Der Sonnenkönig

Mohamed Bin Hammam hob einst Sepp Blatter auf den Fifa-Thron. Nun ist er sein härtester Rivale. Am 1. Juni kommt es zum Duell um die Fifa-Präsidentschaft – und zur Entscheidung über die Frage, wie es mit dem Fußball weitergeht.

(Anmerkung: Sonntagfrüh wurde bekannt, dass Bin Hammam seine Kandidatur unerwartet zurückgezogen hat.)

Der Mann, der die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 in die Wüste geholt hat, gewährt einen Einblick in sein Reich. Mohamed Bin Hammam lebt in Doha, der Hauptstadt Katars, einer geteilten Stadt: auf der einen Seite die schmalen Hotels, kleinen Läden und Kaffeehäuser, umrahmt von kariösem Altstadtgemäuer, auf der anderen Seite die Glas- und Metalltürme des Büroviertels Al- Dafna, die sich im türkisfarbenen Meer spiegeln und zur Hälfte leer stehen. Dazwischen eine beachtlich frequentierte Kamelweide und ein riesiger Parkplatz.

Im pyramidenförmigen »Sheraton«-Hotel, direkt am Persischen Golf, hat Bin Hammam einen Raum gemietet sowie einen Kameramann, der seinen Auftritt für seine persönliche Website dokumentiert. Ein Stativ hätte es auch getan, Katars oberster Fußballfunktionär kommt in neunzig Gesprächsminuten mit einem Dauerlächeln aus und bewegt sich sparsam; hin und wieder streicht er die schneeweiße Kufiya, sein Kopftuch, zurecht. Emotionen zeigt Bin Hammam, der am 1. Juni als Kandidat für die Wahl des Fifa-Präsidenten antritt, eigentlich nur bei einer Frage: Worauf spielte sein Rivale Sepp Blatter an, der amtierende Fifa-Präsident, als er im März im Schweizer Fernsehen bezweifelte, dass Bin Hammam am Ende überhaupt gegen ihn kandidieren werde? »Fragen Sie Herrn Blatter, was er da gemeint hat«, zischt Bin Hammam. Später, ohne Kamera, entlädt sich sein ganzer Zorn: Blatter habe bei Hamad Bin Chalifa Al-Thani gegen ihn intrigiert. Der Emir von Katar sollte Bin Hammam seine Bewerbung ausreden.

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Blatter weiß nur zu gut: Fußball und Katar ist ein sensibles Thema. Mit dem WM-Zuschlag geriet das Land weltweit in die Kritik: Was zur Hölle will dieser schwarzwaldgroße Wüstensprengel ohne echten Fußballbetrieb mit unserem globalen WM-Fest? Wie haben die superreichen Ölscheichs wohl die korrupten Funktionäre der Fifa überzeugt?

Doch der Emir hat Bin Hammam nicht zurückgepfiffen. Der Vorstoß seines Untertans ist nämlich ganz nach seinem Geschmack. Seit 1995, als er seinen eigenen Vater vom Thron putschte, reitet das Emirat auf Messers Schneide durch die instabile Golfregion. Das Land pflegt mit dem Iran an der Küste gegenüber enge Freundschaft und gewährt zugleich den Amerikanern die größte Militärbasis außerhalb der USA. Im regionalen Dauerkonflikt der Alliierten um Ägypten und Saudi-Arabien sowie Iran und Syrien schaukelte sich Katar in eine neutrale Position, mit Israel gab es zeitweise gar diplomatische Bande. Und war Doha noch im Februar Teil jener saudischen Allianz, die pro-demokratische Proteste in Bahrain niederschlug, erkannte es im März als erste arabische Regierung Libyens Rebellen an und steuerte Kampfjets zur westlichen Koalition gegen Gaddafi bei. Katar hilft den Aufständlern wirtschaftlich und beim Aufbau einer TV-Station. Der in Doha beheimatete Sender Al-Dschasira gilt ohnehin als treibende Kraft hinter dem arabischen Frühling. Dafür wird er gefeiert. Und verdammt.

