Helmut Lang wurde 1956 in Wien geboren. Nach einer kaufmännischen Ausbildung eröffnete der Autodidakt 1979 seine erste Boutique in Wien. Ab Mitte der 80er-Jahre zeigte er seine Kollektionen in Paris und stieg schnell zum Taktgeber einer ganzen Designergeneration auf: Der Einfluss seines ebenso kühlen wie experimentierfreudigen Minimalismus ist noch heute spürbar. Lang arbeitete mit Künstlern wie Jenny Holzer zusammen und war der Erste, der eine komplette Schau nur im Internet zeigte (1998). 2005 verkaufte er sein Label, um sich fortan der Kunst zu widmen. Er lebt seit 1998 in Long Island und New York.
SZ-Magazin: Herr Lang, vor drei Jahren haben Sie der Mode den Rücken gekehrt. Jetzt kommen Sie als Künstler zurück. Hatten Sie einfach keine Lust mehr auf Mode?
Helmut Lang: Sie war mir ab einem gewissen Punkt zu eindimensional. Da gab es zu wenig Unbekannte. Ich habe mich ja immer mit Kunst beschäftigt. Schon 1998, als ich den ersten Teil meines Labels an Prada verkauft habe, war mir klar, dass ich in diese Richtung gehen werde. Für mich ist das eine ganz normale Entwicklung.
Der Verkauf hat Sie steinreich gemacht. Sie könnten auch einfach Ihr Leben genießen. Die Möglichkeit des Vorruhestands wäre da, aber dafür bin ich zu jung. Was hat Sie daran gereizt, das Fach zu wechseln? In der Bekleidung war ich an den menschlichen Körper, an Bewegung, Funktion und Sinn gebunden. Vor allem aber an Abgabetermine. Das ist vorbei. Zudem kann ich endlich Materialien wie zum Beispiel Holz verwenden, die mich immer interessiert haben, die sich aber nicht in Kleidung umsetzen lassen, ohne dass es schwachsinnig aussieht.
Wie schafft man es als Modedesigner im Ruhestand von der Kunstwelt ernst genommen zu werden? Man macht etwas und übergibt es der Öffentlichkeit, aber man setzt ja nicht voraus, dass es für alle ist. Das war in der Mode auch so. In den ersten Jahren hat sich niemand für meine Sachen interessiert. Der Durchbruch kam erst in Paris Ende der Achtzigerjahre, einer Zeit, in der alles opulent war und übermodisch. Dagegen bin ich angetreten. Diese Intui-tion, Dinge vorher zu spüren, das ist, glaube ich, eine meiner Qualitäten.
Was spüren Sie denn jetzt? Wir befinden uns in einer ähnlich dramatischen Umbauphase wie damals, als die Industrialisierung einsetzte. Ich glaube, dass die globale Umstrukturierung, die digitale Revolution viele Menschen verunsichert.
Ihre Ausstellung in Hannover trägt den Titel Alles gleich schwer. Worauf bezieht sich das? Es ist weder ein Statement noch eine Frage oder eine Antwort. Sondern eine Anregung für den Besucher: Überlege dir, welches Gewicht du dir persönlich zuteilen möchtest, in der sich ständig bewegenden Weltumordnung. Und zwar in politischen, sozialen, ökologischen und persönlichen Fragen, auf allen Ebenen.
Also eher: Alles wiegt gleich schwer? Genau, es geht um Gewicht, darum, wie viel Aufmerksamkeit ich meiner Familie, der Beziehung, der Arbeit zuteile, in einer globalisierten Lebenswelt, die sich immer schneller verändert. Wie gehen Sie selbst denn damit um? Ich hab persönlich nie Probleme mit Veränderung, sie ist ja eine Notwendigkeit für den kreativen Prozess. Ich denke, dass es wichtig ist, sein Gleichgewicht, seine Wertigkeit zu finden, damit man nicht verloren geht in dieser Umwälzung.
Haben Sie Ihr Gleichgewicht gefunden? Ja, nur muss man das natürlich fortwäh-rend neu tun. Sich immer wieder neu erfinden. Für mich ist das Normalität. Aber ich kenne viele Menschen, bei denen das aus dem Ruder läuft.
