Immer hübsch mitmachen

Bei der Netzaktion #ChallengeAccepted nominieren Frauen andere Frauen, um sich gegenseitig zu unterstützen – dafür posten sie unter anderem hübsche Schwarz-Weiß-Fotos von sich selbst. Untergraben sie damit nicht genau das, was sie erreichen wollen: ein anderes Frauenbild?

Drei von Millionen Instagram-Posts von #ChallengeAccepted. Hier von (von links) Cindy Crawford, Judith Rakers und Victoria Beckham.

Zu den weniger schönen Erkenntnissen im Leben als Frau gehört, dass man immer etwas falsch macht, egal, wie man es macht. Irgendjemand weiß stets: Dieses oder jenes hättest du aus diesem oder jenem Grund nicht so, sondern anders machen müssen. Nirgendwo ist man davor sicher – auch im Internet nicht. Das hat gerade erst wieder eine Aktion gezeigt, die sich in den vergangenen Tagen auf Instagram, zum Teil auch auf Facebook, unter dem Hashtag #ChallengeAccepted rasend schnell verbreitet hat und es weiter tut. Models, Schauspielerinnen und Designerinnen machten mit, etwa Cindy Crawford, Jennfer Aniston, Victoria Beckham. Ebenso deutsche Prominente wie Judith Rakers, Nazan Eckes und Dunya Hayali.

Sechs Millionen Fotos von Frauen (Stand Donnerstagmittag) findet man bei Instagram unter dem Hashtag, dessen Schlagwort übersetzt »Herausforderung angenommen« bedeutet. Die Idee: Frau postet ein Schwarz-Weiß-Selfie von sich und nominiert in der Bildunterschrift eine oder mehrere Frauen, die sie in ihrem Leben unterstützen. Diese Frauen wiederum nominieren andere Frauen, und so geht es immer weiter. Es ist das alte Kettenbrief-Prinzip, verbunden mit einem wichtigen Anliegen der Frauenbewegung: Zusammenhalt, füreinander einstehen, andere Frauen stark machen. 

Viele Frauen haben unter ihrem Bild deshalb auch den Hashtag #womensupportingwomen verwendet. Andere haben kleine Liebeserklärungen an Freundinnen, Kolleginnen, Chefinnen verfasst, manche an ihre Mütter. Teilweise wurde unter den Bildern gefordert, Frauen sollten netter zueinander sein. In dieser Forderung schwingt der Vorwurf mit, Frauen würden sich ständig gegenseitig fertigmachen. Man hätte hinterfragen können, ob das womöglich längst ein Klischee ist, dessen Weiterverbreitung nur denen nützt, die wollen, dass Frauen einander ihr Glück nicht gönnen.

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Aber eine andere Frage rückte schnell in den Mittelpunkt: Wieso sollte man ausgerechnet Selfies posten, wenn es um female empowerment geht, fragten die einen. Warum nicht, entgegneten andere. Die Argumente der Kritikerinnen (es diskutierten natürlich und leider fast ausschließlich Frauen) fasste die Journalistin Taylor Lorenz in einem Artikel für die New York Times zusammen: »Für die Fotos wird oft posiert, es werden Filter eingesetzt und die Bilder sind aus einem schmeichelhaften Winkel aufgenommen.«

An Dramatik gewann das Thema, als plötzlich die Information kursierte, der Ursprung von #ChallengeAccepted liege in der Türkei, eigentlich hätte man damit auf die Tötung von Frauen in dem Land hinweisen wollen. Instagram hat das inzwischen dementiert: Beim Nachverfolgen des Hashtags sei man in Brasilien gelandet. Begonnen hat #ChallengeAccepted wohl mit der Journalistin Ana Paula Padrão, die ein schwarz-weißes Selfie postete.

Was bleibt, ist Uneinigkeit und der Vorwurf: Am Ende ging es #ChallengeAccepted weniger um das wichtige, durch und durch feministische Anliegen zusammenzuhalten, als um die einzelne Frau und ihre persönliche Eitelkeit. Das wäre ein bitteres Fazit.

Andererseits beruhen die Idee und der Erfolg von Instagram genau darauf, Likes in Form von Herzen zu sammeln. Und kaum etwas tut das so zuverlässig wie ein schönes Foto, erst recht, wenn darauf ein freundlich-attraktives Gesicht zu sehen ist. Das erklärt, warum Millionen Frauen ausgerechnet Selfies für die #ChallengeAccepted-Aktion wählten. Es erklärt auch, warum auf den meisten dieser Bilder ein leicht schief gelegter oder geneigter Kopf zu sehen ist und fast immer ein Lächeln: Beides entspricht dem Frauenbild, das in visuellen Medien seit jeher dominiert. Ein Bild, das Frauen im Lauf ihres Lebens oft verinnerlichen und es reproduzieren, manchmal ohne zu wissen, welche Botschaft sie damit senden.