Grundlage dieser politischen Machtspiele ist ein enormer Reichtum: Katar besitzt das drittgrößte Erdgasfeld des Planeten, die Produktion von Flüssiggas macht es zu einem der vermögendsten Länder der Welt. Große Teile dieses Vermögens legt die Qatar Investment Authority (QIA) an, sie gilt als aggressivster arabischer Staatsfonds und soll mindestens 75 Milliarden Dollar in Auslandsbeteiligungen investiert haben. In Deutschland hält Katar Anteile an Volkswagen und Porsche, der Wüstenstaat ist größter Einzelaktionär der Schweizer Bank Credit Suisse und der britischen Barclays Bank sowie Eigner des Londoner Shoppingtempels Harrods. Frankreich sichert die Energieversorgung über Doha, und im Welt- und Europameisterland Spanien brach das Emirat ein Tabu: Nach über hundert Jahren der Abstinenz lässt der weltbeste Klub, der FC Barcelona, erstmals Geld für Trikotwerbung zahlen und trägt in Zukunft den Schriftzug der Qatar Foundation in die Stadien. 250 Millionen Dollar kassiert Barca von Sommer 2011 bis 2016, es ist der teuerste Sponsorvertrag der Fußballgeschichte.

Vor dem WM-Zuschlag standen im Emirat allerdings monatelang die Räder still, berichten ansässige Manager beeindruckt. Das zeugt von der enormen Bedeutung des Fußballspektakels für das Land. Doch nun ist am Persischen Golf endgültig der Goldrausch ausgebrochen: 90 000 Zimmer sollen gebaut werden, allein 8000 im ersten Halbjahr 2011. Katar will zur mittelöstlichen Schweiz werden, Drehscheibe für Sport- und Luxustourismus, weg von der Rohstoffabhängigkeit. Einen »Riesenaufschwung« prophezeit ein ansässiger Schweizer Geschäftsmann. Aus dem kriselnden Dubai ziehe nun alles nach Doha, »Firmen, die hier vorher kein Interesse hatten«. Bau- und Consultingexperten bilden die Vorhut. Die Stadt vibriert, die Mieten steigen. »Auch aus Deutschland«, sagt »Sheraton«-Managerin Franziska Hoppe, »bekommen wir sehr viele Wirtschaftsdelegationen.«

Vor wenigen Jahrzehnten tauchten noch die Perlenfischer vor der Küste. Und bis heute hat es die autochthone Stammesgesellschaft mehr mit Falkenjagd und Kamelrennen als mit Fußball. Die religiösen Fundamentalisten beobachten die rasende Entwicklung ihrer Heimat mit Argwohn. Ihre Macht ist noch immer beträchtlich: Homosexualität bleibt verboten, unbedeckte Knie oder Schultern im Shoppingcenter können in Katar immer noch mit Geldstrafe geahndet werden. Sogar die Weihnachtsdekoration, die im Dezember das neue Großprojekt The Pearl schmückte, eine künstliche Insel mit mediterranen Luxusimmobilien – sie musste nach Protesten abgehängt werden. Katar bleibt bei allem Sturm und Drang eine absolute Monarchie, inmitten eines Pulverfasses. Ansässige Ausländer berichten von einem Knacken im Hörer, wenn beim Telefongespräch Schlüsselworte wie »Emir« fallen.

Doch sosehr das Land zwischen Fundamentalismus und Moderne schwankt, an der wegweisenden Bedeutung der Fußball-WM für sein Land zweifelt der Emir nicht im Geringsten: »Über den Sport erreicht man jeden auf dem Globus«, sagt er. Sein Stab sieht im Fußball den Schlüssel zur Welt, nichts eignet sich besser zur Selbstdarstellung. Zwar war Dohas Olympiabewerbung für 2016 früh gescheitert, die Sommerhitze von 45 Grad schreckte das Internationale Olympische Komitee ab. Die Fifa aber ignorierte zunächst das enorme Gesundheitsrisiko für ihre Sportler. Erst nach der Vergabe fiel Blatter auf, dass der Sommer in der Wüste viel zu heiß für ein Fußballturnier sein könnte. Er schlug einen Terminwechsel auf den Winter vor, nun bangen Europas Topligen um ihre seit Jahrzehnten festgefügten Spielkalender.

Bleibt die Frage, wie der Zwergstaat den Vorstand der Fifa von seiner Bewerbung für die WM 2022 überzeugte. Gab es korrupte Angebote?

