Zum Anhimmeln

Was geht in jemandem vor, der sich in einen Star verknallt? Unsere Autorin hat darüber einiges zu sagen, was sie einst auch Robert De Niro gern gesagt hätte.

Robert De Niro in Taxi Driver.

Foto: Imago Stock&People

Neulich Abend, es ging um Silver Linings mit Jennifer Lawrence und Bradley Cooper, in einer Nebenrolle Robert De Niro. Die Tochter einer Freundin rief: »Ich liebe Robert De Niro!« Sie ist zwanzig. Sie kennt De Niro aus Filmen, in denen er den spießigen Schwiegervater im Opa-Alter spielt. Ich dachte, irre, dass man den als junge Frau immer noch toll finden kann. Wobei sie ziemlich sicher bloß den Schauspieler meinte. Anders als bei mir damals.

Es war grenzwertig. Ich fiel nicht in Ohnmacht, wenn ein Film mit Robert De Niro lief, ich hätte auch nicht gekreischt, wenn ich ihn über einen roten Teppich hätte laufen sehen, aber ich rutschte, je mehr ich mich mit ihm beschäftigte, immer stärker in ein Gefühl von: Würden wir uns von Angesicht zu Angesicht begegnen, es würde etwas Besonderes passieren. Ich sah ihn nur im Fernsehen oder auf der Leinwand, aber ich spürte eine Anziehungskraft, von der ich mir nicht vorstellen konnte, dass ich dafür allein verantwortlich war.

Ich wuchs in einer Kleinstadt am Nieder­rhein auf. Dort ging man, wenn man jung war, donnerstags ins »Filmforum«, da liefen Klassiker wie Einer flog über das Kuckucksnest, Was Sie schon immer über Sex wissen wollten, Die 120 Tage von Sodom. Und Taxi Driver, De Niro in der Rolle des Travis Bickle, der sich im Laufe des Films die Haare zum Irokesen rasiert und ziemlich krass drauf ist, mir zu krass damals.

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Ich sah den ersten De-Niro-Film also zufällig, aber ich war angefixt. Mir wurde wichtig, Filme an dem Tag zu sehen, an dem sie in Deutschland anliefen, ich blieb während des Abspanns sitzen, merkte mir die Namen von Schauspielern und Schauspielerinnen und Regisseuren (damals waren kaum Frauen darunter) und empfand die Oscar-Nacht, die man natürlich durchmachte, als einen Höhepunkt des Jahres.

1981 gewannt Robert De Niro den Oscar für Wie ein wilder Stier. Einen Boxfilm, der viel mehr war als ein Boxfilm. Ich las, dass De Niro in kurzer Zeit dreißig Kilo zugenommen hatte, dass er ein sogenannter Method Actor war, also hinter einer Rolle verschwand, und tatsächlich sah er in Wie ein wilder Stier kein einziges Mal hübsch aus. Aber er war interessant, so interessant. Bei der Oscar-Verleihung sah er dann auch wieder hübsch aus, dankte seinen Eltern dafür, dass sie ihn bekommen hatten, und seinen Großeltern dafür, dass sie seine Eltern bekommen hatten. Ich fand ihn süß.

Ich begriff, dass De Niro ein großer Künstler war. Und dass Filme über den Vietnamkrieg wie Taxi Driver und Die durch die Hölle gehen große Kunst waren

In meiner WG in Hamburg gab es dann einen Videorekorder. Damit holte ich die Siebzigerjahre nach und guckte so viele De-Niro-Filme, wie ich kriegen konnte. Der Pate II, De Niro unfassbar gutaussehend. Hexenkessel, ein ganz junger, durchgeknallter De Niro als Johnny Boy. Die durch die Hölle gehen, einer der besten ­De-Niro-Filme überhaupt. Bloody Mama, nicht so mein Fall, vielleicht habe ich ihn auch nicht verstanden. Inzwischen verstand ich aber Taxi Driver. Ich begriff, dass De Niro ein großer Künstler war. Und dass Filme über den Vietnamkrieg wie Taxi Driver und Die durch die Hölle gehen große Kunst waren. Sie schafften es, einen so gefangen zu nehmen, dass man nur mit Mühe wieder in die Gegenwart fand.

Ich habe mich später manchmal gefragt, warum es Bernardo Bertoluccis Epos 1900 war, in dem mir Robert De Niro so gut gefiel, dass aus Bewunderung und ein bisschen Schwärmerei etwas Manisches wurde. De Niro als Alfredo, verwöhnter Sohn des italienischen Gutsherrn, liebt sein gutes Leben, seine polierten Stiefel, seine schöne Frau, und unternimmt nichts gegen den Faschismus, während sein bester Kinder- und Jugendfreund, gespielt von Gérard Depardieu, ein Bauer, ein Kämpfer, ein Held ist. De Niro spielte also den Antihelden, albern, herzlich, oberflächlich, alles andere als perfekt, aber doch so liebenswert. Vielleicht war es genau das: Alles andere als perfekt, so fühlte ich mich damals auch. Und Verliebtheit ist ja nichts anderes als eine Projektion. Die Verlagerung eigener Themen auf andere Personen.

