Meine Jagd nach dem Autogramm von Obama

Egal, wie die US-Wahl ausgehen wird: Barack Obama ist schon jetzt der Politiker des Jahres 2008 – deshalb wollte unser Kollege seine Unterschrift. Hier sein Bericht.

Er sagt „God bless you“, dann ist es soweit: Barack Obama geht die wenigen Stufen von der Bühne herunter und beginnt seinen Weg entlang der ersten Zuschauerreihe. Hände, Umarmungen, Fotos. Weinkrämpfe. Er kommt auf uns zu. Sarah ist eine von 4 000 Zuhörern hier in New Hampshire und steht vor mir an der Absperrung. Sie tritt zur Seite und sagt: „Geh vor. Du bist so weit gefahren.“ Ich greife zur stern-Ausgabe vom 24. Juli, die in meiner linken hinteren Hosentasche steckt und ziehe sie hervor. Auf dem Titel lacht Obama. Meine Hände kleben an dem dünnen Papier, als ich die Seiten 32 und 33 aufschlage: Das doppelseitige Bild zeigt Obama und seine Familie, wie sie am 4. Juli auf einer grünen Wiese in Butte, Montana, sitzen. Ich knicke das Heft so, dass Seite 33 das Cover und Seite 32 die Rückseite des Heftes bildet. Auf dem Cover rechts oben ist nun der Himmel über Montana zu sehen. Da ist Platz. Da würde die Unterschrift hin passen.

Obama und den vier Leibwächtern vom Secret Service geht ein junger Mann im Anzug voran. Er sammelt Bücher ein, die Obama geschrieben hat und die Autogrammsammler mitgebracht haben. Er sagt: „Er unterschreibt nur Bücher.“ Als er vor mir steht, reiche ich ihm dennoch mein Heft. Er schüttelt den Kopf.

Auf diesen Moment hatte ich ein halbes Jahr gewartet.

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I. Die Autogrammsammlung
Ich war zehn Jahre alt, als ich Post von Franz Josef Strauß bekam. Ich hatte unseren CSU-Landtagsabgeordneten angerufen und nach einer Unterschrift des Ministerpräsidenten gefragt. Tage später kam ein Kuvert für „Schüler Peter Wagner“ mit Strauß’ Autogrammbild und einer Karte, auf der die Bayerische Staatskanzlei Grüße ausrichtete. Ich war in den Kontakt mit meiner Regierung getreten und starken Willens, diese neue Brieffreundschaft zu pflegen. Ich bekam gerne Post und schrieb eifrig nach Autogrammen. Die Unterschrift von Jean-Marie Pfaff war eine der ersten, die mich erreichte. Er war Torwart des FC Bayern und schrieb schwungvoll seinen kompletten Namen mit dickem Filzstift auf sein Bild. Als ich seine Unterschrift sah, begann ich, meine eigene zu üben. Wichtig war mir das voluminöse „P“ und das mit Verve eingeleitete „W“, mit dem ich auch meine Anfragen an Franz Josef Strauß unterzeichnete. Nach der freundlichen Antwort, die sein Autogramm begleitet hatte, schrieb ich ihm häufiger. Meist fragte ich ihn um die Adressen Prominenter wie Carolin Reiber, Helmut Kohl oder Michail Gorbatschow („Der Ministerpräsident dankt dir für dein Schreiben. Wegen eines Autogramms von Michail Gorbatschow schreibst du am besten an den Generalsekretär der KPdSU, Kreml, Moskau, UdSSR“). Vom regen Schriftverkehr ermutigt, schrieb ich auch nach Bonn und bekam Antworten wie diese: „Der Bundeskanzler dankt dir für dein Schreiben. Leider liegen uns keine Farbbilder der NASA Voyager 2-Mission zum Neptun vor.“ Kohl verwies mich wegen Neptun und einer Unterschrift des US-Präsidenten an die amerikanische Botschaft. Von dort fand ein gedrucktes Autogramm von Bush Senior den Weg in unseren Briefkasten (damals hieß es, dass eine echte Unterschrift undenkbar sei, weil im Weißen Haus täglich 20 000 Briefe einträfen). Als Extra steckte im Brief ein Schwarzweiß-Bild von John F. Kennedy. Ich hängte es mit einer Reißzwecke über mein Bett.

