Im deutschen Pop zu verstehen, sollte man sich ihm vom Ausland aus nähern. In einem vietnamesischen Imbiss auf dem East Broadway in New York zum Beispiel, in jenem Teil von Chinatown also, in dem der Anteil Englisch sprechender Gäste in Lokalen eher gering ist.
Da lief an jenem Nachmittag eine CD der deutschen Popgruppe Modern Talking – zur Freude der Besucher. Die konnten es nicht recht verstehen, dass der deutsche Gast ihre Begeisterung für das metallische Flirren aus den Achtzigerjahren nicht teilte. So wie man im Ausland dieses reflexhafte Staatsangehörigkeitsschämen der Deutschen nicht versteht. Genau dazwischen liegt das Problem der Deutschen mit dem Pop. Mit dem eigenen Pop. Es ist ja nicht so, dass Deutschland keine Popgeschichte hätte. Brecht und Weill waren einst Weltstars, die Babelsberger Filmstudios konnten es bis in die Dreißigerjahre mit Hollywood aufnehmen, und Marlene Dietrich war einer der größten Popstars der Geschichte.
Mit den Nazis war es dann allerdings vorbei. Zum einen, weil eine ganze Generation kreativer Köpfe im Lager oder im Exil endete. Zum anderen, weil das Faible der Nazis für Massenspektakel und neue Medien im deutschen Bürgertum ein tief sitzendes Misstrauen gegen jede Form kulturellen Populismus zementierte, von dem sich die Pop-Nation Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg nie wieder erholte.
Geblieben ist ein Kulturpessimismus, der von der Ablehnung des Rock ’n’ Roll über den Widerstand gegen das Kabelfernsehen bis hin zur ideologischen Verteufelung des Internets reicht. Deutschland ist das einzige Land der Erde, wo die Grenze zwischen ernster und unterhaltender Kultur, zwischen E und U, noch immer eine gesellschaftlich relevante Trennlinie zwischen angeblichem Bildungsbürgertum und vermeintlichen Unterschichten ist.
Nun unterschieden sich die deutschen Hitparaden, Kinocharts und Bestsellerlisten meist nicht weiter von denen anderer Länder – eine Mischung aus lokalen und internationalen Größen, vor allem amerikanischen Stars, Hits und Bestsellern. Es gibt in der Popmusik zum Beispiel auch immer wieder deutsche Untergrundphänomene, die im Ausland punkten, wie die Einstürzenden Neubauten, The Notwist oder ein paar DJs aus der Electroszene.
Da allerdings bewegt sich der Erfolg in ähnlichen Dimensionen wie im Fall des deutschen Films: Was hierzulande als internationaler Erfolg gefeiert wird, ist meist nur ein guter Lauf in ein paar Filmkunstkinos in Paris, London und New York.
Spielt man dagegen Ausländern deutsche Lokalgrößen vor, so erntet man nur Unverständnis. Grönemeyer, Lindenberg, Bushido oder Die Toten Hosen klingen in ausländischen Ohren so ungelenk und bemüht wie für uns vergleichbare Rock- und Pop-Kopien aus popkulturellen Schwellenländern wie Bulgarien, Spanien oder Israel.
Bleiben die wenigen deutschen Pop-Exporte von Bedeutung. In der Literatur beschränkt sich das auf Achtungserfolge. Die erfolgreichsten deutschen Filmer wie Wolfgang Petersen, Roland Emmerich oder Marc Forster landen allesamt in Hollywood, können also nicht mehr als spezifisch deutsch gelten. Und die relevanten deutschen Popstars kann man buchstäblich an einer Hand abzählen: Kraftwerk, Scorpions, Modern Talking und Rammstein. Mit Ausnahme von Kraftwerk allesamt Bands, für die sich Deutsche gern schämen.
Was die deutschen Erfolge im Ausland so unangenehm für viele Deutsche macht, ist die Tatsache, dass der deutsche Pop im Ausland nur dann funktioniert, wenn er die Erwartungen bedient, die das Ausland an Deutschland hat.
Kraftwerk waren die Inkarnation des Landes der Ingenieure und Techniker. Modern Talking verkörperten eine Konsumwelt, die gerade im kommunistischen Osteuropa als Projektionsfläche funktionierte, weil diese Konsumwelt zwar im Westen lag, aber nicht in den USA, die damals ihre Atomraketen auf den Osten gerichtet hatten.
Die Scorpions und Rammstein schließlich spielen auf unterschiedliche Weise mit dem Barbarenimage der Deutschen, jener Mischung aus bedrohlicher Theatralik und bierseligem Machismo, die auch Arnold Schwarzenegger und Ralf Möller zu Hollywood-Ruhm verhalf.
Für den Rest der Welt ist das immer wieder eine exotische Note im komplexen Gefüge des Pop. Für die Deutschen allerdings ist es vor allem eine Erinnerung daran, dass die sechzig Jahre als Teil des Westens nur ein Zwischenspiel waren. Deutschland ist ein Land in Zentraleuropa. So ist bei uns Pop auch immer Importware und der eigene Pop ein schwieriges Exportgut. Vor allem, wenn wir versuchen, der Welt eine Kopie anzudrehen.
(Andrian Kreye hat 20 Jahre lang in den USA gelebt und gearbeitet, heute leitet er das Feuilleton der Süddeutschen Zeitung.)