"Das Wichtigste ist Ausstrahlung. Alles andere kann man kaufen"

Naturalmente, man darf Diego Della Valle einen altmodischen Mann nennen: Seine Firma Tod's hat er mit angenehm klassischen Werten zum globalen Luxuskonzern ausgebaut.


SZ-Magazin: Herr Della Valle, schauen Sie anderen Menschen eigentlich auf die Schuhe?

Diego Della Valle: Nein. Warum?Es heißt, am Schuh erkennt man den stilvollen Menschen… Die Idee, dass ein hässlicher Schuh das ganze Outfit zerstört, ist doch ein alter Hut. Das Wichtigste ist eine natürliche Ausstrahlung, die kann man nicht lernen. Alles andere kann man kaufen.

Welche Schuhe tragen Sie denn am liebsten? Immer das gleiche Paar Tod’s-Stiefeletten aus braunem Wildleder, die ich zu meiner Uniform – einem blauen Anzug – trage.

Immer den gleichen Schuh?
Ich habe sechs, sieben Paar für jedes Haus. Ich brauche nicht viel, um angezogen zu sein. Wenn ich mit meinem Jet unterwegs bin, genügen mir zwei Paar, die zu meinem Anzug passen. Dann vielleicht noch eine Jeans. Das reicht für Tage. Der »Gommino« hat Sie berühmt gemacht. Wie kommt man auf die Idee, ein Mokassin mit Noppensohle könnte das nächste große Ding sein? Ich war Ende der Siebziger in Amerika und hatte mir diese amerikanischen Autofahrschuhe gekauft, da war ich 16 Jahre. Damals waren Sa-chen zum Autofahren grade in Mode: Mützen, abgeschnittene Handschuhe – und diese Schuhe eben. Sie waren sehr, sehr hässlich, also praktisch untragbar außerhalb des Autos.

Ein hässlicher Schuh hat Sie inspiriert? Was mir gefiel, war der Gedanke, einen Schuh wie einen Handschuh zu begreifen. Drei Jahre später begann ich noch einmal darüber nachzudenken. Wir haben dann Gummi als Material für die Sohle genommen – es war billig und einfach – und mit hochwertigem Leder kombiniert. Das war die Idee des Gommino: ein äußerst haltbarer und eleganter Schuh, der bequem und leicht wie ein Handschuh ist.

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Aus dieser Idee ist eine große Luxusmarke entstanden. Werden Sie manchmal als Mr. Tod’s begrüßt? Nein, nur von Journalisten gelegentlich. Die Menschen hier kennen meinen Namen. Ich bin im Dorf Sant’Elpidio a Mare groß geworden und kenne die Mentalität hier. Wenn mich jemand auf der Straße grüßt, grüße ich zurück und frage: »Wie geht’s?« Warum auch nicht? Ich bin ein geselliger Mensch.

Bei der Führung durch Ihr Werk ist uns mehrmals Ihr Vater begegnet…
Man sieht ihn hier öfter als mich. Er ist jetzt 83, und seine Augen sind noch immer untrüglich.

Arbeitet er noch mit? Er ist unser »Imperatore«, unser guter Geist – er verliert meist nicht viele Worte, aber jeder respektiert ihn. Er und mein Großvater – sie haben mir den Sinn für Qualität mit auf den Weg gegeben. Er war ein wunderbarer Lehrer. Als ich 1978 Tod’s gründete, hat er viele wichtige Maschinen erfunden, die wir brauchten für unser Projekt.

Von Anfang an haben Sie hier im kleinen Dorf Casette d’Ete bei Ancona produziert. Hatten Sie niemals Lust auf Großstadt, auf Mailand, das Zentrum der Mode?
Warum? Hier gibt es eine starke Tradition der Lederverarbeitung, des Schuhmacherhandwerks. Und alle diese Spezialisten sind schon hier. Bei mir arbeiten Menschen, deren Väter mit meinem Vater zusammengearbeitet haben, und deren Neffen, Söhne und Töchter heute bei uns sind. Ich bin mir unserer Rolle in dieser Region bewusst, die Menschen arbeiten gerne für uns. Wir begreifen uns als »glokal« – global und lokal zugleich.

Wie meinen Sie das? Wir haben in den wichtigsten Ländern der Welt Geschäftssitze und unsere eigenen Läden. Aber verwurzelt sind wir hier in der Region. Das Dorf, in dem ich geboren wurde, ist nicht weit von unserem Headquarter. Und das Haus, in dem ich jetzt wohne, kann man von hier aus fast sehen.

Sie besitzen diverse Häuser auf der ganzen Welt.
Ja, aber das hier ist mein Zuhause. Ich versuche, einen anspruchsvollen Lebensstil mit einer gewissen Leichtigkeit zu verbinden – das ist die Grundphilosophie von Tod’s, und das ist das, wonach sich meiner Meinung nach die Menschen heute sehnen. Beim Essen bewegen wir uns zwischen guter japanischer Küche und leichtem Fusion Food. Beim Wohnen wollen wir eine fantastische Aussicht und nicht zu viele Möbel – präzise ausgewählt. Ich denke, das ganze Leben geht in diese Richtung.