Hassan Al-Thawadi, Katars gefeierten Bewerbungschef, bringen die anhaltenden Spekulationen, Katar habe die WM gekauft, in Rage. Mit blitzenden Augen zählt er die Verstöße der Mitbewerber auf und beklagt das Grundübel des Vergabeprozesses: das intransparente Bewerbungssystem der Fifa. Letztlich habe doch jeder Kandidat fast alles treiben können. Dieses System, sagt sein Landsmann Bin Hammam, wolle er nach Blatters Thronsturz reformieren: »Ich bin für eine WM-Vergabe per offenem Handzeichen – dann gibt es keinen Grund mehr für Deals.« Gab es denn Deals bei dieser Bewerbung? Bin Hammam weicht aus. Er sagt, Katar habe »auf der Basis der geltenden Regeln gewonnen«. Fifa-Bestimmungen habe man nicht verletzt.

Die Mannschaft von Bayern München beim Wintertrainigslager in der königlichen Sportakademie Doha.

Genau darin liegt das Übel: In den Statuten der Fifa ist kaum mehr eindeutig geregelt, als dass Funktionäre nicht teuer beschenkt werden dürfen. Dabei funktioniert Bestechung über diskrete Umwege: über Strohleute, Tarnfirmen, TV- oder Sportrechteverträge, über Jobs und Gaben für Familienangehörige oder Großinvestitionen in Heimatländer der Fifa-Funktionäre, die über die WM-Vergabe entscheiden. Schon im Jahr 2000, wenige Tage vor der Vergabe der WM 2006, hatten auch deutsche Konzerne Milliarden in die Heimatländer asiatischer Fifa-Wahlmänner investiert oder avisiert. Der Bundessicherheitsrat bewilligte eine Waffenlieferung an Saudi-Arabien, was sofort damit in Verbindung gebracht wurde, dass ein entferntes Mitglied der Herrscherfamilie in der Fifa-Jury saß. Überdies verwöhnten deutsche Rechtehändler Wahlmänner von Tunesien über Malta bis Thailand mit TV-Verträgen für Freundschaftsspiele gegen die DFB-Auswahl oder den FC Bayern; Franz Beckenbauer war seinerzeit ja Klubpräsident und WM-Bewerberchef. In mindestens einem Fall landete die Überweisung einer Agentur direkt beim Funktionär.

Dass nun auch autokratisch geführte Rohstoffländer den Fußball erobern, ist eine logische Entwicklung in einem Unterhaltungsgewerbe, das allein dem Geld folgt. Aber auch demokratische Regierungen unterwerfen sich willig dem Fußballimperium von Sepp Blatter: Wer die WM will, muss zum Beispiel die Fifa-Familie von Steuer-, Zoll- und Arbeitsgesetzen befreien. Längst warnen internationale Ermittlungsbehörden, der Sport sei von der organisierten Kriminalität unterwandert. Von den Briten, die sich um die WM 2018 bewarben, habe die Fifa sogar die Freistellung vom britischen Geldwäsche-Gesetz gefordert.

Das Volumen des Gesamtplans für die WM in Katar – von der Bewerbung bis zum Abpfiff des Endspiels – wird auf bis zu hundert Milliarden Dollar beziffert. Bewerbungschef Al-Thawadi kam von der schwerreichen Qatar Investment Authority, ihm assistierte ein Manager aus der nationalen Petro-Industrie. Die Industrieleute gingen professionell vor, ließen Persönlichkeitsprofile der zwei Dutzend Fifa-Wahlmänner erstellen, die über die WM-Vergabe entscheiden. Etwas unprofessionell war nur, dass einige Bewerbungsdokumente publik wurden. Das Wall Street Journal berichtete, allein der argentinische Verband AFA habe 78 Millionen Dollar aus Katar erhalten – was prompt alle Beteiligten bestritten. Al-Thawadi erklärt, das sei nur der Vorschlag eines Mitarbeiters gewesen.

Unbestritten ist, dass sich viele Länder Afrikas schon jetzt auf neue Stadien freuen; einige der in Katar geplanten Arenen werden nach der WM ab- und andernorts wieder aufgebaut. Katar sponsert in Afrika alles, was mit Fußball zu tun hat, Anfang 2010 sogar den Kongress des Afrika-Verbandes CAF in Angola. Dafür erhielt das Emirat als einziger Bewerber für die WM 2022 Zugang zu den vier afrikanischen Vertretern im Fifa-Exekutivkomitee. Erst vor Kurzem bestätigte der Verband CAF diesen Deal – bestritt aber zugleich, dass einzelne Funktionäre in den Genuss von Zahlungen aus Katar gelangt seien: In England waren nämlich neue Vorwürfe gegen das Emirat aufgekommen. Bei einer Anhörung im britischen Unterhaus sagte ein Parlamentarier, es gebe Belege für Bestechungszahlungen von je 1,5 Millionen Dollar an zwei afrikanische Mitglieder des Fifa-Vorstands. Auch das Emirat bestritt das energisch.

