An einem harmlosen, ungesunden Abend saßen wir bei einem Freund in der Küche und spielten Schafkopf, ein bayerisches Kartenspiel, das schwer zu lernen ist, einmal gelernt aber leicht genug von der Hand geht, um nebenbei trinken und essen zu können, aber nicht reden oder denken zu müssen. Eine faule Alltagsflucht, mit Maximaldistanz zum Weltgeschehen. Bis der Gastgeber zu später Stunde aus dem Kühlschrank ein Stück geräucherten Schinken holte. Es sah aus wie Donald Trump.
Die fette Frisur, das fleischige Gesicht, der brüllende Mund, kein Zweifel. Und doch mussten die Mitspieler am Tisch erst auf die Ähnlichkeit hingewiesen, mancher gar mühsam überzeugt werden. Auch im sofort enthusiastisch herumgeschickten Bild vom Schinken sahen einige Adressaten zu meinem Unverständnis nur ein Stück Geräuchertes. Sieht lecker aus, meinten sie immerhin.
Ich sehe was, was du nicht siehst. Erste Frage: Was ist bloß los mit den Leuten, die hier nicht Trump sehen? Zweite, viel gruseligere Frage: Was ist bloß los mit mir, dass ich ihn sehe? Warum findet mich, wonach ich gar nicht gesucht habe?
Erste beruhigende Antwort: weil ich ein Mensch bin. Und der Mensch, erklärt mir der Münchner Kommunikationswissenschaftler Thomas Zerback, sei ein soziales Wesen, das sich auf die evolutionär geschärfte Fähigkeit verlassen müsse, die Gesichter seiner Mitmenschen zu erkennen.
Manchmal übertourt die Wahrnehmung aber, und man sieht Gesichter, wo keine sind. In Auto-Fronten oder Häuserwänden etwa, oder in Kleiderhaken, deren versetzt platzierte Schrauben aussehen wie besoffene Augen: das Drunk-Octopus-Phänomen. Der blumige Fachbegriff dafür, sagt Zerback, laute Gesichtspareidolie.
Von da ist der Weg nicht weit zu Gesichtsparanoia: Warum sehe ich nicht irgendein Gesicht, sondern das des US-Präsidenten?
Weil ich besessener von Trump bin als die meisten. Karl Gegenfurtner, Wahrnehmungspsychologe an der Universität Gießen, sagt: »Als Journalist sind Sie vermutlich mit noch mehr Bildern von ihm konfrontiert als der Rest der Welt. Das führt zu einer sehr starken Präsenz in Ihrem Gehirn, zumindest in den visuellen Bereichen.« Mein Unterbewusstsein ist also von einer Überdosis Trump vergiftet.
Das liegt ironischerweise zu einem Teil auch an Bildern, die an Trump nur erinnern, statt ihn zu zeigen. Da ist die trumpig blonde und kräftige Bäuerin Dolores Leis Antelo, die in einer spanischen Regionalzeitung arglos über die Kartoffelernte klagte, bevor sie als Doppelgängerin viral ging. Da ist eine Wolke in South Carolina, deren Umrisse Trump glichen und die im Internet ausgiebig kommentiert wurde. Da ist das Foto der Zyste im Ohr eines englischen Beagles, die ob ihrer Fleischigkeit und wegen der hellen Ohrhaare aussieht wie das Präsidentengesicht.
»Neurone im Gehirn reagieren spezifisch auf Features, die Donald Trump visuell definieren. Die Gesichtsfarbe etwa, und vor allem die Form und Farbe seiner Haare«, sagt Gegenfurtner. So benötigt der Illustrator Edel Rodriguez, der mit seinen Zeichnungen im Spiegel bekannt geworden ist, für seine Trumps lediglich einen orangefarbenen Kreis mit gelber Haube. Einen Mund haben diese Figuren zwar, aber sie brauchen nicht einmal Augen, um identifiziert zu werden. Die Schlichtheit von Trump wird nur noch übertroffen von der seiner Darstellung.
