Das ist also das Ergebnis von 1400 Euro Investition und 270 Tagen Arbeit: ein grobes, gusseisernes Gestell, überzogen mit weißlicher Masse, die wie ranziges Schmalz aussieht. An der einen Seite ragt eine Art Hebel heraus, aus der anderen hängt ein nicht isoliertes Netzkabel. An einen Toaster erinnert das Ganze nur entfernt, kein Wunder, schließlich wurde das Gerät nicht an den Bändern einer chinesischen Fabrik gefertigt, sondern in einer Londoner Wohnung – in Handarbeit. Der Mann, der ihn konstruiert hat, heißt Thomas Thwaites. Er ist Ende zwanzig, trägt wuscheliges Haar und sagt: »Dieser Toaster ist nicht schön, aber ich habe ein enges persönliches Verhältnis zu ihm.«
Als Vorlage diente Thwaites ein Billigtoaster aus dem Versandhaus. Beim Auseinanderbauen stellte er fest, dass ein solches Wegwerfgerät für umgerechnet fünf Euro aus 400 verschiedenen Teilen und mehr als 100 verschiedenen Materialien zusammengesetzt ist. Niemand denkt groß darüber nach, dass die Bestandteile der meisten Dinge, grob gesagt, Steine und Schlamm sind – Plastik wird aus Öl, Metall aus verschiedenen Erzen gewonnen. Aber das Ergebnis hat optisch mit diesen Bestandteilen nichts zu tun, weil sie hoch spezialisierte Prozesse durchlaufen. Allein für die Herstellung von Polybutylenterephthalat, dem Kunststoff des Toastergehäuses, sind sechs separate chemische Transformationsprozesse nötig.
Thomas Thwaites wollte auf der Schlamm-und-Stein-Stufe beginnen. Das Erz für die stählernen Bestandteile holte er sich beispielsweise aus einer aufgelassenen Erzmine in Gloucestershire, die heute, wie so ziemlich alle Minen in England, ein Museum ist. Moderne Verhüttungsprozesse waren viel zu kompliziert, als dass Thwaites sie im Garten seiner Mutter hätte nachahmen können. Er half sich mit einem Buch aus: De re metallica, ein mineralogisches Traktat von 1556. Den für die Verhüttung nötigen Brennofen konstruierte er aus einem elektrischen Laubsauger, einem Schmuckschornstein aus Terracotta und einem metallenen Mülleimer. Dieser Ofen produzierte einen schlackigen Klumpen, aus dem Thwaites mithilfe eines Mikrowellenherdes schließlich Eisen extrahierte.
Den Glimmer, Trägermaterial für die Heizdrähte des Toasters, schürfte er mit seinem Taschenmesser im Norden Schottlands. Nickel gewann er durch das Einschmelzen kanadischer Münzen, Kupfer für die Kabel aus einem kupferhaltigen Gewässer bei einer ehemaligen Mine in Wales. Er hätte gern Gummi für die Kabelisolierung aus einem alten Gummibaum in den Botanischen Gärten von Kew extrahiert, aber dort drohte man ihm mit einer Anzeige. Nur Rohöl für das Plastikgehäuse war schwierig zu organisieren, jedenfalls in den Kleinstmengen, die Thwaites benötigte, und der Versuch, ein Gehäuse aus Kartoffelstärke zu pressen, scheiterte ebenfalls: Es bekam beim Trocknungsprozess im Garten Risse und wurde von Schnecken angefressen. Letztlich benutzte Thwaites die Plastikhüllen weggeworfener Handys, schmolz sie ein und goss das Gehäuse daraus.
Man könnte Thwaites einen Künstler nennen, einen konzeptualistischen Wissenschaftskünstler. Er selbst bezeichnet sich, weniger pompös, als »Designer eher spekulativen Schlages« und nennt seine Arbeiten auch nicht Kunstwerke, sondern Projekte. Wichtig findet er solche Kategorien ohnehin nicht. »In einer Zeit, in der es eine immer stärkere Spezialisierung gibt, finde ich es gerade spannend, Disziplinen zu vermischen.« Entsprechend gemischt ist auch sein Werdegang: Nach einem abgebrochenen Studium der Computerwissenschaft studierte er Humanwissenschaft am University College London und machte dann einen Abschluss in Kunst und Design am Royal College of Art.
Die Idee zu seinem Toaster-Projekt kam ihm bei der Lektüre des Romans Einmal Rupert und zurück aus der Reihe Per Anhalter durch die Galaxis von Douglas Adams. Da findet sich der Protagonist Arthur Dent auf einem Planeten wieder, der technisch auf einem primitiven Stand ist. Die Bewohner erwarten von Arthur, dass er ihnen etwas über die Technik der Erde beibringt. Aber: »Auf sich allein gestellt, konnte er nicht mal einen Toaster zusammenbasteln. Er konnte ein leidliches Sandwich machen, aber das war auch schon alles.« Ihm sei klar geworden, dass er in einer solchen Situation genauso ratlos wäre, sagt Thomas Thwaites. Die Frage war: Was wäre, wenn man versuchte, ein solches Gerät daheim herzustellen, mit selbst erzeugten Materialien und Werkzeugen?
