Keine Anzeige

In den Neunzigern galt Springer & Jacoby als die deutsche Werbeagentur schlechthin - berühmt für Disziplin, Kreativität und Mercedes-Benz. Heute ist die Agentur am Boden. Wie konnte das nur passieren?

Sie haben die Welle geritten, sagt Reinhard Springer. Sie hatten ihren Spaß, aber sie haben nicht darauf geachtet, dass noch etwas nachkommt. Andere Wellen, damit sie oben bleiben. Nun sind sie ganz unten und müssen wieder paddeln. Vielleicht hört man niemals auf, in Bildern zu denken, wenn man einmal Werber war. Vielleicht muss man bis zuletzt Sprüche klopfen, auch wenn die Sprüche nichts mehr voranbringen, sondern nur noch das Ende beschwören. »Uns sind«, auch das hat Springer über sein Lebenswerk gesagt, »die Eier vertrocknet.« Er hatte das auf einer Mitarbeiterversammlung rausgehauen, die er morgens um acht anberaumt hatte, weil zu dieser frühen Stunde niemand einen Termin vorschieben konnte. Springer wollte allen klarmachen, dass es ernst ist, er wollte sie wachrütteln – stattdessen brachte er seiner Firma negative Schlagzeilen ein. »Club der vertrockneten Eier« stand als Überschrift in der Presse, darunter ein Foto von Oliver Schwall und Erik Heitmann – den heutigen Chefs von Springer & Jacoby. Es war Anti-Werbung. Ein Jahr ist es jetzt her, dass Reinhard Springer von Wellen und getrockneten Eiern sprach. Seitdem können Heitmann und Schwall regelmäßig in der Fachpresse lesen, wie sehr ihr Laden auf den Hund gekommen ist. Es gönnt sich ja kein anderer Berufszweig so viel Selbstbespiegelung wie die Werber: Branchenblätter wie Werben & Verkaufen und Der Kontakter treten jede Nachricht breit, pusten jedes Gerücht zu einem Artikel hoch und berichten ausführlich darüber, wer welchen Kunden gewonnen hat, wer auf welchem Werbefestival erfolgreich war. Wenn es schlecht läuft, hat man allerdings ein massives Problem. So eilig wie es die Kunden einst hatten, von der renommierten Agentur beraten zu werden, so eilig sind sie auf und davon. Ende Juni kündigte Mercedes seinen Vertrag, der ein Volumen von geschätzt 70 Millionen Euro hatte, ein großer Teil des Gesamtumsatzes der Agentur. Davor hatten bereits die Brauerei Veltins und der Springer-Verlag gekündigt. Es ist wohl schon so weit, dass sich Werbeleiter in Unternehmen vom Chef fragen lassen müssen, wann man sich denn endlich von dieser Agentur trenne, die bald dicht mache. Es ist, als wäre der FC Bayern innerhalb von zwei Jahren in die Regionalliga Süd abgestiegen. Es ist absolut nicht normal. Aber normal war Springer & Jacoby von Anfang an nicht. Als Reinhard Springer 1978 die Erfolgsagentur GGK verließ, wollte er ja nicht nur Millionär werden, er wollte allen zeigen, dass man gute Werbung machen kann, ohne sich wie ein Rockstar aufzuführen – komplett in Schwarz, mit chaotischem Büro und einer Schwäche für Kokain. Dass man einen Anzug tragen und pünktlich sein kann – ja, dass man nicht einmal in der damaligen Werbehauptstadt Düsseldorf sitzen musste, sondern dass es auch von Hamburg aus ging. Und Springer hatte recht. Tatsächlich ging es viel besser so. Er und der wenig später ebenfalls von GGK dazugestoßene Texter Konstantin Jacoby rechneten so gründlich mit der Vorgängergeneration ab, dass sich der Umsatz jedes Jahr vervielfachte. Egal ob Lufthansa, Miele oder die TUI – den Managern aus der Wirtschaft gefiel es gut, dass sie nun mit einem Dienstleister Geschäfte machten und nicht mit einem entrückten Werbe-Guru, der mitleidig lächelte, wenn man mal einen Spruch nicht sofort verstand. Die Werbung von Springer & Jacoby war einfach, effizient und dazu auch noch unterhaltsam. Zu einem Bild vom Mercedes-Stern dichtete Jacoby: »Unser meistgebrauchtes Ersatzteil«.

