Eigentlich sollte dies ein historischer Abgesang auf den Anrufbeantworter werden, seit Tagen habe ich mich darauf gefreut. Und mit superklugen Begriffen gewappnet. Es war Mitte der Neunziger, da kam mir der erste ins Haus, todschick, nämlich: kompakt mit dem Telefon verbacken und mit schnuckliger Minikassette. Für Millennials: Das Telefon steckte mit einem Kabel in der Wand, der Hörer war per Kabel mit dem Gehäuse verbunden und im Gehäuse, neben der »Telefontastatur«, war ein »Kassettendeck« für so ein Tonbanddings mit Magnetband drin, witzig, was?
Man telefonierte damals noch Stunden lang, so lang, dass die Eltern schimpften: Immer hängst du am Telefon! Und man schrieb sich Briefe. Beziehungen, vor allem die mit Liebe, funktionierten noch anders. Man wartete tage- und wochenlang auf einen Brief, vor allem wenn man, wie ich, auf Männer vom Mond stand. Und man ging, wenn der sich nicht meldete, nicht mehr aus dem Haus. Aus Angst, man könnte einen Anruf verpassen. Insofern war die Erfindung des »Anrufbeantworters«, auch wenn er den verpassten Anruf nicht, wie behauptet, beantwortete: eine Erlösung!
Damals hielten Studenten in Soziologie-Seminaren spinnerte Referate. In einem hieß es, man könne dereinst »mit einer Maus Sex am Computer haben«; in einem anderen, die technische Verlängerung der Mensch-Maschine in Personalunion von Telefon mit AB führe quasi zwangsweise zu einem kabellosen Telefon, das dann an das Ohr des Menschen appliziert sei; und zwar: mit Anrufbeantworter! Ich erinnere mich noch sehr genau an das Gefühl, das mich bei diesen Vorträgen beschlich: grenzenlose Bewunderung für so viel Phantasie, Wagemut und Visionsfähigkeit. Das mit dem Anrufbeantworter im Ohr habe ich allerdings damals schon null verstanden.
Und recht behalten. Erst mal. Den Anrufbeantworter an unserem Festnetztelefon habe ich nämlich vor circa zwei Jahren abgestellt. Weil die einzigen Menschen, die noch Festnetztelefone anrufen und auf Anrufbeantworter sprechen, Anrufer aus einer anderen Zeit sind: Großeltern. Und naturgemäß sehr beleidigt, wenn man tage- und wochenlang nicht auf ihre Botschaften reagiert. Weil man nämlich einfach nicht drauf guckt, auf das AB-Telefon. Weil es total out ist und überflüssig und verstaubt in der Ecke. Im Grunde nur für Großeltern da. Die immer noch glauben wollen, dass Anrufe zum Handy zu teuer sind. Und »stören«. Könnte ja sein, dass der Handybesitzer gerade zu tun hat. Der Festnetztelefonbesitzer natürlich nicht. Aber wurscht, Großelternlogik.
Kürzlich habe ich nun auch die Mailbox meines Smartphones ausgeschaltet. Weil mir klar geworden ist, dass ich nicht und kein anderer Mensch auch nicht: das Gelaber auf Mailboxen anhöre. Heutzutage geht das doch so: Wenn du mal eine Nachricht auf eine Mailbox sprichst, kommt quasi noch im Monolog der Rückruf mit der Frage: Du hast angerufen? Ich habe an mir beobachtet, dass ich Mailbox-Messages ignoriere. Weil es mir zu anstrengend ist, sie abzuhören. Auch ich rufe lieber direkt an.
Jetzt die gescheiten Intello-Statements zum obsolet gewordenen Anrufbeantworter, der dem potentiellen, aber glücklicherweise gar nicht anwesenden Zuhörer die verzweifelte Einsamkeit der körperlich-materialisierten Stimme oktroyiert, was aufgrund der Ubiquität in Zeiten digitaler Erreichbarkeit nicht mehr zwingend notwendig ist. Auch wenn narzisstisches Monologisieren der prädestinierte Content für einseitige Aufzeichnungsapparate wäre. (Falls Sie es nicht wussten: Ich habe einen Uni-Abschluss in »Kultursoziologie des Telefons«, siehe: Soziologisches Institut der Freien Universität zu Berlin anno 1994).
Doch dann, pling, ist er da plötzlich wieder, der narzisstische Monologaufzeichnungsapparat: die Voice Message bei WhatsApp! Meine Kinder sprechen ja gottseidank noch live mit mir, zuhause. Und wenn sie unterwegs sind, schaltet der Große sein Gerät prinzipiell aus, auch um mich nicht anrufen zu müssen. Und der Kleine vergisst eh immer, sein Handy aufzuladen, käme also nicht in die Verlegenheit, wie so einige seiner Freunde, mir von irgendwoher eine Voice Message draufzulabern.
Dafür aber hat nun mein Chef die Vorzüge des Voice Messaging erkannt. Kürzlich als ich morgens aufwachte mit dem Smartphone in der Hand, also wie prognostiziert quasi körperlich verbacken: drei Voice Messages drauf. Drei Messages à eine Minute siebenundvierzig, eine Minute vierzehn und die letzte: drei Minuten fünfundzwanzig. Abgesendet zwischen 0 Uhr 47 und 1 Uhr 32. Kein Liebesgesäusel. Sondern »nächtliche Ideen« vom Chef, »weil das grad schneller geht als tippen« und »damit die nicht verloren gehen«.
Ich habe umgehend gegoogelt, wie man die VoiceMessageMailBox bei WhatsApp abstellt. Damit sie einen nie wieder penetrieren kann. Fürchte aber, das geht nicht. Und also wurden doch die fürchterlichsten Zukunftsvisionen meiner Kommilitonen wahr. Der Anrufbeantworter spricht mit uns – auch wenn wir ihn gar nicht hören wollen.
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