Ich war Anfang zwanzig und hätte die beste Zeit meines Lebens haben sollen. Aber ich hing durch, war frisch getrennt, neu in der großen Stadt, die Freiheit, die ich mir vom Umzug nach Hamburg versprochen hatte, war in Einsamkeit umgeschlagen. Doch ich hatte eine gewisse Übung darin, mich aus einer unzulänglichen Realität zu retten. Ich war immer gern in Geschichten versunken, die in Amerika spielten, mit zwölf war ich ab­wechselnd verliebt in Winnetou (im Buch) und Old Shatterhand (im Film) gewesen.

Robert De Niro kam mir gerade recht. Ich fieberte neuen Filmen mit ihm entgegen, guckte die alten wieder, suchte nach US-Magazinen, in denen etwas über ihn stand, durchkämmte Buchläden und fand eine Biografie, die, wie ich heute vermute, un­autorisiert war, weil De Niro Interviews immer hasste und nie etwas über sein Privatleben erzählte. Also stand leider wenig drin, seine Filme halt, Preise, dass er wie sein Freund Martin Scorsese, in dessen Filmen er die Hauptrollen spielte, in Little Italy in New York aufgewachsen war, seit 1976 mit Diahnne Abbott verheiratet war und mit ihr einen Sohn hatte.

Dann kam Es war einmal in Amerika ins Kino. Riesenleinwand, vier Stunden. Nicht der beste De-Niro-Film, aber De Niro überlebensgroß. Eintauchen. Nähe. Ungestörtheit. De Niro spielte Noodles, Kopf einer Gangsterbande in der Lower East Side in den Zwanziger- und Dreißigerjahren. Prohibition, Alkoholschmuggel, Männerfreundschaft, Verrat. Und die unauslöschliche Liebe zu einer Frau, die sich von ihm abwendet, als klar wird, dass er nicht den rechten Weg gehen wird (wofür ich im Gegensatz zu ihr natürlich Verständnis hatte), die er viele Jahre später in einer großen Szene in ein Restaurant einlädt, das er vollständig reserviert hat (was mich als Geste umgehauen hat), und die er am Ende dieses Abends für immer verliert, weil er sie ver­gewaltigt.

Ich dachte ernsthaft da­rüber nach, eine Biografie über ihn zu schreiben, eine bessere natürlich als die, die ich hatte, so könnte ich versuchen, ihn kennenzulernen

Der Film war brutal, aber noch brutaler war, dass er irgendwann zu Ende war. Hätte es eine weitere Vorstellung gegeben, ich hätte mir noch eine Karte gekauft. Ich litt mit Noodles und verzieh Robert De Niro, ich dachte, wie verzweifelt muss er sie geliebt haben, dass er sich dazu hat hinreißen lassen – so sah ich das damals, was mich heute erschreckt –, alles vermischte sich, ich war im Film, das sagt man ja auch so in der Psychotherapie, wenn man aus seiner gefühlten Wahrheit nicht rauskommt. Ich dachte ernsthaft da­rüber nach, eine Biografie über ihn zu schreiben, eine bessere natürlich als die, die ich hatte, so könnte ich versuchen, ihn kennenzulernen.

Kurz danach flog ich mit einer Freundin nach New York. Nicht wegen Robert De Niro, sondern weil Urlaub in New York so ziemlich das Coolste war, was wir uns vorstellen konnten. In einem Reisemagazin über New York las ich, welche Promis in welchen Bars gesichtet wurden. Wir wohnten in einem Hotel am Washington Square Park. Die Bar, in der ­Robert De Niro angeblich ständig abhing, lag am anderen Ende der Stadt, nordwestlich des Central Park.

Es war dunkel, als ich zur U-Bahn ging. Meine Freundin war nicht mitgekommen, sie fand, dass ich übertreibe. Ich musste um­steigen, es dauerte ewig, ich lief durch ein fast menschenleeres Viertel und fand die Bar, die auch fast menschenleer war. Ich stellte mich an den Tresen und bestellte ein Bier. Ich fühlte mich mutterseelenallein. Mit jedem Schluck wurde es schlimmer. Das alles war plötzlich gar nicht mehr lustig. Ich hatte das Gefühl, mir stünde auf die Stirn geschrieben, warum ich hier war. Es war schrecklicher, als versetzt zu werden. Ein Scheißabend. Aber auch: das Ende der Projektion.

In den folgenden Jahren schaute ich Die Unberührbaren und Brazil und GoodFellas und bewunderte De Niro weiter, doch nun war ich auch offen für andere gute Typen. Ich wurde William-Hurt-Fan, Sean-Penn-Fan, Nick-Cave-Fan, Jeffrey-Lee-Pierce-Fan. So weit wie bei Robert De Niro ging die Liebe zu einem Star allerdings nie mehr.