Springer und Jacoby führten in ihrer Firma einen ungewöhnlichen Verhaltenskodex ein. Sie verboten ihren Mitarbeitern, an unaufgeräumten Schreibtischen zu arbeiten, Poster an die Wand zu hängen oder Fotos auf den Schreibtisch zu stellen. Nichts war erlaubt, was vom Nachdenken über gute Werbung ablenken konnte. Und damit die Kulturrevolution auch in die kleinste Kammer vordrang, schrieben sie ein Grundgesetz, das der Belegschaft bis heute mehrmals im Jahr vorgelesen wird. Darin ist die Rede von den drei »E«, nach denen gute Werbung zu funktionieren hat: einfach, einfallsreich und exakt. Darin steht außerdem, dass jeder ein Recht auf Widerspruch hat, auf Förderung, auf Fehler und auf Rückkehr in die Firma, falls er sie mal verlassen sollte. Das klang nicht nach einem Arbeitsplatz, sondern nach der Mitgliedschaft in einer Gemeinschaft. »Unser aller Ehrgeiz sollte doch sein, dass die heißeste, kreativste Agentur Deutschlands gleichzeitig die ordentlichste und disziplinierteste ist«, donnerte Jacoby einmal, nachdem er Kaffeeflecken auf dem Teppich entdeckt hatte – und fügte hinzu: »Hier ist Harvard oder Eton und nicht der Circus Sarrasani.« Die Gründer hatten einen Geist geschaffen, der alles zusammenhielt, aber was werden würde, wenn es niemandem mehr gäbe, der diesen Geist beschwört – das hatten sie nicht bedacht. Weil die Firma auch auf ideellen Werten fußte, war sie erfolgreich geworden. Doch damit ließ sie sich nicht so einfach weitergeben. Das merkte erst mal niemand, nicht einmal Springer und Jacoby selbst. Mitte der Neunzigerjahre verabschiedeten sich die Gründer aus der Geschäftsführung, im Jahr 2000, als die New Economy Unsummen in die Werbung steckte, verkauften sie einen Teil der Firma an die amerikanische Holding Interpublic Group of Companies, die schon ein paar Dutzend Werbeagenturen besaß. Springer und Jacoby wurden noch reicher, als sie bereits waren – und behielten 24 Prozent der Anteile sowie die Mehrheit im Aufsichtsrat. Das war der nächste Fehler, vielleicht nicht für sie, aber für die Agentur. Als Aufsichtsräte waren sie nicht mehr für das operative Geschäft zuständig, aber sie konnten jene, die es waren, vor die Tür setzen. »Ich habe häufiger hingeschaut, als ich wollte«, sagt Springer heute, und tatsächlich wurde bei Springer & Jacoby in den vergangenen Jahren die Führungsebene so oft ausgewechselt wie in keiner anderen Agentur. Dabei schien es am Anfang so, als hätte der Generationswechsel ganz gut geklappt. Springer und Jacoby übergaben die Geschäftsführung an einen Mann, der das Credo der Firma verinnerlicht hatte. Der einst so gern zu Springer & Jacoby wollte, dass er sich gleich dreimal bewarb. Unter André Kemper erfuhr die Agentur einen neuerlichen Aufstieg. Kemper machte nicht nur gute Werbung für Kunden wie Mercedes und den Spiegel, er machte auch gute Werbung für sich selbst. Ein Männermagazin präsentierte ehrfürchtig das Schiesser-Unterhemd, in dem er sich die Antworten für ein Interview herausgeschwitzt hatte. Kemper redete davon, dass die Agentur sein Baby sei und nun eine neue Zeit anbreche. Doch dann musste er weiter, weil die Besten in der Werbung stets ihre eigene Agentur gründen wollen. So wie Springer und Jacoby einst die GGK verließen und Jean-Remy von Matt und Holger Jung bei Springer & Jacoby lernten, bevor sie zum ärgsten Konkurrenten wurden. Ohne Kemper hatte die starke Gemeinschaft keinen mehr, der stärker war als die meisten, sondern nur noch ganz viele, die sich stark fühlten. Es gab nicht mehr einen Chef, sondern acht. Um die Guten zu halten, hatte man sie einfach alle befördert, aber nicht daran gedacht, dass dann die Besten gehen, weil sie nicht wollen, dass alle mitreden.