Die große Frage: »Was wäre, wenn?«
Vor ein paar Monaten erarbeitete Thomas Thwaites für die Wellcome Collection, eine Sammlung medizinischer Artefakte und wissenschaftsbezogener Kunstwerke in London, ein Projekt mit dem Titel Policing Genes. Dabei entwarf er unter Mithilfe einer Kriminologin und eines Genetikers eine Zukunft, in der Privatleute in der Lage sind, Pflanzen im eigenen Garten genetisch zu manipulieren. Man müsste dann, so Thwaites’ Idee, Bienen als eine Art geflügelter Suchhunde ausbilden, um illegal umstrukturierte Pflanzen aufzuspüren. »Das ist gar nicht weit weg von der Realität«, sagt er. »Genetische Manipulation wird immer einfacher. Ich habe kürzlich mit einem Genetiker gesprochen, der die Möglichkeit erforschte, halluzinogene Komponenten von Marihuana in die Gensequenz einer Tomate zu übertragen.«
Die Frage »Was wäre, wenn?« bestimmt Thomas Thwaites’ Arbeit: Was wäre etwa, wenn Kreditkarten aufzeichneten, was man einkauft, und die Bezahlung verweigerten, wenn das Produkt »zu ungesund« ist? Thwaites sucht immer den Rat von Experten, um seine Spekulationen so solide wie möglich wissenschaftlich zu unterfüttern. Um die meisten seiner Projekte wirklich würdigen zu können, muss man allerdings einige Toleranz für konzeptuelle Theorie in Textform mitbringen, aufgelockert von ein paar Fotos und Online-Filmen. Doch jene Arbeit, die Thomas Thwaites bisher die meiste Aufmerksamkeit eintrug, hatte ein handfestes Ergebnis: den Toaster.
Auf den ersten Blick erscheint das Toaster-Projekt in seiner charmanten, sehr englischen Amateurhaftigkeit als ziemlich sinnloses Unterfangen. Schon die Prämisse, alles dafür Notwendige selbst zu erzeugen, wirkt naiv. Was ist zum Beispiel mit dem elektrischen Strom? Müsste man den nicht selbst produzieren, per Dynamo vielleicht? Müsste man nicht auch alle elektrischen Geräte, die man verwendet, selbst konstruieren? Und überhaupt: Warum sollte man einen Toaster selber bauen, wenn man einen viel besseren für ein paar Euro in jedem Kaufhaus bekommt? Es ist doch klar, dass die industrialisierte Gesellschaft auf strikter Arbeitsteilung basiert. »Darum geht es ja unter anderem«, sagt Thomas Thwaites. »In Reinform müsste dieses Projekt damit anfangen, dass man nackt in einer Höhle sitzt und alles selbst macht. Dabei gelangt man rasch zu einem völlig absurden Reduktionismus.«
Das Toaster-Projekt ist in Blogs marktliberaler Kommentatoren als Aufruf zur Rückkehr in vorindustrielle Zeiten angegriffen worden. »Ein Missverständnis«, findet Thwaites, »im Gegenteil, mich ärgert die Heuchelei von Leuten, die sagen: ›Wenn wir nur alle Bauern wären oder im Wald leben könnten, wäre alles gut.‹ Das wollte ich als Unsinn entlarven. Ich bin umweltbewusst, aber man kann nicht mehr völlig autark leben. Andererseits glaube ich auch nicht, dass der Markt alles lösen wird. Solche Romantisierungen bremsen die Debatte, die eigentlich geführt werden müsste.«
Im Zentrum einer solchen Debatte müsste letztlich die Erkenntnis stehen, dass fünf Euro für einen handelsüblichen Toaster einfach zu wenig ist. Der immense Aufwand an Know-how, Ressourcen, Arbeitszeit und Umweltbelastungen, die zu seiner Herstellung nötig sind, spiegeln sich nicht im Preis.
Das Verdienst des Toaster-Projekts ist es deshalb, diesen hochkomplexen industriellen Prozess, bei dem Rohmaterialien aus Brasilien und Australien in China zu einem Wegwerfgegenstand zusammengesetzt werden, auf einen menschlichen Maßstab herunterzubrechen. Es wirkt spielerisch dem entgegen, was Wirtschaftswissenschaftler die »Informationsasymmetrie auf den Konsumgütermärkten« nennen: Die Gedankenlosigkeit, mit der man Gebrauchsgüter zum niedrigsten Preis einfordert, wurzelt vor allem in der Unkenntnis darüber, was in Zeiten des Klimawandels und der Ressourcenverknappung ihr wahrer Preis ist. »Wir müssen künftig darauf achten, dass die Gebrauchsgegenstände, die wir kaufen, länger halten«, fordert Thwaites deshalb.
»Und dass wir ebenso viel Einfallsreichtum und Geld darin investieren, sie auseinandernehmbar und wiederverwertbar zu machen, wie in ihre Herstellung."
Noch eine, nicht ganz unwichtige Frage: Toastet der selbst gebaute Toaster wirklich Toast? »Als ich ihn zum ersten Mal einschaltete, glühte das Heizelement für zwei Sekunden auf«, erzählt Thomas Thwaites, »aber dann ist es zu heiß geworden und geschmolzen.« Das Brot wurde bei diesem Vorgang nur leicht erwärmt. Aber er ist zuversichtlich: »Ich habe das Ding repariert. Jetzt brauche ich nur noch einen Stromanschluss mit 110 statt 230 Volt. Damit wird der Toaster toasten.«
Fotos: Nick Ballon