Ort Die schönste Station verzichtet auf alle Sperenzchen und bündelt ihre Effekte wie in einem Laserstrahl: Majakowskaja, benannt nach dem Dichter Wladimir Majakowski, erbaut von Alexei Duschkin, eröffnet im Jahr 1938, lässt stählerne Bögen wie Blitze in die Höhe schießen. Die Hallen der Majakowskaja verbinden gotische Ekstase und die Eleganz des Art déco, vor allem aber sind sie ein Denkmal für einen der Großen der sowjetischen Avantgarde: Majakowski und seine Genossen hatten die Mobilität zum Fetisch erhoben und radikal mit allem Bisherigen gebrochen.
Sie überlebten die Revolution um keine zwanzig Jahre. Aber unter der Erde, in der Metrostation Majakowskaja, werden sie ein letztes Mal gefeiert. Am Firmament der Halle – der Maler Alexander Deineka. Auf seinen Mosaiken Tag und Nacht am sowjetischen Himmel ließ er Flugzeuge, Fallschirme und Zeppeline durch die Wolken ziehen, fror Skispringer, Turmspringer und Stabhochspringer in der Bewegung ein, als hätten sie sich mit einer kühnen Drehung über die Gesetze der Physik hinweggesetzt. Die Ideologie der Erbauer mag an anderen Metrostationen machtvoller sein als in der Majakowskaja. Verführerischer ist sie nie.
Umgebung Die Fahrt ist furchtbar. Millionen Menschen quetschen sich in Waggons, die seit der Kuba-Krise nicht überholt wurden und über brüchige Gleise rumpeln. Man muss gegen ein infernalisches Dröhnen anschreien. Und erst der Geruch! Dieser typische süße Metrogeruch aus Putzmittel, Menschen und Zeit! Nichts ist furchtbarer als die Moskauer Metro.
Die Ankunft aber ist fantastisch. Vor den Passagieren öffnen sich an den anderen Stationen funkelnde Kathedralen der Bewegung, Paläste des Empire oder des Barock – ihrer historischen Herkunft enthoben und in die Zeit des Hochstalinismus katapultiert. Im bourgeoisen Glanz aus Marmor, Gold und Silber, Kronleuchtern und Stuck wachen Skulpturen von hageren Revolutionären und Matrosen, mahnen ukrainische Ernteszenen (Station Kiewskaja) und jugendliche Tennisspieler (Park Kultury) zu Höchstleistungen in Arbeit und Spiel.
Geschichte In der Moskauer Metro geht die Sonne nicht auf, und sie geht nicht unter, genauso wie Lenin es wollte: »Bolschewismus ist Sowjetmacht plus Elektrifizierung des ganzen Landes.« Die Metro, schreibt der Philosoph Boris Groys, hatte eine eigene ewige elektrifizierte Tageszeit. Die Metro-Arbeiter wurden in Filmen gefeiert – und geschunden, bis sie meuterten. Der ganze Größenwahn, die ganze Verheißung, auch der Terror jener Zeit – er ist in diesen Bauten geronnen. In vielen Städten der Welt fahren Menschen U-Bahn. Aber nur in Moskau wurde die Metro zum Emblem einer Epoche. Nichts ist erhebender als die Moskauer Metro.
Übernachten »Golden Apple«, M. Dmitrovka 11, Tel. 007/ 495/980 70 00, DZ ab 290 Euro, www.goldenapple.ru
Unbedingt stehen bleiben und gucken.
Foto: bab.ch/artur