Und plötzlich war Springer & Jacoby zu einer jener Agenturen geworden, von denen man sich früher abgesetzt hatte. Genauso verkrustet wie der Mercedes-Apparat, bei dem man ständig neuen Leuten aus dem mittleren Management gegenübersaß, die alle zu wissen glaubten, wie man Werbung macht. »Wenn man eine Idee durch zwanzig Runden schickt, bleibt am Ende nicht mehr viel davon übrig«, sagt ein Mitarbeiter und räumt ein, dass unter den Anzeigen viel Mittelmaß war. »Da hat man zwei silberne Autos fotografiert und irgendeinen Kack darunter geschrieben.« Man kann sich gut vorstellen, wie Reinhard Springer und Konstantin Jacoby diesen Kack fanden. Was sie davon hielten, dass Springer & Jacoby plötzlich eine Agentur war, bei der die Kunden die Kreation bestimmen. Wo die Mitarbeiter nicht mehr den Mumm hatten, den Managern aus der Industrie zu sagen, dass sie sich um ihren eigenen Kram kümmern sollen. »Wir sagen, was wir denken« – auch so ein Grundsatz von früher. Erik Heitmann hat es damit probiert und den Mercedes-Leuten gesagt, was er denkt. Es war einer seiner letzten Auftritte beim Kunden. Heute wirken Heitmann und Schwall, als wären sie durchs Feuer gegangen. Die negativen Schlagzeilen berühren sie nicht mehr. Im letzten Jahr hat die Agentur, die einst eine halbe Milliarde Umsatz machte, erstmals rote Zahlen geschrieben; von den einst 450 Mitarbeitern musste man Hunderte entlassen. Es gibt jedoch einen Punkt, an dem aus der Verzweiflung neuer Kampfgeist wird. Vergangenes Jahr kam der, da haben Heitmann und Schwall versucht, die Agentur auf neue Beine zu stellen. Sie haben angekündigt, nicht mehr an den Kreativwettbewerben teilzunehmen, weil das ein sinnloses Schaulaufen sei. Sie haben der Wirtschaft einen »Effizienz-Tarif« angeboten, bei dem der Kunde nicht mehr das Recht hat, endlos mitzureden. Es klang vernünftig, aber erneut ernteten sie Hohn und Spott. Eine »Aldi-Agentur« seien sie jetzt. Werbeagenturen bestehen im Grunde nur aus den Ideen ihrer Mitarbeiter. Wenn keine Ideen mehr vorhanden sind, fällt ganz schnell der Wert, weil dann auch die Kunden verschwinden. Daher sind die Auf- und Abstiege in der Werbebranche rasanter als in anderen Wirtschaftszweigen. Die Firma Springer & Jacoby ist im Augenblick nichts mehr wert – zumindest, wenn man die Zahlen von 2003 zum Maßstab nimmt. Auf hundert Millionen Euro wurde die Agentur damals geschätzt, heute kostet sie vielleicht noch zehn. Die Amerikaner, die ihr Investment längst abgeschrieben haben, wollen nur noch raus. Und auch die Gründer Reinhard Springer und Konstantin Jacoby wollen ihre restlichen Anteile verkaufen und aus dem Aufsichtsrat ausscheiden, wie es in Hamburg erleichtert heißt. Springer hat bereits ein neues Interesse: den Turm der inneren Weisheit – was immer das auch sein mag. Auf Ibiza suchte er jedenfalls per Inserat einen Architekten für das Projekt. Aber wer will den Laden kaufen? Zuletzt war die Beteiligungsgesellschaft Avantaxx im Gespräch, doch die Agentur hat Schulden bei der Bank und bei knapp dreißig ehemaligen Mitarbeitern, die man beteiligt hatte und die nun ihr Geld sehen wollen. Auf rund 25 Millionen Euro belaufen sich die Verbindlichkeiten. »Eigentlich müsste man noch was draufbekommen«, sagt ein Konkurrent, der in die Bücher schauen durfte. So sinken mit jedem Tag die Chancen auf eine Rettung. Darauf, dass jemand kommt, der mit den Talenten, die es noch gibt, einen Neuanfang wagt.Denn jeder hat das Recht darauf zurückzukehren. So steht es im Grundgesetz von 1979.