Ihre Arbeiten zeigen grob zusammen-gebaute Konstruktionen; eine trägt den Titel Arbor (Maibaum). Ihr Maibaum erinnert aber auch an einen Totempfahl. Das ist ja Sinn der Sache, dass sich jeder ein anderes Bild von einer Arbeit macht. Mein verstorbener Freund Kurt Kocherscheidt (Anm.: ein österreichischer Maler) hat einmal gesagt: »Stell zwanzig Leute vor ein Bild und du hast zwanzig Meinungen.« Es kommt darauf an, wo jeder steht im Leben und was er damit eben anfangen kann.
Eine andere Arbeit zeigt eine etwas heruntergekommene Discokugel. Sie ist mein Symbol für unsere vielfach gebrochene und aufgesplitterte Janus-Kultur. Janus hat ja zwei Gesichter, er schaut immer vorwärts und zurück, der Monat Januar ist danach benannt. Dadurch, dass wir elektronisch verbunden sind, schauen auch wir gleichzeitig vorwärts und zurück, in alle möglichen Richtungen. Und werden selber auch aus allen Richtungen beobachtet und beobachten uns selbst.
Stimmt das Gerücht, dass die Kugel aus der legendären New Yorker Diskothek »Studio 54« stammt? Das ist ein gutes Gerücht. Niemand kann das bestätigen. Der Mann, von dem wir sie gekauft haben, behauptet das auf jeden Fall.
Waren Sie selbst jemals im »Studio 54«, damals Ende der Siebzigerjahre? Nein. Das war noch zu früh für mich. Ich war dafür sehr oft im »Palace« in Paris in den Achtzigern, dem europäischen Nachfolger des »Studio 54«.
Warum sind Sie Mitte der Neunzigerjahre nach Amerika gezogen? Ich bin 25 Jahre lang immer hin und her gereist: in Wien gearbeitet, in Paris präsentiert, sogar eine Zeit lang in München, später kam New York dazu. Irgendwann hat man darauf keine Lust mehr. Zuerst wollte ich nach Paris gehen, aber irgendwie erschien mir das zu bequem. Paris kannte ich schon zu gut, es war mir so vertraut wie Wien. Da war New York aufregender, dort warteten neue Erfahrungen.
Ist Amerika auch Inspiration für Sie? Für meine Arbeit spielt es keine Rolle, wo ich lebe. Ich habe immer schon isoliert gearbeitet und den zu urbanen Raum gemieden. Da gibt es zu viel Energie, die gleiche Signale aussendet. Meine Mode habe ich auch am liebsten in Wien gemacht, jetzt arbeite ich eben auf Long Island. Da funktioniere ich am besten.
Es heißt, Sie führen eine Art Einsiedlerleben. Ach, mein Leben ist gar nicht so abgeschieden, mein Büro befindet sich ja in New York. Aber ich habe mir die Freiheit genommen, in meinem Haus auf Long Island eine Art Pseudo-Isolation zu erzeugen. Das ist sehr inspirierend.
Gibt es Künstler, denen Sie sich nahe fühlen? Da gibt es vor allem viele Freundschaften wie zu Jenny Holzer, Louise Bourgeois oder Juergen Teller. Wichtig für mich war auch die Verbindung zur Fotografin Elfie Semotan und zu ihrem zweiten Mann Martin Kippenberger sowie zu ihrem ersten Mann Kurt Kocherscheidt. Von ihm habe ich gelernt, über den Tellerrand zu schauen. Das hat mir in der Mo-de geholfen, wo ich mich auch immer an unmodischen Sachen orientierte.
Haben Sie nicht manchmal Lust, wieder Mode zu machen? Ich denke nicht, dass ich genau da wieder anfange, wo ich aufgehört habe. Aber natürlich gibt es immer noch Berührungspunkte. Sollte Mode als Material für ein Projekt nötig sein, werde ich sie nutzen.
Darf ich fragen, was Sie gerade anhaben? Helmut Lang. Jeans und T-Shirt. Ich hab mir damals, bevor ich ging, genug Teile gesichert.