An der Spielzeugfront

Seit dem Amoklauf von Winnenden diskutiert ganz Deutschland über den Einfluss von Computerspielen. Dabei ist in den Kinderzimmern eine Entwicklung im Gange, die jahrelang völlig undenkbar schien: die Rückkehr des Kriegsspielzeugs. Wie gefährlich sind Plastiksoldaten und Minipanzer wirklich?

Ein neuer Rüstungswettlauf hat begonnen, und keiner hat etwas gemerkt. Die Waffenschmieden entwickeln neue Kriegsmaschinen, die Händler melden hohe Absatzzahlen und die Kunden – tja, die Kunden wundern sich. Es geht um Kriegsspielzeug.

Mit Befremden stehen Eltern, aufgewachsen in den friedensbewegten Siebziger- und Achtzigerjahren, bei Karstadt vor dem Flugzeugträger »Freedom«, der zum Kampfpreis von zehn Euro angeboten wird. Nebenan, am Drehständer mit den Siku-Modellautos, reihen sich Kampfhubschrauber, Panzer und Panzerspähwagen zwischen Polizeiwagen und Müllautos. Bei den Plastikbausteinen dasselbe Bild: Die Lego-Konkurrenten Best-Lock, Mega Bloks und Cobi erobern ein Terrain, von dem sich Lego bisher ferngehalten hat. Aus Mega Bloks lässt sich beispielweise das Minenboot »Gromitz« zusammenstecken, ein »Leopard-2«-Panzer und der Eurofighter »Typhoon«. Cobi stellt eine komplette »Small Army« auf, und auch Best-Lock bietet Mili-tärisches zu Lande, zu Wasser und in der Luft an; Altersempfehlung: ab drei Jahren.

Wer schon etwas älter ist, kann mit den originalgetreuen Militärmodellen der US-Firma Forces of Valor spielen, mit denen sich nicht nur historische Schlachten nachstellen lassen, sondern auch Feldzüge wie »Desert Storm« und »Iraqi Freedom«. Tamiya, die Modellbautochter des Nürnberger Spielwarengiganten Simba-Dickie, bietet Kriegsspielzeug verschiedener Epochen an, oft ferngesteuert und mit realistischen Motorengeräuschen versehen; selbst der Mündungsblitz der Kanone wird simuliert. Sogar die friedlichen – und inzwischen insolventen – Modelleisenbahner von Märklin haben vor zwei Jahren eine »Metal Military Mission« mit Militärgerät im NATO-Look ins Programm genommen.

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Früher wäre all dies allenfalls in Spezialgeschäften erhältlich gewesen. Doch seit ein paar Jahren sickert Kriegsspielzeug im überraschenden Umfang in die Sortimente der Hersteller und etablierten Handelsketten ein. »Mit den Militärmodellen haben wir auf Kundenwünsche reagiert«, erklärt Vera Exter von Siku. »Sie laufen gut und werden eifrig geordert, obwohl wir sie nicht bewerben.«

Torsten Geller, Vorstand von Best-Lock, hat einen grundlegenden Wandel in der Branche ausgemacht: »Die Zustimmung ist eine andere als früher. Vor zwei, drei Jahren hörte ich von den Fachhändlern noch: ›Alles, was mit Krieg zu tun hat, darf ich mir gar nicht ins Regal stellen, das gibt Proteste.‹ Heute ist die Akzeptanz da. Bei den Händlern, die es bestellen, läuft es auch.« Für den Spielzeugmanager ist das eine positive Entwicklung: »Der Umgang damit ist gesünder geworden.«

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Die Industrie mag sich freuen über diesen Trend, doch lautet die wirklich drängende Frage: Nehmen unsere Kinder Schaden, wenn sie mit Kanonen und Flugzeugträgern spielen? Besteht die Gefahr, dass sie Grenzen überschreiten, am Ende gar zu Amokläufern werden? Die Tat von Winnenden hat ein Unbehagen geweckt, das Anne Will ihrer Sendung als Thema gab: »Was läuft falsch im Kinderzimmer?«

Zwar konzentriert sich die Diskussion vor allem auf die Ballerspiele, die sich auf dem Computer des Amokläufers Tim Kretschmer befanden. Doch auch über Tims Sammlung von Softair-Gewehren wurde berichtet – realistisch aussehende Spielzeugwaffen, mit denen man Plastikkügelchen verschießt, erhältlich ab 14 Jahren. Könnte es sein, so fragen sich viele Eltern, dass eine Verbindung zwischen Plastikpanzern, Softair-Gewehren und Ballerspielen besteht – und dass all diese Spiele dazu beitragen, in Kindern Lust an der Gewalt zu wecken?

Warum, so muss man in diesem Zusammenhang fragen, spielen Kinder eigentlich? Es ist ja weit mehr als Zeitvertreib, sie eignen sich beim Spielen essenzielle Fähigkeiten an: Koordination der Bewegungen, logisches Denken, vorausschauendes Handeln, Fähigkeiten wie Selbstvertrauen, Teamwork, Verdauen von Niederlagen. Neue neurobiologische Studien legen nahe, dass sich nur jene Fähigkeiten herausbilden, die tatsächlich trainiert werden, dass dem Kind also nichts wie von allein zufliegt. Entscheidend ist dabei Bewegung.

»Um die wichtigsten neuronalen Schaltkreise im Hirn aufzubauen, brauchen Kinder vor allem eines: eigene Körpererfahrungen«, sagte der Neurobiologe Gerald Hüther von der Uni Göttingen vor einigen Monaten in der Zeitschrift Geo. »Nur wer das richtige Gefühl für seinen Körper entwickelt, kann auch seine kognitiven Potenziale entfalten.« Mit diesem Zusammenhang begründen Forscher wie Gerald Hüther ihre Kritik am Fernsehen und an Computerspielen: Wer immer nur auf den Bildschirm glotzt, lässt sein Gehirn verkümmern, statt es zu trainieren.

