Wenn Sven Regener eins nicht mag, dann diesen Quatsch hier: ein Porträt, über ihn, von irgend so einem Journalisten, der Blödsinn fragt, der keine Ahnung hat, der am Ende des Gesprächs echt noch wissen will, wohin er mit seiner Familie in den Sommerurlaub fährt.
In seinen Worten: „Fragen nach dem Autor und seinem Leben sind Unsinn. Wenn Sie von Journalisten gestellt werden: Fragen auf Bunte-Niveau. Was zählt, ist einfach das Werk.“ Eine schöne Ohrfeige. Tut im Interview aber erst so richtig weh, wenn man vor Sven Regener sitzt, ihn hört und sieht: dieser wunderbar motzige Gesichtsausdruck, die wahnsinnig genervte Stimme. Gleich fängt man eine, denkt man die ganze Zeit.
Sven Regener - der Mann wäre als Biersorte: Jever, also ziemlich herb, gutes Gebräu. Und Journalisten wären: Becks-Lemon, so ein klebriges Biergemisch, das einem im Nachhinein nur Kopfschmerzen bereitet. Regener ist aufgewachsen in Bremen, in seinen Büchern wird Bier kettegetrunken. Darum muss man im Interview mit Regener Tresenmanieren an den Tag legen: sich bloß nicht abschrecken lassen, dem Blick standhalten, selber patzig werden, das nimmt er einem nicht mal übel.
Also: Das Porträt schreibt man natürlich trotzdem. Das kann man ihm schon zumuten - wer wie Regener Sänger einer bekannten Band ist (namens Element Of Crime), die gerne und ausführlich Live-Konzerte gibt, der tut mal bitte nicht so, als ob er Rampenlicht unerträglich findet. Und gerade weil Regener selber sagt, dass seine Bücher oft als „der große Berlin-Roman“ überinterpretiert werden, macht der biografische Zugang zu seinem Werk durchaus Sinn.
Also von vorne: ein Porträt über Sven Regener, dem ganz großen Publikum bekannt seit dem Romanerfolg Herr Lehmann, geboren 1961 in Bremen, abgebrochenes Musikstudium, abgebrochener Wehrdienst (wird gleich noch wichtig), seit 1982 in (zunächst West-)Berlin wohnend, übrigens am Prenzlauer Berg, mit Frau und Kindern.
Sein neuer Roman Der kleine Bruder (Eichborn Verlag) ist seit kurzem im Handel, in der Großbücherei Hugendubel ist der Der kleine Bruder-Bücherstapel am Erscheinungstag der höchste im Geschäft, noch höher als Feuchtgebiete und Oliver Kahns Biografie. Die Erwartungen an Sven Regeners Abschluss der Roman-Triologie über das Leben des Frank Lehmann sind groß, zu Recht.
Das Debüt Herr Lehmann, ein - sehr verkürzt gesagt - Roman über den Barmann Frank Lehmann 1989 in Berlin, verkaufte sich über eineinhalb Millionen Mal, der Kinofilm gewinnt den Deutschen Filmpreis.
Nach dem überraschend großen Erfolg von Herr Lehmann hat Sven Regener die zu erwartenden Fortsetzungen geschrieben. Aber er hat es sich nicht leicht gemacht: Neue Vahr Süd erstreckt sich auf fast 600 Seiten und schildert Frank Lehmanns Wehrdienst. Regener macht sich darin erfreulich klug über die Bundeswehr, die Friedensbewegung und Wohngemeinschaften lustig. Das Ganze spielt in Bremen im Jahr 1980.
Es folgt das Buch Der kleine Bruder, Romanheld Frank Lehmann verlässt Bremen und sucht seinen großen Bruder in Berlin, ebenfalls 1980. Soweit die Trilogie, wobei jedes Buch für sich stehe, sagt Regener, "das ist ja hier nicht Herr der Ringe".
Er habe kein Lieblingsbuch unter den dreien, "aber besonders stolz bin ich auf Neue Vahr Süd: das ist sehr komplex, sehr geheimnisvoll, ein bisschen wie ein Monumentalfilm. Der kleine Bruder ist ein ganz anderes Buch: Die ganze Handlung erstreckt sich nur über 46 Stunden, es passiert unglaublich viel, sehr gedrängt, es zu schreiben war eine Herausforderung."
