Die Exzentrischen: Iris & Carl

Zwei, ohne die New York weniger wäre - weniger bunt, weniger charmant, weniger liebenswert: Das Ehepaar Iris und Carl Apfel macht Vernissagen zu wahren Ereignissen.

Rara Avis nennen die New Yorker sie voller Bewunderung. Das ist Lateinisch und heißt »seltener Vogel«. Doch als Iris Apfel die Tür ihres Apartments an der Park Avenue öffnet, sieht sie fast sportlich aus: Ihr schlanker Körper steckt in Jeans und einem Riesenrollkragenpullover. Nicht weniger als ein knappes Dutzend Armreife klappert am rechten Handgelenk. Und dann natürlich die Brille: Zwei Hula-Hoop-Reifen, heute in Rot. Ein »geriatrisches Starlet« nennt sie sich selbst. Dieses Jahr wird sie 90 Jahre alt.

Über New Yorks Vernissagen und Benefiz-Partys flattert Apfel in derart exzentrischer Aufmachung, dass man den Kodachrome-Film noch mal erfinden möchte. Mal trägt sie gelbe Hosen zu einer blauen Jacke und bunt bemalten Stiefeln, dazu Stränge riesiger Perlenketten. Mal einen Couture-Mantel aus roten und grünen Hahnenfedern zu roten Samthosen. Oder eine schlichte bodenlange Robe in Braun, über der an zwölf kunstvollen Ketten hängend ein silberner Kopf im Halbrelief prangt. Unter all den vollkommen geschmackvoll und vollkommen langweilig hergerichteten Society-New-Yorkern ist Apfel ein wandelndes Drama.

So legendär ist ihr Stil, dass er dem Metropolitan Museum 2005 eine Ausstellung wert war, die Carla Fendi, Giorgio Armani und Karl Lagerfeld ehrerbietig besuchten. »Es ist hart, mit einer Berühmtheit zu leben!«, stöhnt ihr Ehemann Carl Apfel in gespielter Verzweiflung. Auf wackligen Beinen hat er sich einen Weg durch die französischen Möbel, die chinesischen Vasen und die tausend anderen antiken Sächelchen gebahnt. Nun setzt er sich an den Tisch, legt die Hände auf die Spitzentischdecke und sieht sie verliebt an.

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»Geht’s dir gut?«, fragt sie.
»Yes, dear!«
»Möchtest du etwas trinken?«
»Nein, danke, Sweetheart.«
Damit haben die beiden die Frage, wie es ihnen gelang, 63 Jahre glücklich zusammen zu leben und zu arbeiten, eigentlich schon beantwortet.

Im Auge hatten sich die beiden aber bereits ein paar Jahre vor ihrer Hochzeit im Jahre 1948: Beide machten mit ihren Eltern zufällig im selben Resort nahe der kanadischen Grenze Urlaub. »Aber wir hatten ja keine Zeit für ein Date!«, behauptet sie. Dazu kam es erst nach einer Zufallsbegegnung auf der Fifth Avenue, die sie erzählen wie eine Szene aus einer Komödie mit Cary Grant: »Er saß in einem Bus mit Motorschaden. Da sah er mich vor dem Schaufenster von …« – Er: »Bonwit Teller. Damals verlief die Fifth Avenue noch…« – Sie: »… in beide Richtungen. Aber ich war ja eigentlich mit diesem anderen verabredet …«

Doch dann ging alles ganz schnell: »Unser erstes Date war im ›Waldorf‹, am Columbus Day im Oktober. An Thanksgiving bat er um meine Hand. An Weihnachten bekam ich meinen Ring. An Washingtons Geburtstag im Februar heirateten wir. Dann ging es nach Palm Beach.« Er: »Und am St. Patrick’s Day im März kamen wir nach Hause zurück und begannen unser Leben zusammen. Es war großartig. Ist es bis heute. Ich fühle mich immer noch wie im Honeymoon. She’s a pretty cat!«

Zwei Jahre später, 1950, gründeten sie Old World Weavers, ihre Firma für Wohntextilien mit eigener Weberei. Iris hatte den Sinn für Ästhetik, er wusste alles über die Stoffherstellung. Das Geschäft lief blendend. Zu ihren Kunden zählten Dorothy Draper, die amerikanische Doyenne des Interior Design, und Greta Garbo. Sie belieferten den Vatikan und das Weiße Haus unter den zehn letzten Präsidenten. »Sie können Herrn Obama jeden Tag vor unseren Stoffen sehen!«, sagt Carl Apfel stolz.
War es nie ein Problem, neben dem Leben auch noch den Beruf zu teilen? »Überhaupt nicht«, sagt sie in ihrem Ton koketter Weltmüdigkeit, der an Marlene Dietrich erinnert.