Die Zeit ist reif für einen Wechsel.

Dieser Mann soll die Welt des Fußballs verändern: Mohamed Bin Hammam.

Der Versuch Katars, auch den Kongress des Europa-Verbandes Uefa zu sponsern, schlug allerdings fehl, ebenso das Vorhaben, Erzbischof Tutu aus Südafrika als Botschafter der Bewerbung zu gewinnen. Katar hatte bereits 50 000 Dollar an eine von Tutus Hilfseinrichtungen gespendet, das Tygerberg Childrens Hospital in Kapstadt, als bekannt wurde, dass der Erzbischof bereits den WM-Bewerber Australien unterstützt. Der Rivale soll dem Tygerberg 130 000 Dollar gespendet haben. Solche Dinge meint Al-Thawadi, wenn er Katar nur als Spielball eines anrüchigen Fifa-Verfahrens sieht.

Auch die königliche Sportakademie Aspire in Doha ist Teil der globalen Offensive. Eine Milliarde Dollar kostete die Luxusanlage, 2005 war Eröffnung. Aspire hat ein Indoor-Fußballstadion mit 8000 Plätzen, ein Aquatic Center mit drei 50-Meter-Becken, Hotels und Motels und Shoppingcenter und einen 320 Meter hohen Wohnturm samt Outdoor-Swimmingpool im 19. Stock, dazu eine Sportklinik mit Luftdruck-Zellen. Das Volk hat freien Zugang zu all den grandiosen Stätten und Programmen, abends walken verschleierte Frauen in Sportschuhen übers Gelände.

Aspire agiert international, in 15 Ländern läuft ein Förderprojekt namens Dream Academy. Im Senegal, sagt der deutsche Aspire-Chef Andreas Bleicher, entsteht eine Akademie mit Stadion, Schulen, Frauen-Ausbildungszentrum und Moschee. Thailand wird folgen. Es geht um globale Talentsichtung; die besten Nachwuchsfußballer dieser Länder sollen nach Doha kommen und die Stars von morgen werden, finanziert wird dieses Scouting vom Emirat Katar. Auffällig dabei ist, dass unter den 15 Teilnehmern des begehrten Aspire-Programms gleich sechs sind, die bei der WM-Vergabe eine Stimme in der Fifa-Exekutive hatten: Thailand, Elfenbeinküste, Kamerun, Nigeria, Paraguay und Guatemala.

Wie passt nun die Kandidatur von Mohamed Bin Hammam für das oberste Fifa-Amt in die WM-Strategie des Wüstenstaats? Gar nicht, dahinter steckt allein die Kühnheit des Kandidaten. Er hat erkannt, dass die Zeit reif ist für einen Wechsel an der Fifa-Spitze. Doch bisher traute sich dieses Amt keiner zu im Vorstand, dem Bin Hammam seit 15 Jahren angehört. Bin Hammam weiß um die Stimmungslage, längst sei die Mehrheit des Gremiums gegen den Sonnenkönig Sepp Blatter, der »nicht eine wichtige Entscheidung der letzten Jahre mit der Exekutive diskutiert« habe. Tatsächlich vermittelt der 75-jährige Blatter nach 36 Jahren in den verschiedensten Positionen bei der Fifa den Eindruck, als halte er sich für ein höheres Fußballwesen. Unter Bin Hammam werde sich der Sport in einem schwarzen Loch auflösen, raunt er und doziert über die »Mission«, die er selbst noch zu erfüllen habe. Doch um welche Mission handelt es sich? Elfmeterschießen vor dem Anpfiff, breitere Fußballtore, eine Vierteilung des Spiels mit drei Halbzeiten, einen Sexverzicht für Homosexuelle während der WM im Emirat sowie knappere Höschen im Frauenfußball – all das hat er bereits propagiert. »Da kommt nichts mehr«, urteilt Bin Hammam, »Blatter ist erschöpft.«

Der Entwurf des Architekturbüros Albert Speer & Partner für das WM-Stadion in Al-Khor im Norden von Katar.

