Herr D’hont, Sie haben mit Ihren Memoiren im Frühjahr den Dopingskandal im Profi-Radsport losgetreten. Wie ist es Ihnen seither ergangen?
Jef D’hont: Kurz nach Erscheinen des Buchs bekam ich einen Drohanruf, anonym, auf Französisch: »Wir zerstören dich.« Ansonsten bin ich erstaunlich gut weggekommen. Wenn ich heute Abend mit meiner Frau essen gehe, muss ich sicher wieder viele Autogramme geben.
Bei den alten Kollegen können Sie sich aber nicht mehr blicken lassen.
Doch. Ich war sogar kurz bei der Tour de France. Da habe ich Erik Zabel und Rolf Aldag getroffen, deren Doping-Methoden ich ja aufgedeckt habe. Aldag sagte: »Jef, du siehst gut aus.« Ich habe tatsächlich abgenommen. Als ich noch als Masseur arbeitete, wog ich 98 Kilo. Die Fahrer haben immer so große Portionen essen müssen, weil sie so viele Kalorien verbrannten. Ich aß mit und verbrannte nichts. Zabel hat mich sogar umarmt und gesagt, wie glücklich er sei, dass alles raus ist. Endlich habe er den Kopf wieder frei. Der Radsport wird in vielen der Doping-Artikel mit der Mafia verglichen, in der eine Omertà, ein Schweigegelübde, herrsche. Scheint eine nette Mafia zu sein, die sich beim Verräter auch noch bedankt.
Es gibt auch andere. Der frühere Team-T-Mobile-Manager Walter Godefroot hat mir gerade eine Klage von mehreren hunderttausend Euro wegen Beleidigung angedroht.
Er will mich einschüchtern. Und Jan Ullrich hat mir von einem Gericht verbieten lassen, die Wahrheit über ihn, mich und das Doping zu sagen.
Sie wohnen im belgischen 450-Einwohner-Dorf Desteldonk. Haben Sie da überhaupt das ganze Ausmaß des Skandals mitbekommen, den Ihr Buch auslöste?
In meinem Wohnmobil, das hinten in meinem Garten steht, kann ich über Satellit deutsches Fernsehen empfangen. Das Wohnmobil ist mein zweites Zuhause. Früher fuhr ich damit immer die Rennfahrer zum Hotel. Als ich dann in Pension ging, übernahm ich es von meinem letzten Arbeitgeber, dem Team Française des Jeux. Ich habe mein Buch darin geschrieben und auch die Doping-Geständnisse live verfolgt. Das war schon ein bisschen eine Genugtuung.
Ihre Enthüllungen beherrschten über Wochen die Medien: Acht ehemalige und aktive Telekom- bzw. T-Mobile-Fahrer haben gestanden, gedopt gewesen zu sein, das Fernsehen ist aus der Tour-de-France-Berichterstattung ausgestiegen, und jetzt hat auch noch die Telekom ihr Radsport-Sponsoring aufgegeben – war es das, was Sie wollten?
Ich wollte einfach mein Leben aufschreiben. Mein Leben ist der Radsport, und ein Teil des Sports ist das Doping. Als ich in den Sechzigern selbst Profi war, haben wir jede Menge Amphetamine geschluckt. In Frankreich gab es die legal zu kaufen. Die belgischen Radfahrer legten ihre Trainingsstrecken so, dass sie an einer Apotheke gleich hinter der französischen Grenze vorbeiführten. Dort deckten sich alle damit ein. 1967 kamen die Hormone dazu, 1980 die Ärzte, die alles professionalisierten.
Wie ist es, immer lügen zu müssen?
Schweigen ist nicht lügen. Wenn ich hier in Desteldonk in die Kneipe ging, haben die Leute zu mir gesagt: Die dopen doch alle! Ich habe nur mit den Schultern gezuckt. Widersprochen habe ich nie. In Deutschland mag das anders sein, aber hier in Belgien wusste jeder, dass gedopt wurde. Radsport ist hier sehr verbreitet. Jeder kennt jemanden, der jemanden kennt, der dopt.
Gab es einen Auslöser dafür, dass Sie Ihr Schweigen brachen?
Ein wachsendes Ungerechtigkeitsgefühl. Amphetamine hatte jeder genommen; der Wettkampf blieb fair. Epo und Wachstumshormone waren dagegen so teuer, dass sich nur die Fahrer mit den guten Verträgen die Mittel leisten konnten. Die anderen fuhren hinterher. Das war Betrug. Blutdoping ist noch teurer. Das ist großer Betrug.
Die Reaktion auf die geständigen Profis ist bigott: In der Öffentlichkeit werden Sinkewitz und Jaksche gefeiert. Doch ihre Karriere ist gelaufen.
Das ist ungerecht, wer Doping zugibt, sollte weitermachen dürfen. Sonst traut sich keiner mehr, ehrlich zu sein, wenn es die eigene Existenz gefährdet.
Sie haben an Ihrem Geständnis sicher gut verdient.
Weniger, als man denkt. Mein Buch stand zwar hier in Belgien vier Monate an der Spitze der Bestsellerliste. Doch dort steht man schon mit 30 000 verkauften Exemplaren. Belgien ist klein.
Sind Sie eigentlich enttäuscht vom Radsport?
Nein, ich bin nach wie vor Fan. Ich selbst trainiere jeden Tag zweieinhalb Stunden für die Senioren-Rad-WM.
Und, dopen die Senioren?
Man glaubt es kaum, aber tatsächlich ist vor zwei Jahren einer bei einer Dopingkontrolle erwischt und gesperrt worden.
Ist Radsport ohne Doping überhaupt denkbar?
Nein. Aber immerhin ist bei den meisten Teams, Betreuern und Fahrern endlich der Wille da, es zu bekämpfen.