Langweilando

Zalando, Gymondo, Lieferando: Nirgends sind Namenshypes so ausgeprägt wie bei Internetfirmen. Warum folgt die Namensgebung solchen Trendwellen? Und: Ist das nun einfallslos oder clever? Eine Markennamen-Expertin klärt auf.

Seit Jahren schon klingt es oll-in-den-Ohren.com. Deutsche Online-Auftritte klingen alle ähnlich mediterran. Sybille Kircher ist spezialisiert darauf, Markennamen zu entwickeln, sie ist Geschäftsführerin der Agentur NOMEN und weiß, warum das so ist.

SZ-Magazin:
Momentan lassen sich im Netz zwei große Namensfamilien beobachten, Typ 1 ist so eine Art spanisches Gerund: Zalando, Gymondo, Tirendo, Lieferando. Und Typ 2 sind ebenfalls mediterran klingende Fantasienamen: Avandeo, Opodo, Mirapodo, Limango, Trivago. Warum sind Markennamen im Internet so ähnlich?
Sybille Kircher: Es ist nicht ungewöhnlich, dass gut funktionierende Markennamen zur Inspirationsquelle im Markt werden. Hinter ähnlich konstruierten Namen steht oft die Hoffnung, mit vergleichsweise geringem Aufwand von der hohen Bekanntheit und den aufgebauten Sympathiewerten eines Trendsetters zu profitieren. Ob das langfristig eine gute Strategie ist, sei dahingestellt.

Welche anderen Namentrends dienten noch als »Inspirationsquellen«?
Zum Beispiel die -ly-Endungen, etwa von bit.ly, pirat.ly, musical.ly, easel.ly, und die Auslassung des »e« in der Endsilbe, wie bei tumblr, grindr, flickr, blendr, happn sind gute Beispiele für solche Naming-Trends. Der Nachahmungseffekt lässt leider jegliche Originalität verpuffen und die betreffenden Marken austauschbar erscheinen. Ärgerlich für denjenigen, der die Idee zuerst hatte.

Zalando war zuerst da, und dann sind alle anderen sind auf den Zug aufgesprungen?
Welcher Name zuerst entstand, dazu liegen uns keine Informationen vor. Fest steht, dass Zalando eine der Online-Marken ist, die mit den früheren Konventionen des Online-Brandings gebrochen haben. In den frühen E-Commerce-Zeiten waren Online-Marken eher beschreibend und entweder deutsch- oder englischsprachig. Nehmen Sie zum Beispiel immobilienscout24.de, neu.de, edarling.de, ebooks.de, ebay.de etc. Zalando, aber natürlich auch andere Online-Marken, haben eine neue Tonalität in die virtuelle Welt gebracht. Mediterrane Namen rufen in Deutschland starke Emotionen hervor, sie klingen in unseren Ohren meist angenehmer als englische oder deutsche Namen.

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Warum ist das so?
Weil wir damit Lifestyle, Lebensfreude, Urlaub oder auch eine Auszeit vom Alltag verbinden. Deutsch und Englisch verbinden wir dagegen eher mit Business. Allerdings kommt der Innovationsgrad nicht nur in mediterran klingenden Namen zum Ausdruck. Es gibt auch andere Differenzierungsstrategien, zum Beispiel Provokation, wie im Falle des Karriereportals monster.de oder ungewöhnliche Konstruktionen wie e-wie-einfach.de für einen Strom- und Gasanbieter.

Ist in Deutschland die »Me,too«-Mentalität ausgeprägter als in anderen Ländern? Oder sind hierzulande die Kreativen weniger, nun ja, kreativ?
Nein. Erfolgreiche Strategien werden auf der ganzen Welt kopiert. Nehmen wir Frankreich als Beispiel: Dort hat NOMEN 2007 ein öffentliches Fahrradverleihsystem in Paris auf den Namen Vélib‘ getauft. Der Name steht für Fahrrad, französisch vélo, und Freiheit, französisch liberté. Inzwischen gibt es zahlreiche ähnliche Namen, darunter Autolib‘, Scootlib‘, Célib‘.