Jedenfalls bestand die letzte große Vision Blatters darin, die WM-Vergaben 2018 und 2022 zusammenzulegen. Diesen Geistesblitz trug er zum Abschluss des Fifa-Kongresses 2008 in Sydney vor, zum Entsetzen der Fußballwelt und seiner Exekutivkollegen, die sich wieder einmal überrumpelt sahen. Als dann kurz vor der Doppelkür erwartungsgemäß die Korruption in diesem Riesen-Bewerb mit elf konkurrierenden Ländern sowie die weltweite Kritik an dem Verfahren eskalierten, schimpfte der Visionär mit, wer diese Schnapsidee wohl gehabt hatte.

Im Wahlprogramm zur Verteidigung seines Fifa-Throns hat Blatter nun angekündigt, er wolle die Korruption abschaffen. Dabei wurde seiner Fifa erst letztes Jahr in der Schweiz juristisch testiert, dass sie bodenlos korrupte Spitzenleute hat. Die Gescholtenen zahlten gemäß dem Schweizer Strafgesetzbuch Bußgelder von 5,5 Millionen Franken an die Fifa zurück, um einem gerichtlichen Verfahren zu entgehen – mit dem Segen Sepp Blatters.

Mit seinen Alleingängen hat Blatter Leute wie Franz Beckenbauer vergrault, der nach nur vier Jahren keinen Spaß mehr am Vorstandsposten in der Fifa hat. Auch deshalb wagt sich Bin Hammam nun aus der Deckung, ein ansonsten stiller Macher, 61 Jahre alt, Elektro-Unternehmer in Doha, zwei Frauen, elf Kinder, 13 Enkel. Schon mit 21 Jahren führte er einen Verein, heute lenkt er Asiens Kontinentalverband AFC. Er liest Gedichte, abends wird zu Hause der Tisch für Freunde eingedeckt, auch wenn er unterwegs ist, was häufig vorkommt. Dass ihn nicht Eitelkeit ins Spitzenamt treibt, belegt der Umstand, dass er bei der Wahl des Fifa-Präsidenten im Jahr 2009 den Franzosen Michel Platini drängte, gegen Blatter anzutreten.

Doch Bin Hammam steht nicht nur als Saubermann da. Er hatte Blatter 1998 mit Geld und Tricks, globalen Beziehungen und der Logistik des Emirs erst auf den Thron der Fifa gehievt. Seither nennen sie einander »Bruder«, und Bruder Sepp gestand Mohamed in einem flammenden Dankesbrief, er wäre ohne ihn nie Präsident geworden. Erzürnt über Blatters Intrigen überlegt Bin Hammam nun, ob er den Brief publik machen soll. Dabei, sagt er, habe ihn schon vor Jahren Issa Hayatou, der Chef des Afrika-Verbandes CAF, gewarnt: »Blatter sticht auch dir eines Tages den Dolch in den Rücken.«

Bei der Fifa-Wahl am 1. Juni geht es nicht nur um die Zukunft des Sonnenkönigs Blatter. Ein Sieg Bin Hammams wäre eine Bedrohung für das bisher europäisch dominierte Establishment der Fifa: Der leise Mann aus Doha will dann nämlich die Saläre der Fifa-Spitze offenlegen und die Amtszeit für Topfunktionäre auf acht Jahre begrenzen; er will mit Hightech-Hilfe absurde Debatten wie jene um die Torlinien-Überwachung beenden und, was die Macht künftiger Fifa-Bosse deutlich schmälern würde, die Förder-Milliarden des Weltfußballs dezentral vergeben, über die sechs Kontinentalverbände. Nicht mehr alles würde von Zürich aus geschehen.

Nach dem Zuschlag für die WM schlägt Katar also die nächste große Schlacht. Und Blatter kämpft um das politische Überleben. Gut vorstellbar, dass in den nächsten Tagen noch die ein oder andere Schmutzgeschichte über den Herausforderer erscheint. Allerlei Skripts und Papiere sind bereits im Umlauf. Verliert Blatter die Wahl am 1. Juni, ergibt sich für den Weltfußballverband wenigstens die Chance auf eine gewisse Erneuerung und die Beendigung alter Seilschaften. Gewinnt Blatter, bleibt alles beim Alten, nur Katar muss mit drastischen Konsequenzen rechnen. Bin Hammam, Dohas starker Mann im Fußball, ist dann erledigt. Und was Katars WM 2022 angeht, ließe Blatters Rache sicher nicht lange auf sich warten. Eine Verlegung der WM in den Winter ist denkbar oder auch die Auslagerung einiger Spiele in benachbarte Emirate. Blatters Kronprinz Platini hat darüber bereits laut nachgedacht.

Fotos: AP, DPA