Madonna jedenfalls ist von gestern. Die kleine, bald fünfzigjährige Frau lässt sich zwar nach wie vor problemlos in Korsette einschnüren. Sie besitzt immer noch diesen unfassbar trainierten Körper, der für Frauen in den Neunzigerjahren so wichtig wurde. Doch zu bedeuten hat diese Inszenierung nicht mehr viel. Für die symbolische Vermittlung weiblicher Selbstbestimmung hat sie als Rollenmodell ausgedient.
Madonna war Fackelträgerin der Idee, dass eine Frau alles sein kann – reich, berühmt und erotisch –, wenn sie sich nur restlos im Griff hat. Durch fortgesetzte Selbstoptimierung erlangte sie Macht, fast wie ein Mann – auch wenn sie nie wirklich wie einer sein konnte. Nun aber machen sich immer mehr Frauen Männlichkeitsattribute zu eigen, die gerade darin bestehen, sich vollkommen gehen zu lassen und die Selbstkontrolle aufzugeben. Die neuen Ikonen der Popkultur und ihre namenlosen Mitstreiterinnen trinken, pöbeln, feiern; sie sind nicht nur wie Männer, sondern sogar die härteren Männer – und vielleicht geht von dieser neuen Hemmungslosigkeit eine emanzipatorische Kraft aus, die der straffe Kontrollwahn Madonnas schon lange nicht mehr hatte.
In das englische Standardlexikon Oxford English Dictionary wurden vor einigen Jahren ein paar moderne Begriffe aufgenommen, »SMS« oder »MP3« zum Beispiel. Einer der neuen Einträge aber machte besondere Schlagzeilen: die »Ladette«, der britische Ausdruck für eine junge Frau, die sich wie ein »Lad«, ein halbstarker Typ, benimmt.
Ladettes trinken laut Definition bis zum Umfallen, treten in Gruppen auf, arbeiten ungern schwer und zeichnen sich vor allem durch Rüpelhaftigkeit aus. Tatsächlich haben britische Frauen ihre notorisch trinkfesten Landsmänner mittlerweile eingeholt, was den Alkoholkonsum angeht. Auf Platz zwei europäischer Vieltrinkerinnen kommen übrigens deutsche Mädchen. Vor allem beruflich erfolgreiche junge Frauen feiern härter als je zuvor.
Aber nicht nur, was die Sauferei betrifft, sind junge Frauen in ihrem Verhalten von Männern nicht mehr zu unterscheiden.
Die Journalistin Ariel Levy schuf 2005 den Begriff »female chauvinist pigs« – weibliche Chauvinistenschweine. Damit bezeichnete sie einen beträchtlichen Teil der angelsächsischen Frauen. Sie gehen in Table-Dance-Bars, bilden ein wachsendes Segment der Pornografie-Konsumenten, sie sind dezidiert promisk und kultivieren eine Kaltschnäuzigkeit in sexueller Hinsicht, dass einem Hugh Hefner die faltigen Ohren schlackern würden.
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Und auch in der Welt des Pop hat sich ein neues Frauenbild etabliert. Mit Austrainiertheit und Karrierebewusstsein hat es nichts zu tun, dafür umso mehr mit der Missachtung aller Erwartungen, die an eine junge Frau so gestellt werden. Die Sängerin Amy Winehouse ist mit ihren tieftraurigen Liedern über Liebe und Alkoholmissbrauch, deren Geschichten sie alle am eigenen Leib erfahren hat, berühmt geworden. Lindsay Lohan wiederum, die theoretisch auch als talentierte Schauspielerin gilt, hat sich ihre Popularität dadurch erworben, die hippsten Partyjungen auf ihr Hotelzimmer zu nehmen und sich hauptsächlich in Entzugskliniken aufzuhalten – und das mit 21.
Natürlich haben sich weibliche Popstars früher auch schon danebenbenommen, Janis Joplin oder Courtney Love waren vielleicht sogar noch härter drauf als die jetzigen. Der Unterschied ist aber, dass es heute kein spezifisch weibliches Daneben mehr gibt, Frauen und Männer unterscheiden sich in ihrem Hedonismus schlichtweg nicht mehr. Genau deswegen hat diese neue Rüpelhaftigkeit aber so große Bedeutung.
Denn sie zeigt, dass es Frauen – ob sie öffentliche Figuren oder Privatpersonen sind – zunehmend gelingt, aus dem bisherigen Standardprogramm weiblichen Verhaltens auszubrechen. Dessen Hauptpunkte lauten, und da sind wir wieder bei Madonna: äußerliche Makellosigkeit, die damit verbundene Mühsal und schließlich, wie zur Belohnung, Mütterlichkeit.
Auch wenn Selbstzerstörung natürlich kein Lebensziel junger Frauen sein kann: Die Option, sich einfach gehen zu lassen wie Männer, ist eine wichtige Korrektur des gültigen Frauenbildes. Wirkliche Gleichberechtigung gibt es erst dann, wenn Frauen sich all die Handlungsspielräume nehmen, die bisher Männern vorbehalten waren. Und dazu gehören auch die dunklen Ecken – die, die nach Schnaps und Erbrochenem riechen.