Gibt es ein richtiges Leben im falschen? Und was ist noch mal gleich das richtige? Diesen Adorno-Moment kennt jeder, der schon mal vorm Altglascontainer vom leisen Zweifel gepackt wurde: Bringt das alles überhaupt noch was in einer Welt, die sich einer apokalyptisch anmutenden Zukunft verschrieben hat mit Klimawandel, Flüchtlingswellen und fortschreitender Umweltzerstörung? Oder ist eh schon alles egal? Muss nur jeder seinen kleinen bescheidenen Beitrag leisten oder braucht es nicht doch eher eine große, allumfassende Revolution, um den Lauf der Dinge zu ändern? Und was geht das eigentlich mich persönlich an?
Über diese Fragen streiten im SZ-Magazin Stephan Lessenich und Harald Welzer. Beide zählen zu den renommiertesten Soziologen Deutschlands, beide setzen sich seit Jahren kritisch mit Konsumkultur und Wachstumswirtschaft auseinander. Man darf sie also durchaus als Aktivisten bezeichnen. Der größte Unterschied: Welzer hält weder Politik noch Wissenschaft für innovativ, singt das Hohelied der Nichtregierungsorganisationen und hofft auf eine kapitalismuskritische Graswurzelrevolution. Lessenich dagegen glaubt noch an die Gestaltungskraft von Politik, wenn sie nur radikal genug wäre. Er hat kürzlich eine Partei mitgegründet. In seinem Buch Neben uns die Sintflut beschreibt Lessenich die Verantwortung westlicher Gesellschaften am Klimawandel und an globaler Ungleichheit. Lessenich, der in München lebt und lehrt, ist mit der S-Bahn in den Redaktionsturm der Süddeutschen Zeitung gekommen. Harald Welzer sitzt zu Hause in Berlin und hat sich per Skype zugeschaltet - nicht aus Bequemlichkeit oder Zeitmangel, sondern weil es klimafreundlicher ist.
Wie geht das, richtig leben? Was kann jeder Einzelne tun, damit sich die Dinge zum Besseren ändern? Darüber werden sich die beiden streiten, denn so einig sie sich in ihrer Diagnose der Gegenwart sind, so unterschiedlich sind ihre Therapievorschläge. Für Welzer jedenfalls reicht es noch lange nicht, einigermaßen gut informiert durchs Leben zu gehen: »Wissen ist eine Art Sidekick, der kaum je handlungsleitend ist. Menschen handeln nicht auf der Grundlage von Fakten, sondern auf der Grundlage von Beziehungen. Meine Kinder mögen Currywurst? Na, dann kauf ich denen eben eine! Die sollen mich doch gut finden.«
Foto: Gregg Segal