Beobachtet hat das schon Ende der 1970er-Jahre der US-amerikanische Soziologe Erving Goffman. Er untersuchte Werbeanzeigen, um zu sehen, welche weiblichen und männlichen Rollenbilder sie transportieren. Dabei fand er unter anderem heraus, dass Frauen meistens lächelnd und mit schief gelegtem oder leicht geneigtem Kopf gezeigt wurden. Ähnliche Untersuchungen haben bis heute immer wieder zu ähnlichen Ergebnissen geführt, nur dass stereotypen Darstellungen im Vergleich zu damals drastisch zugenommen haben. Über verschiedene Kulturkreise hinweg werden beide Gesten als Zeichen von Harmlosigkeit, Gefälligkeit und Unterwerfung interpretiert, sagen Wissenschaftler.

Sich körperlich kleiner zu machen, als man ist, freundlich zu schauen, das signalisiert tatsächlich erst mal: Von mir geht keine Bedrohung aus. Warum ausgerechnet Frauen selbst zu diesem harmlosen Image beitragen, darunter eben auch viele Frauen, die sich explizit als Feministinnen verstehen, das macht ratlos.

Im Fall eines Selfies ist es immer auch eine Aussage darüber, wie wir Frauen uns selbst gerne sehen und zeigen wollen

Müsste es nicht anders sein in einer Zeit, in der man weiß, wie wichtig Bilder bei der Verbreitung von Rollenzuschreibungen sind, fragt man sich. In einer Zeit, in der Frauen immer lauter fordern, dass man sie nicht auf ihr Aussehen, auf ihr Gesicht und auf ihren Körper reduzieren soll. Es hätte bei #ChallengeAccepted andere Möglichkeiten gegeben. In der Praxis haben sie nur wenige Frauen genutzt. Statt eines Selfies posteten sie Bücher von Autorinnen, deren Arbeit sie bewundern. Von Frauenrechtsorganisationen, deren Anliegen sie teilen. Fotos eigener beruflicher Erfolge. Manchmal stand in der Bildunterschrift, dass sie keine Lust hätten, ihr Gesicht zu zeigen, denn ihr Gesicht hätten sie bei der Geburt mitbekommen – ein Zeichen für ihre Stärke und für weiblichen Zusammenhalt sei es für sie nicht.

Die Kritik an der Verwendung von Selfies fanden die Befürworterinnen der Aktion spitzfindig. »Weniger Terz, mehr Herz«, antworten manche genervt oder bedauerten, eine wichtige Sache werde hier – mal wieder – kaputtgeredet. 

Aber ein Bild ist eben nie nur ein Bild. Im Fall eines Selfies ist es immer auch eine Aussage darüber, wie wir Frauen uns selbst gerne sehen und zeigen wollen – nämlich durch die Augen einer männlich geprägten, patriarchalen Gesellschaft. Dass man als Frau von Strukturen genug hat, die das eigene Geschlecht kleinhalten – man aber gleichzeitig nicht aus der Logik herauskommt, Stereotype zu bedienen, um seinem Anliegen Gehör zu verschaffen – das ist das Deprimierende an dieser Instagram-Aktion. Aber eben auch das Interessante. Es stellt uns Frauen (aber auch jeden Mann, der etwas im Sinne von Frauen bewegen will) vor die Frage, wie man Anliegen von Frauen so vermitteln kann, dass sie den Frauen nützen und nicht jenem System, gegen das man sich positioniert.

Die amerikanische Schriftstellerin und Aktivistin Naomi Wolf hat das Problem, um das es im Kern geht, in »The Beauty Myth. How Images of Beauty Are Used Against Women« beschrieben (»Der Mythos Schönheit«, auf Deutsch nur noch antiquarisch erhältlich). Das Buch ist vor 30 Jahren erschienen und geht der Frage nach, wie Darstellungen von Weiblichkeit gegen Frauen verwendet werden. Das meiste, von dem, was Naomi Wolf beschreibt, gilt bis heute, auch eine ihrer Schlussfolgerungen. Junge Frauen seien bereit, für alte feministische Ziele zu kämpfen; auch in einer Zeit, die neue Herausforderungen für Frauen bringe: »Diese Bewegung muss sich dann aber mit den Widersprüchen auseinandersetzen, die Anpassung mit sich bringt.«

Die Instagram-Aktion #ChallengeAccepted steht für einige dieser Widersprüche. Deshalb ist die Kritik an der Verwendung von Selfies genauso wichtig wie die Verteidigung der Bilder. Beides zeigt, dass eine Diskussion stattfindet. Das Schlimmste, was dabei passieren kann, ist, dass man übereinander redet oder aufeinander losgeht: »Ihr habt es falsch gemacht!« – »Nein, ihr!« Das Beste wäre eine ehrliche und selbstkritische Unterhaltung darüber, wie man die Anliegen von Frauen anders rüberbringen und durchsetzen könnte, sollte, vielleicht sogar müsste, damit am Ende tatsächlich etwas vorangeht. Denn das ist das Ziel, das uns verbindet, trotz aller Unterschiede.