Nach der Tat von Winnenden wird jedoch auch wieder verstärkt darüber debattiert, ob der übermäßige Konsum von Ego-Shooter-Spielen wie Counter Strike bei jungen, psychisch labilen Spielern zu Realitätsverlust und emotionaler Abstumpfung führen kann. Viele Forscher sind sich inzwischen einig, dass solche Spiele in Einzelfällen eine ohnehin schon belastete Kinderseele tatsächlich noch weiter beschädigen können. Ähnliche Vorwürfe machte man vor Jahrzehnten schon dem traditionellen Kriegsspielzeug.

Als in den Sechziger- und Siebzigerjahren neu über Kindererziehung nachgedacht wurde, kritisierten viele Eltern das Kriegsspielzeug als Instrument, um autoritäre Machtstrukturen im Denken der Jüngsten zu verankern. Die deutsche Geschichte schien dies zu beweisen: Wer einst mit Zinnsoldaten spielte, wurde nach dieser Sichtweise zum braven Untertan Kaiser Wilhelms, wer kleine Messerschmitt-Bomber fliegen ließ, endete nicht selten an der Ostfront. In der friedensbewegten Bundesrepublik verboten nun viele Eltern ihren Kindern das Kriegsspielzeug, um sie vom Militarismus und NATO-Blockdenken fernzuhalten.

Aus dieser Überzeugung heraus hielt auch der Kinderpsychotherapeut Michael Sostmann aus Stade für seine Spieltherapien keine Soldatenfiguren bereit. Bis ein Junge seine Plastikpanzer und Soldaten einfach von zu Hause mitbrachte. Nach dem Ende der Therapie schenkte er sie der Praxis. Heute berichtet Sostmann von zahlreichen Fällen, in denen diese Armee zum Einsatz kam: wie dem des Siebenjährigen, der um einen chaotischen Soldatenhaufen herum Militär in Reih und Glied antreten ließ: »Er hat versucht, ein Ordnungsprinzip einzusetzen, um etwas für ihn noch Unkontrollierbares in Schach zu halten«, sagt der Psychotherapeut. Ein autistischer Junge baute hingegen immer wieder Schlachten auf: »Sein Thema war es, Abgrenzungen zu ziehen und doch Nähe zuzulassen.«

Kriegsspielzeug mag Sostmann immer noch nicht; »aber darauf verzichten kann ich auch nicht«. Der Siegeszug von Fernsehen und Computerspielen – und die realen Gefahren, die von diesen Medien ausgehen – haben dazu geführt, dass das traditionelle Kriegsspielzeug neu bewertet wird. Hielt man es früher für einen Vorboten des Militarismus, so sieht man heute eher die positiven Seiten: Mit diesen Plastikpanzern, Soldaten und Gewehren lässt sich fantasievoll spielen, ganz gleich, ob Kinder Schlachten nachbauen, einen ferngesteuerten Spähwagen durchs Wohnzimmer fahren lassen oder mit Plastikpistolen durch den Park rennen, um sich gegenseitig abzuknallen.

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»Mit Figuren können Kinder wenigstens kreativ spielen«, meint Günther Gugel vom Institut für Friedenspädagogik in Tübingen, »anders als mit Videospielen und ihren vorgegebenen Abläufen.« Problematisch wird es nach Ansicht Gugels nur dann, wenn mit Kriegsspielzeug exzessiv gespielt wird, dazu eine schwierige Familiensituation kommt, »und die Figuren durch mediale Strukturen ergänzt werden«. Also: Kriegsspielzeug plus Ballerspiel plus Actionfilm plus Einsamkeit oder Gewalt in der Familie – daraus wird ein gefährliches Gemisch.

»Von Spielzeugwaffen ist es dann nur ein kleiner Schritt zu den Softair-Waffen, von denen auch Tim Kretschmer ein Fan war«, sagt Günther Gugel. »Die sind dann häufig der Einstieg, reale Waffen auszuprobieren.« Wenn die Familie in Ordnung ist und der Freundeskreis auch, müsse man das gelegentliche Spielen mit Kriegsspielzeug jedoch nicht als beängstigend einschätzen. Der Pädagoge Gugel: »Das wächst sich in der Regel wieder aus.«

Bleibt noch die Frage, warum das Kriegsspielzeug ausgerechnet jetzt ein Comeback feiern kann. »Kinder spielen das nach, was in der realen Welt auch vorhanden ist«, sagt Gugel. »Und unsere Nation ist nicht so friedlich, wie wir das gern glauben möchten. Deutschland liegt weltweit auf Platz sechs bei den Militärausgaben, auf Platz drei bei den Rüstungsexporten.«

In der Tat fällt auf, dass einiges von dem Kriegsspielzeug optisch und inhaltlich an die aktuellen Kriege der US-Armee und die Auslandseinsätze der Bundeswehr angelehnt ist. Über die Entsendung von Bundeswehr-Truppen nach Afghanistan, 2001 vom Bundestag beschlossen, besteht bis heute ein breiter politischer und gesellschaftlicher Konsens – offensichtlich reicht dieser bis ins Kinderzimmer.
Längst ist nahezu das komplette Arsenal unserer Afghanistan-Truppen in Spielzeuggröße erhältlich. Von Märklin gibt es den Transportpanzer Fuchs für um die zwanzig Euro, der Hersteller Battlefront bietet das »Allschutz Transportfahrzeug« Dingo für die Hälfte an. Zwei Soldaten sind im Preis inbegriffen.

Foto: Attila Hartwig