz klar, warum der noch kein richtiger Star ist. Fast jeder hat schon mal von den Serien gehört, die der New Yorker J. J. Abrams erfunden hat, von Lost oder Alias, oder von seinen Kinohits wie Mission Impossible 3 oder Cloverfield, ihn selbst kennen aber immer nur die Filmspezialisten. Dabei versteht kaum jemand besser als er, wie moderne Unterhaltung funktioniert.
Gerade ist Star Trek 11 in die Kinos gekommen, der Film, in dem Abrams die Vorgeschichte der Fernsehserie Raumschiff Enterprise erzählt. Die Medienmaschine läuft, die Menschen strömen in die Kinos, es könnte alles so laufen wie bei anderen Blockbustern auch. Aber es gibt einen wesentlichen Unterschied zu anderen Filmstarts. Abrams hat erkannt, dass das Publikum auf der ganzen Welt heute anders reagiert als vor zehn oder zwanzig Jahren: Früher hat es den Leuten genügt, sich für zwei Stunden ins Kino zu setzen, und Schluss. Heute ist für viele der Film nur Teil von etwas Größerem – das eigentlich Wichtige beginnt jenseits des Kinosaals: Sie diskutieren in Tausenden von Internetforen über Details, Handlungsverläufe, Charaktere, treffen sich zu Kongressen, denken sich selber Geschichten aus, zeichnen Landkarten oder Pläne irgendwelcher Sonnensysteme. Keiner weiß besser als Abrams, wie man diese Klientel bedient, das hat er schon mit der Fernsehserie Lost vorgeführt: Da geht es um ein paar Gestrandete auf einer mysteriösen Insel – und seit der ersten Folge verbringen Fans auf der ganzen Welt ihre Zeit weniger vor dem Fernseher als vielmehr mit Diskussionen über die Insel und ihre Bewohner.
Vor ein paar Monaten war Jeffrey Jacob – kurz J. J. – Abrams in Deutschland, um erste Szenen aus Star Trek 11 zu zeigen. Ein nettes Bild: Der dreifache Vater steht vor der Leinwand und erklärt die Szenen so aufgeregt wie ein Junge, der seinen Eltern die neue Sandburg vorführt. Nach der Filmvorführung sitzt Abrams dann im viel zu großen Sessel einer Hotelsuite und sagt: »Es gibt einen klaren Unterschied zwischen dem Produkt, das ich verkaufe, und der Aufregung, die es erzeugt. Das eine stelle ich her, das andere ergibt sich danach, wenn es gut geplant ist – ich kann das Publikum sich selbst überlassen.«
Abrams hat das sogenannte Prinzip Web 2.0 auf das Kino übertragen – die Aufhebung der Trennung zwischen dem Autor auf der einen und der Gruppe der Leser oder eben Zuschauer auf der anderen Seite. Das Werk entsteht erst durch das, was alle beitragen. Abrams gibt nur den Startschuss. Und das muss nicht mal nur der Film sein – im Fall von Star Trek 11 hat er sich auch eine Art Schnitzeljagd für das
US-Magazin Wired ausgedacht, an der Tausende Leser teilnahmen. Um zu verstehen, wie der Rest funktioniert, muss man sich zum Vergleich nur die Kommentarspalten eines guten Blogs ansehen: Da ist der
Autor oft nur Stichwortgeber, alles weitere erledigt die Community.
Abrams gestikuliert viel, er reibt sich die Augen hinter seiner Hornbrille, wenn er nach dem nächsten Satz sucht, und wenn er ins Philosophieren gerät, kann das ein bisschen dauern. Schließlich sagt er: »Ich glaube, die Art, wie wir Dinge sehen, ist genauso wichtig wie die Dinge selbst; wenn nicht sogar wichtiger.« Diese Erkenntnis macht ihn zum Vorreiter einer grundsätzlichen Veränderung, die das Kino gerade erlebt. Man kann sie, nur ein Beispiel von mehreren, gerade auch bei Quentin Tarantinos Inglorious Basterds beobachten, der erst im August anläuft: Schon jetzt wird über den Film und seine Entstehung so viel in Feuilletons und von Fans diskutiert, dass man ihn sich eigentlich kaum mehr anschauen muss. Das Werk ist die Wahrnehmung ist das Werk ist die Wahrnehmung und immer so weiter.
Wäre es Abrams zuzutrauen, dass er eines Tages einen Hit landet, ohne überhaupt einen Film zu drehen? Er lacht: »Ja, müsste man mal probieren. Vielleicht geht das tatsächlich.« Es wäre konsequent: Irgendwann wird der Hype allein Unterhaltung genug sein – auch ohne Inhalt.
Illustration: Onur Erbay