Besteht in dieser ganzen Flut ähnlicher Markennamen nicht die Gefahr der Verwechslung? Möchte man sich denn nicht lieber abheben?
Auf jeden Fall! Wer Bestehendes kopiert, läuft Gefahr, die zweite Wahl zu bleiben, weil die Zielgruppe das Angebot nicht wahrnimmt oder sich davon nicht mehr begeistern lässt. Kunden möchten überrascht werden, das geht nur mit innovativen Marken. Wir bei NOMEN plädieren deshalb immer für mutige, einzigartige Namensstrategien. Es ist auf jeden Fall lohnender, einen Trend zu setzen als ihn zu kopieren.

Warum gerade spanisch klingende Namen? Klar, man assoziiert damit Samba und Kokosnuss und Strandfeeling, aber kommt es bei Online-Shops nicht eher auf pünktliche Lieferung und sichere Bezahlung an? Oder rückt das in den Hintergrund wenn man sich den Namen gut merken kann?
Die Tonalität ist nicht unbedingt nur spanisch, sondern eher mediterran, weil die Namen genauso gut eine italienische oder portugiesische Anmutung haben. Grundsätzlich muss man im Namen keine Selbstverständlichkeiten wie pünktliche Lieferung oder sichere Bezahlung betonen. Das sind Standards, die die Kunden als selbstverständlich voraussetzen. Der Name hat die Aufgabe, die Markenpositionierung anklingen zu lassen und neugierig zu machen. Es geht darum, Emotionen in eine bestimmte Richtung zu lenken und die Fantasie der Verbraucher anzuregen. Viele der mediterran klingenden Namen bezeichnen Angebote aus den Bereichen Mode, Urlaub, Möbel oder andere Designartikel – da ist die Namenswahl durchaus stimmig, weil die Assoziationen in die Produktgruppen passen. Natürlich gibt es Ausnahmen, aber es ist ja auch längst nicht jeder Name gut gewählt.

Zum Beispiel?
Tirendo für einen Reifenshop ist ein solches Beispiel. Die Kombination aus einem englischen Wortstamm und einer spanischen Endungen harmoniert nicht besonders gut, zumal niemand in dem Namen das Wort »tire« herausliest. Wenn man eine romanische Sprache beherrscht, denkt man eher an »ziehen«. Aber andererseits werden die meisten Verbraucher wohl ohnehin denken, dass es sich um ein Kunstwort ohne Bedeutung handelt. Was per se nicht schlecht ist, aber einen höheren Aufwand im Rahmen der Markenkommunikation bedeutet.

Gibt es da Unterschiede zwischen analogen und digitalen Unternehmen?
Digitale Markennamen müssen noch auffälliger sein als analoge (wobei die Grenzen inzwischen verschwimmen!), weil sie in der Menge anderenfalls nicht mehr wahrgenommen werden. Ob analog oder digital – es geht für Marken immer und überall darum, präsent zu sein und gefunden zu werden.

Ist ein Ende des ando-endo-eo-Namenstrends abzusehen?
Sehr wahrscheinlich. Jeder Trend löst irgendwann wieder einen Gegentrend aus.

Und was könnte das für einer sein?
Am besten ignoriert man diese Trends ohnehin. Wer sich an die goldene Regel hält, dass ein guter Name einzigartig ist, schafft beste Voraussetzungen für eine neue Marke. Es wird aber in der Zukunft weiterhin Ableitungen von aktuellen Schlagworten geben, zum Beispiel zum Thema Smart-Home-Technologie. In diesem konkreten Fall werden sich die Namen um die Begriffe »smart« oder »intelligent« drehen. Wirklich innovative Unternehmen werden solche Trends aber nicht kopieren, sondern ungewöhnliche, bildhafte Namen wählen, die man nicht so einfach nachahmen kann. Ich denke da an assoziative Namen wie »Nest« für Thermostate von Google oder »Horizon« für HD-Receiver. Das sind gute Beispiele dafür, wie man Eigenschaften, die man mit einem Produkt assoziieren soll, etwa »Wärme« oder »in die Ferne blicken« markenadäquat ausdrücken und sich als Anbieter einzigartig positionieren kann.

Sybille Kircher ist Deutschland-Geschäftsführerin der internationalen Agentur für Markennamenentwicklung und –beratung NOMEN, verantwortlich für so unterschiedliche Markennamen wie VW Touran, Toyota Yaris, Müller Froop, Arcor, Renault Clio, u.v.m.

Foto: Claus Christensen/Getty Images