»Schauen Sie«, sagt sie: »Alles funktioniert; man muss es nur wollen. Hatte er mal eine Affäre? Was weiß ich? Das ist sein Problem, nicht meins.« »Ich schätze ihre Intelligenz«, sagt er, »und ihren Geschmack, und sie schätzt meinen. Wir haben keinen Grund, uns zu streiten. Wir leben einfach und sind glücklich.« Und der Humor, der sei sehr wichtig, sagen beide mit ernster Miene. Nur Kinder haben sie nie bekommen. Das hat sich nicht vertragen mit ihren beruflichen Ambitionen. Iris Apfels Mutter, eine Boutiquenbesitzerin, begann wieder voll zu arbeiten, da war ihre Tochter zehn Jahre alt. Das schmerzt Iris Apfel heute noch. »Wenn man sich nicht um seine Kinder kümmern kann, soll man keine haben.«

Ihre Firma haben sie 1993 verkauft. Seitdem leben sie ein sehr buntes Leben in New Yorks besserer Gesellschaft. Sie ist immer noch eine gefragte Person des öffentlichen Lebens. Mal gibt sie Vorlesungen zum Thema Interior Design, mal wird ihre Erfahrung als Beraterin gesucht. Das nächste Projekt ist eine Schmuckserie. Natürlich unterstützen die Apfels diverse Charity-Organisationen. Und wenn es die Tagesform zulässt, dann gehen sie abends aus. In voller Montur, versteht sich. »Hat man einmal aufgehört, sich anzuziehen wie alle anderen, hört man auch auf zu denken wie alle anderen«, sagt sie.

Nur an der Gegenwart verzweifeln die beiden ein bisschen. Die Leute verblöden, finden sie. Es gebe keine Sitten und keine Kultur mehr. Nicht einmal zur Liebe seien die jungen Leute in der Lage: »Die Paare sitzen im Restaurant, doch statt zu reden, spielen sie mit ihren Maschinen.« Und wie sie angezogen sind: »Gummisandalen, diese Flip-Flops!«, schüttelt er sich. »Je fetter, desto nackter!«, ruft sie. »Und wer Stretch-Jeans mit einem Hintern über Größe 10 trägt, gehört sowieso eingesperrt!« Sie selbst sah noch nie aus wie alle anderen. Nicht als junges Mädchen. Nicht auf den Fotos, die Carl mit seinen drei Nikons von ihr auf Capri gemacht hat. Minimalismus und Zurückhaltung waren ihre Sache nicht. »Für mich war weniger nie mehr.«

Teuer müssen ihre Kleider deshalb aber nicht sein. »Wenn mir etwas bei H&M gefällt, nehme ich es mit. Ich bin mir nicht zu gut dafür.« Dass ihre Altersgenossinnen sich entweder in den Lehnstuhl zurückziehen oder ihr Alter mit falschen Lippen und gefärbten Haaren verstecken, kann sie nicht verstehen. »Warum genießen sie es nicht einfach?« Da kommt Carl Apfel zurück, der in der anderen Ecke des Zimmers im Sessel eingeschlafen war. »Wo warst du denn?«, fragt sie überrascht. »Ich habe gar nicht gemerkt, dass du weg warst.«

Iris Apfel, 89, wurde als Iris Barrel in New York geboren und gilt immer noch als Stilikone. 2005 wurde sie vom Metropolitan Museum of Art mit einer Ausstellung geehrt. Ihren Mann Carl Apfel, 96, lernte sie kurz nach dem Zweiten Weltkrieg kennen. Zusammen gründeten sie 1950 Old World Weavers. Die Textilfirma stattete das Weiße Haus unter zehn Präsidenten aus.

Foto: Andreas Laszlo Konrath