Das riesige Anselm-Kiefer-Bild, das wir bei unserem Rundgang gesehen haben – gehört das auch dazu? Wo ist es?

Es lehnt an einer Wand in der Fabrik… Es kommt in mein Haus in Paris – aber dazu muss erst ein Fenster herausgebrochen werden.

Sind Sie Sammler?
Ich verfolge den Kunstmarkt nicht ständig – ich fahre nicht zu Messen nach Basel oder Miami. Für Kunst brauche ich Zeit. Wenn es sich ergibt, gehe ich direkt in eine Galerie oder eine Ausstellung und nehme was mit. Da bin ich ganz einfach gestrickt.

Sie kaufen einfach, was Ihnen gefällt?
Ich will die Werke, die ich kaufe, ja in meinem Haus haben, sie gerne ansehen. Es ist mir egal, ob sie rentabel sind oder nicht.

Was gefällt Ihnen an Kiefer? Er hat einen starken Sinn fürs Material. Unglaublich! Sie können die ganze deutsche Tradition in seinen Werken wiederfinden.

Sie besitzen Anteile an Piaggio und dem Espressomaschinen-Hersteller Bialetti sowie an den Möbelfirmen Poltrona Frau und Cappellini. Ist das auch ein Hobby von Ihnen – Firmen sammeln? Ich mag Marken, und wenn ich eine starke Marke sehe, mit einer Vergangenheit und einem guten Image, dann reizt mich das und ich steige ein. Im Augenblick konzentriere ich mich dabei hauptsächlich auf Italien.

Warum nur Italien? Ich fühle mich meinem Land verbunden. Und ich will mich unternehmerisch engagieren. Es gibt so viele Menschen hier in diesem Land, die mit ihrem Lohn kaum bis zum Monatsende auskommen. Und das, während unsere Industrie weltweit gerade nicht wettbewerbsfähig ist.

Was unternehmen Sie dagegen?
Ich möchte mit meinem Unternehmen und als Person ein gutes Beispiel sein, und ich versuche, so viel wie möglich in Italien zu investieren. Kurz gesagt glaube ich, dass wir in Italien einen lebendigeren Wettbewerb brauchen, dabei aber die Solidarität nicht vergessen dürfen.

Jetzt klingen Sie wie ein Politiker. Schon mal über eine Zweitkarriere nachgedacht? Als Politiker? Kein Interesse. Zero.

Warum nicht? Ein richtiger Politiker unterscheidet sich ganz wesentlich von einem Unternehmer. Unternehmer möchten schnell vorankommen; sie konzentrieren sich ausschließlich auf ihre Meinung, ihre Geschäftsidee und ihre Firma. Politiker hingegen müssen so viel Zeit damit verbringen, jeden von ihren Absichten zu überzeugen. Für Politiker sollte das Gemeinwohl im Mittelpunkt stehen, die Gesellschaft, und nicht ihr persönlicher Erfolg.

Wie ist es bei Ihnen? Ein Unternehmer, so wie ich ihn verstehe, trennt nicht zwischen Beruf und Privatleben. Neben meiner Fa-milie ist die Tod’s Group meine Leidenschaft – ich möchte nichts anderes machen. Manager denken ganz anders, nur ein kleiner Teil von ihnen hat dieselbe Einstellung wie ein Unternehmer. Die meisten verhalten sich viel eher wie Profifußballer. Sie betrachten ihre Arbeit als einen Job, und sie sind immer auf dem Markt, um schnell den Konzern wechseln zu können.

Tod’s ist ein klassisches Familienunternehmen der alten Schule – ist das ein Vorteil in einem Markt, in dem Investoren Firmen kaufen und verkaufen, als sei es ein Spiel?
Viele Berater halten nicht viel von Familienunternehmen, mit der Begründung, sie würden sich auf Dauer verzetteln. Ich sehe das aber nicht so eng. Am Anfang hilft es auf jeden Fall: Die Familie ist eine starke Gemeinschaft, alle helfen mit und halten zusammen, um das gemeinsame Ziel zu erreichen. Wenn die Firma wächst, ist es jedoch entscheidend, die Manager richtig auszuwählen. Ein Unternehmen wie mei-nes ist ja heute in den Händen von Managern; wir haben nur noch eine Kontrollfunktion und geben die Richtung vor. Nur einen Fehler darf man nicht machen!

Welchen denn?
Personen aus der Familie Verantwortung übertragen, die nicht ins Unternehmen passen. Das geht nicht gut. Man sollte sie besser nach Sardinien schicken, zum Schwimmen und Ausspannen, das kostet weniger.

Della Valle ist Präsident und Vorstandsvorsitzender der Tod’s Group, zu der neben Tod’s die Marken Hogan und Fay gehören. Er wurde 1953 in Sant’Elpidio a Mare bei Ancona geboren. Mit 22 trat er in den Schuhmacherbetrieb seines Vaters ein und baute ihn allmählich zu dem Luxuskonzern aus, der heute 2200 Mitarbeiter beschäftigt.