Schon in Herr Lehmann hat Sven Regener seine Protagonisten auf langen Kneipentouren durch Berlin sehr oft über Bier reden lassen und am Ende doch erstaunlich viel über das Lebensgefühl "Westberlin 1989" dabei erzählt. In Der kleine Bruder wird noch mehr über Bier geredet und am Ende doch erstaunlich wenig Neues über Westberlin im Jahr 1980 erzählt.
Es würde gut zu Regener passen, wenn das alles Absicht wäre. Wenn er auf die Lobeshymnen für die ersten beiden Bücher mit einem dritten Buch reagiert, in dem alle Kritiker verzweifelt zwischen den Zeilen nach tieferen Ebenen suchen. Und das Ganze am Ende einfach mal nur ein recht lustiges Buch ist.
Ebenso denkbar wäre: Auch ein guter Autor schreibt mal ein nicht so gutes Buch, da wäre er nicht der Erste, dem so etwas passiert. Regener hat die Messlatte in den letzten Jahren derart hochgeschraubt, dass er früher oder später einmal drunter durchspringen musste: Herr Lehmann war ein enormer Erfolg, Neue Vahr Süd ein gestandener und richtig guter Roman, dazu veröffentlichte er mit der Band Element of Crime sein wohl bestes Album bisher: Delmenhorst.
Regeners eindringliche Stimme eignet sich nicht nur für die unter Journalisten gefürchtet übellaunigen Interviews, er kann damit auch gut Liebeslieder singen.
Der vielleicht sensationellste Teil am Gesamtkunstwerk Regener sind aber seine Songtexte. Regener schreibt und singt dann etwa in dem Lied Straßenbahn des Todes:
"Wo die Neurosen wuchern
Will ich Landschaftsgärtner sein
Und dich will ich endlich wiedersehen."
Das letzte Album Delmenhorst erzählt die Geschichte einer in die Brüche gegangenen Beziehung und Regener schreibt über Sehnsucht, Liebesschmerz und Rachegefühl mit einer Tiefgründigkeit, wie man sie im Genre "Lovesong" nahezu immer vermisst:
"Schmutzige Gedanken wärmen mir ein Heim
In dem der Kühlschrank als einziger nicht friert"
(aus dem Lied Wenn der Winter kommt).
In einem Interview mit jetzt.de sagte Sven Regener kürzlich über seine Musik: "Wir haben einfach Songs geschrieben, und das waren dann immer Liebeslieder. Wovon sollen denn Songs sonst groß handeln? Vom Einkaufen? Kann man auch machen, das macht sicher auch ab und zu mal Spaß, aber das kann schnell fad werden." Dann doch lieber Herzschmerz wie diesen:
"Siehst du wie sich die Wolken zusammen drängen
Als ob es sie da oben alleine friert
Ich hab nicht darum gebeten dich wiederzusehen
Wer als erster von weinenden Wolken spricht verliert
Frag mich nicht wie ich ohne dich lebe
Den ganzen Tag unter Wasser und Spaß dabei
Und alles geht immer irgendwie weiter
Im Himmel ist kein Platz mehr für uns zwei"
(aus dem Lied Im Himmel ist kein Platz mehr für uns zwei)
Es gibt Anfragen, seine Texte in Schulbüchern abzudrucken, "wir haben da einen ganz guten Ruf", weiß Regener. Vor der Vorstellung, dass Schüler seine Texte interpretieren, graust es ihm allerdings: "Die sollen gesungen werden, da müssen sie bestehen, für mich ist so eine Anfrage auch kein Kompliment, da ist ja kein Gedicht, ich will nicht, dass die das im Deutschunterricht durchgehen."
Hinter der brummbärigen Fassade wohnt also ein ziemlich romantischer und poetischer Geist, den er in Interviews ziemlich gut versteckt, dort ("wir machen heute keine Platten wie vor 20 Jahren im Guten wie im Schlechten...die Sache ist so, wie sie ist... man ist immer der selbe, aber nicht der gleiche...").
Nur einmal überrascht er im Interview - noch halb im Schimpfen - mit einem Gedicht von Eichendorff: "Schläft ein Lied in allen Dingen, die da träumen fort und fort / Und die Welt fängt an zu singen, triffst du nur das Zauberwort."
Vielleicht erklärt man das Prinzip Sven Regener einfach genau so: motzend Eichendorff-Lyrik rezitieren.
Er selbst würde natürlich sagen: totaler Quatsch.
-----------------------
(Der kleine Bruder von Sven Regener ist im Eichborn-Verlag erschienen)