Vielleicht war das Sammeln der Versuch, meinem jungen Leben Bedeutung zu verleihen. Ich stellte mir vor, wie Außenminister Hans-Dietrich Genscher zwischen Reisen ins Weiße Haus und in den Kreml (Moskau, UdSSR) meinen Brief liest und dann sein Foto unterschreibt. Ich freute mich über die absurden Momente, in denen mir meine Mutter nicht ohne Stolz sagte: „Du hast Post vom Kanzler“. Nur als das Paket aus der DDR ankam, zweifelten meine Eltern an meinem Tun. Am Esstisch zog ich einen Ostberlin-Reiseführer und ein DIN-A 4 großes Bild von Erich Honecker aus dem Karton – zwar ohne Unterschrift, aber bunt. Ich ging in mein Zimmer und befestigte Honecker neben Kennedy, so dass Gegner und Fan des Kommunismus eine Nacht lang über meinen Schlaf wachten. Als ich am nächsten Tag aus der Schule kam, waren beide weg. Ich fragte meine Mutter und sie antwortete, dass das mit Honecker über dem Bett so nicht ginge. Kennedy, ja, den hätte sie noch verstanden. „Oder ein Bild deines Vaters.“

Irgendwann im Lauf der Pubertät, etwa mit 15, verlor mein Hobby plötzlich seine Faszination. Aber nicht für immer. 15 Jahre später entdeckte ich sie neu.

II. Das Duell und der Sieger
Im Mai 2008 zanken sich Hillary Clinton und Barack Obama bereits seit mehr als einem Jahr um die Nominierung für das Amt des US-Präsidenten. Clinton baut auf ihre Erfahrung als Frau neben Präsident Bill. Obama baut unter anderem auf eine Rede, die er 2004 auf dem Nominierungsparteitag seiner Partei gehalten hatte. Die Menschen weinten, noch während er sprach; später hieß es, der Mann könne den amerikanischen Traum neu erzählen. Die Republikaner schicken den eher liberalen John McCain in den Streit um die Nachfolge des Mannes, der sein Land in den Irak führte und der versuchte, die Welt in Gut und Böse zu teilen. Vielen Amerikanern scheint jeder wie ein Erlöser, der nach George W. Bush kommt. Wie anschaulich aber würde der Neustart einer Nation, wenn ihr eine Frau oder ein Schwarzer als Präsident vorstehen würde?

(Lesen Sie auf der nächsten Seite:
Ich will seine Unterschrift.)


Die Medien in den USA und auch in Deutschland sind von dem epischen Duell zwischen Clinton und Obama fasziniert und berichten ausdauernd von jeder Vorwahl. Obama gewinnt und ist schon im Frühjahr ein Teil der Geschichtsbücher: Er ist der erste schwarze Präsidentschaftskandidat. Selbst wenn er die Wahl verliert, wird er das Gesicht des Jahres, vielleicht des Jahrzehnts sein. Und weil Autogrammesammeln immer auch bedeutet, auf einfache Weise an der Geschichte teilzuhaben, die während des eigenen Lebens entsteht, fasse ich im Frühjahr einen Vorsatz: Ich will seine Unterschrift.

III. Erste Versuche
„Wie komme ich an ein signiertes Foto von Barack?“ steht im Frage-Antwort-Bereich auf barackobama.com zu lesen und die Antwort lautet, dass Barack keine Zeit zum Signieren habe. Also fülle ich unter der Rubrik „Medien“ das Formular für Interview-Anfragen aus. Die Antwort von Obama persönlich kommt nach Sekunden. Ich bin nun einer von Millionen Empfängern seines Newsletters. Das letzte Wort lautet immer: „Donate“. Spende für den Wahlkampf!

Ich frage John E. Schlimm, einen Kolumnisten des US-Magazins „Autograph“, was er tun würde. Er erzählt, dass er, noch ehe Obama im Februar 2007 seine Kandidatur bekannt gab, zwei Bücher mit der Bitte um Signatur in Obamas Büro geschickt hatte. „Nach einigen Monaten kamen sie zurück“, erinnert sich Schlimm. „Mit einer, wie ich glaube, Autopen-Unterschrift.“ Der Autopen ist eine Maschine, mit der man Unterschriften kopieren kann. John sagt, ich müsse zu einer Wahlveranstaltung gehen. Er gibt mir zwei Tipps: „Erstens früh da sein und vorne stehen. Zweitens am besten Bücher des Kandidaten oder Kampagnenposter zum Signieren mitbringen.“ Dann legt er mir noch sein eigenes Buch ans Herz: „The Ultimate Beer Lover’s Cookbook.“

Anfang Juli gibt es Gerüchte, nach denen Obama nach Berlin kommen soll. Ich suche den Kontakt zu den „Democrats Abroad Germany“ und lese in einem Zeitungsartikel von Shari Temple, der zweiten Vorsitzenden der Auslandsdemokraten und einzigen Delegierten aus Deutschland, die zum Nominierungskonvent im August nach Colorado reisen wird. Temple wohnt, stellt sich heraus, nur 800 Meter von meinem Haus entfernt. Doch sie ist auf Reisen und ihr Mann macht mir nur bescheidene Hoffnungen: „Mit Autogrammen kann sie dir sicher nicht helfen.“

IV. Obama in Berlin
Donnerstag, 24. Juli, ich bin in Berlin. Es ist kurz vor halb elf Uhr am Morgen, der Himmel ist blau und vom Flughafen Tegel schwebt ein Hubschrauber Richtung Kanzleramt, wo Fotografen mächtige Objektive zwischen die Gitterstäbe des Zaunes halten, der den Weg zur Kanzlerin versperrt. Der Hubschrauber kommt näher und es scheint, als ziehe er an einem unsichtbaren Faden auf der Straße die Kolonne weißer Jeeps heran, die kurz vor elf Uhr durch das Tor auf das Gelände des Kanzleramtes fährt.