Trump gehört fraglos die politische Aufmerksamkeit, das liegt an seiner Macht, seinem Twitter-Konto, seinen erratischen Entscheidungen. Seiner ikonischen Frisur aber hat er zu verdanken, dass er auch die unpolitischen Internet-ecken erobert. Es gibt diverse Webseiten, die sich einzig mit Trumps Frisur beschäftigen. »38 Hilarious Things That Look Just Like Donald Trump’s Magical Hair« etwa: Ein Maiskolben gehört dazu, diverse Vögel, Hunde und Katzen, ein Stück Sushi, eine Damenbinde, ein Chicken Nugget.
Ob wir wollen oder nicht: Trump nimmt auf der Datenbank unseres Gehirns breitbeinig Platz. Und je öfter die vielen Kritiker und Kommentatoren seine Frisur mit der eines Goldfasans oder mit einer Speckschwarte vergleichen (und darüber schreiben), desto breiter wird dieser Sitzplatz. Bis der Mann auf einmal selbst beim Schafkopfen dabei ist.
Er ist natürlich nicht der erste Politiker, der seine Haare zum Alleinstellungsmerkmal frisiert hat. Der Hamburger Designer Johannes Erler sagt: »Da ist zum Beispiel der Kreis mit dem eckigen Punkt in der Mitte, wenn man im Appstore eine App lädt. Der eckige Punkt sitzt dort, wo ein Mensch seinen Schnauzer im Gesicht hat. Und wenn der Ladebalken zu laufen beginnt, dann derart, dass bei zwölf Uhr beginnend der dünne Kreis durch einen dicken Balken im Uhrzeigersinn ersetzt wird, und bei 15 Uhr sieht das Gesamtgebilde aus wie der Kopf von Adolf Hitler.« Der Kreis als Kopf, das Quadrat als Bärtchen, der Downloadfortschritt als Seitenscheitel, fertig ist der Führer.
Wir hätten das Erkennen gelernt, sagt Erler. Höhlenmalerei, Hieroglyphen, Gaunerzinken, Strichmännchen, die Darstellung von Sportarten, da gebe es eine lange Liste von Beispielen, wie komplexe Zusammenhänge oder Dinge mit einem einzigen Zeichen ausgedrückt werden. Heute sähen wir ständig simple Symbole, in Bedienungsanleitungen, in Infografiken und vor allem auf den Displays unserer Smartphones. »Wenn wir ständig bewusst und unbewusst Vereinfachung trainieren, erkennen wir Piktogramme, die gar nicht als solche gedacht sind. Und plötzlich ist Donald Trump in diesem Schinken. Ich sehe ihn da ja auch. Der ist sicherlich ganz froh, dass wir ihn da entdecken. Jede PR ist gute PR.« Man würde dazu gern die Birne Helmut Kohl befragen.
Aber Trumps forcierte Allgegenwart ist nicht nur kurios, sie ist auch gefährlich. Thomas Zerback, der Kommunikationswissenschaftler, erklärt das am »Mere-Exposure-Effekt«: Je häufiger wir mit einem Menschen konfrontiert werden, desto sympathischer wird er uns. Der Effekt beruht auf »perzeptueller Geläufigkeit«: Das Gehirn stuft oft gesehene Bilder als vertraut ein, und Vertrauten traut man. Aus dem Geräucherten blickt mir dann kein unheimlicher Feind entgegen, sondern ein heimlicher Freund.
Mein Geist ist nicht willig, aber das Fleisch ist zu stark? Völlig ausgeliefert sind wir Trump dann doch nicht. Die bewusste Bewertung kann den unbewussten Effekt durchaus überlagern. Zudem lässt sich der Mere-Exposure-Effekt irgendwann nicht mehr steigern. Im Gegenteil: »Zu viele Wiederholungen können zu Reaktanz führen, das kennt man aus der Werbung«, sagt Zerback. Ab einem bestimmten Punkt sei man gelangweilt oder genervt von der Dauerpräsenz, den gesamten Wirkungsverlauf müsse man sich wie ein umgedrehtes U vorstellen.
Ein umgedrehtes U. Ich habe es mir während des Gesprächs mit Zerback groß in den Notizblock gemalt. Und wie es da so griesgrämig steht und hängenden Mundwinkeln ähnelt, braucht es eigentlich nur noch eine grobe Topffrisur und zwei müde Augen, und zack: Angela Merkel.