Er ist da.

Gegen 12 Uhr fährt die Abordnung zum Hintereingang des Hotel Adlon. Eine Stunde später sehe ich in den Nachrichten eine Eilmeldung: Adlon wegen eines verdächtigen Päckchens gesperrt. Wieder eine Stunde später stellt sich heraus, dass darin ein Buch von Obama steckte. Ein Sammler hatte es mit der Bitte um eine Unterschrift abgegeben. (Lesen Sie auf der nächsten Seite: „This is the moment when we must come together to save this planet.“)


Gegen 14 Uhr beobachte ich am Auswärtigen Amt ein vertrautes Bild: Hubschrauber, Jeeps, Obama winkt hinter getönten Scheiben und verschwindet. Er trifft Außenminister Steinmeier und noch jemanden, wie ich am nächsten Tag in der Zeitung lese: „Es gibt ja noch den überglücklichen Gert Weisskirchen. Der ist nicht nur SPD-Bundestagsabgeordneter. Er ist auch der Vater von Nicole. Weil die sich eine Widmung von Obama wünschte, ist Weisskirchen vorhin im Auswärtigen Amt zu ihm gegangen. Erfolgreich. Dream your dreams! steht jetzt im Buch der Tochter.“

Obamas Rede ist für 19 Uhr angekündigt. Als sich gegen 16 Uhr der Einlass öffnet, bin ich nicht dabei. Es gibt Gerüchte, Obama laufe mit Bürgermeister Klaus Wowereit durch das Brandenburger Tor. Deshalb warte ich gemeinsam mit gut 2 000 Menschen vor dem Adlon. Gegen halb vier kommt Klaus Wowereit zum Hotel, er bringt Obama das Goldene Buch der Stadt. Eine Stunde später kommt er wieder und flaniert lächelnd über den Pariser Platz. Ohne Obama, aber mit Autogramm im Goldenen Buch.

In die erste Reihe vor der Siegessäule schaffe ich es nun nicht mehr. Mir bleibt, um meine Chance zu wahren, nur der Pressebereich, der lediglich 20 Meter vom Rednerpult entfernt ist. Mit einem befreundeten Kollegen vom Spiegel und Benjamin von Stuckrad-Barre, der für die BZ hier ist, stehe ich in der Schlange zur Sicherheitskontrolle. Innen sehen wir heute journal-Moderator Claus Kleber, der bis zur Orangefarbigkeit geschminkt ist. Stuckrad-Barre fragt sich, ob es wohl einen „Ich bin ein Berliner“-Satz geben werde? Wie der lauten könnte? Doch dann kommt der Hubschrauber.

Obamas Rede vor 200 000 Menschen klingt wie eine Predigt. Er spricht von Berlin als der „City of all Cities“, er sagt: „This is the moment when we must come together to save this planet.“ Immer wieder leitet er Passagen mit „This is the moment“ ein und bald hat man das Gefühl, gerade sehr große Rhetorik zu hören.

Nach der Rede geht er von der Bühne und zur ersten Reihe. Ich bin irritiert, weil ich erwartet hatte, dass er zügig verschwinden würde. Ich steige über die Absperrung zum Zuschauerbereich, dränge mich nach vorne, ziehe einen Stift und den stern aus meiner Tasche, der am Morgen bei Freunden auf dem Sofa lag. Ich drücke mich zwischen den Menschen hindurch, rieche Schweiss und Urin (einige haben lange in der Hitze gewartet) und stoße schließlich auf eine vielleicht drei Meter dicke Wand aus Menschen. Ich lehne auf dieser Wand und strecke meinen Stift ins Nichts. Drei Meter, näher komme ich nicht heran. Ich kann seine Haare sehen und dann, wie entlang der ersten Reihe Menschen ihre Handys für Fotos in die Luft recken. Obama entfernt sich. Keine Chance.

In der BZ schreibt Stuckrad-Barre am nächsten Tag: „Tatsächlich, wir hörten einem Politiker zu. Es ging ums so genannte große Ganze, und trotzdem hatte man nicht eine Sekunde das Gefühl, da labere einer.“ Auf der ersten Seite der Bild lächelt eine Reporterin neben Obama. Wowereit hat ein Autogramm. Nicole Weisskirchen auch. Ich nicht.

(Lesen Sie das Ende der Geschichte auf jetzt.de)